Digitale Kompetenz: Sind Rumänen eher Computer-Muffel?
Rumänien belegt den 3. Platz EU-weit, was die Nutzung der Social Media anbelangt. Die Internetgeschwindigkeit in Metropolen ist auch auf Weltspitzen-Niveau. Doch im Umgang mit digitalen Technologien im Alltag und Berufsleben sind die Rumänen Schlusslicht.
Christine Leșcu, 13.07.2016, 17:45
Wenn wir über die digitalen Kompetenzen der Rumänen sprechen, mischen sich authentische und kontrollierbare Info mit weniger plausiblen und schwer überprüfbaren Daten: von der Internet-Geschwindigkeit und den Leistungen der rumänischen Schüler bei den internationalen Wettbewerben bis zum Mythos, dass im Silicon Valley Rumänisch die am zweithäufigsten gesprochene Sprache sei.
Eine erste Feststellung sei, dass Rumänien, wenn wir über Digitalisierung sprechen, ein Land der Paradoxe ist, so Veronica Ştefan, Vertreterin der Nichtregierungsorganisation Social-Doers“. Hierzulande leben beispielsweise ein paar der besten IT-Spezialisten aus der ganzen Welt beisammen mit den 43% der Rumänen, die überhaupt keine digitalen Kompetenzen haben. Veronica Ştefan dazu:
Rumänien nutzt die digitale Technologie sehr oft, besonders in den Social Media, wo das Land in puncto Nutzungshäufigkeit den dritten Platz in der EU belegt. Wenn es aber um den digitalen Zugang zu den öffentlichen Dienstleistungen geht, nehmen wir den letzten Platz ein. Genauso wenig gebrauchen wir die elektronischen Dienste für Internet Banking oder für Online-Käufe. Die Jugendarbeitslosigkeitsquote liegt bei rund 21%, doch bei den Jugendlichen, die im IT-Bereich spezialisiert sind, sprechen wir von 0% Arbeitslosigkeit. Die digitale Technologie ist in vielen Bereichen zu finden: in der erneuerbaren Energie, in der Bildung, im Alltagsleben, in der Gesundheit. Leben wir alle zusammen in dieser digitalen Gesellschaft, oder ist jeder ein Eigenbrötler, der in seiner Blase lebt? Es gibt zahlreiche Initiativen und viel zu wenig Koordinierung. Die Technologie kann uns das Leben erleichtern.“
Vor diesem Hintergrund der rumänischen Paradoxe und der neuen technologischen Revolution in der ganzen Welt muss man sich fragen, inwieweit die Rumänen mit der digitalen Technologie im privaten wie im beruflichen Leben vertraut sind, ob die Initiativen der Zivilgesellschaft die breite Öffentlichkeit auf die digitale Zukunft vorbereitet und ob sie digitale Unternehmungen ermutigen. 2015 trug der IT-Bereich mit 5,6% zum BIP Rumäniens bei. Im Jahr 2010 waren es nur 3,4%. Die Organisation SocialDoers hat vor kurzem ein erstes rumänisches Think-Tank organisiert, gebildet aus Befürwortern der digitalen Entwicklung, Experten, Vertretern des Geschäftsumfeldes, Fachleuten in öffentlicher Politik. Die Initiative Digital Citizens“ nimmt sich vor, die Rumänen auf eine Zukunft vorzubereiten, in der die digitale Technologien in der Wirtschaft und im sozialen Leben eine ausschlaggebende Rolle spielen. Digitalisierung bedeutet nicht nur der persönliche Rechner, das Handy oder das Tablet. Digitaltechnik ist in Fabriken zu finden, wo Roboter die Menschen ersetzen, in der Medizin, wo Organe im 3D-Drucker erschaffen werden. Ob die rumänischen Fachleute bereit sind, diese neuen Realitäten zu akzeptieren, erfahren wir von Elisabeta Moraru, Industry Manager bei Google, die bei der ersten öffentlichen Konferenz des Think-Tanks Digital Citizens“ anwesend war. Elisabeta Moraru kam mit einer Gruppe von Assistenzärzten zusammen:
Es war ein Saal voller Assistenzärzte. Ich habe über Innovation erzählt und nicht über technische Aspekte oder IT-Technologien. Ich habe ihnen Medizinprodukte vorgestellt, die von 3D-Druckern hergestellt wurden. Die Zukunft besteht darin, Fabriken für 3D-Drucker zu gründen, nicht selber 3D-Produkte herzustellen. Ich habe über anatomische Organe, die gedruckt wurden, und über andere Produkte gesprochen. Wissen Sie, was sie mir geantwortet haben? Ich werde nie das Gespräch mit einer jungen Ärztin vergessen, die mich gefragt hat: ‚Und was hat das alles mit uns zu tun?‘ Ich war völlig enttäuscht und frustriert, dass mich eine junge Ärztin so etwas fragen konnte. Wir haben es mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Die Zukunft gehört jenen, die sich heute ausbilden lassen und 2030 arbeiten werden. Die Fähigkeiten, die wir im Leben gebrauchen, werden bis im Alter von 13-14 Jahren erworben, danach wird nur noch daran geschliffen. Wenn wir — wie in anderen Ländern — den Kindern nicht schon im Erstklässler-Alter beibringen, wie sie Häuser oder Bausteine auf dem Rechner hin und her bewegen — dabei geht es eigentlich um die graphische Darstellung der Programmierung –, dann bieten wir denjenigen, die 2030 arbeiten werden, keine Chance.“
Irinuca Văduva, Projektleiterin im Rahmen des ECDL-Büros Rumänien (European Computer Driving Licence), meint, nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen müssten ihre Computer-Kompetenzen weiterentwickeln.
EDCL kämpft seit Jahren gegen eine bestimmte Vorstellung an, die behauptet, wir seien alle sogenannte Digital Natives. Ich verstehe, dass wir von der Technologie überwältigt sind, dass Sachen passieren, die wir uns in der Vergangenheit nicht einmal vorstellen konnten. Rumänien hat aber ein Problem, hier herrscht ein Missverständnis über den Begriff der Digital Natives. Unsere Kinder sind keine Menschen, die in der digitalen Welt unbedingt zurechtkommen, trotz der Technologie, die sie umgibt. Die europäischen Statistiken zeigen, dass es um den rumänischen Arbeitsmarkt gar nicht so gut bestellt ist, wenn es um digitale Kompetenzen geht — und sei es nur im elementaren Umgang mit dem eigenen PC. Man braucht einen integrierten Ansatz. Wir sollten nicht auf den Hype der Lobby hereinfallen, die für Programmierkurse für Kinder schon im Alter von fünf Jahren wirbt. Die Menschen müssen zuerst lernen, wie sie all diese digitalen Geräte einfach nur gebrauchen, bevor sie mit Programmieren anfangen. In dem Zusammenhang könnte man sich fragen, ob wir nicht etwa eher digital naive Menschen statt tatsächlich Digital Natives sind.“
Şerban Ţîr, technischer Direktor der Unternehmergruppe Gemini Solutions, ist der Meinung, die digitale Kompetenz müsse unabhängig vom Beruf entwickelt werden. Şerban Ţîr erzählt uns, wie er seine IT-Fachleute auswählt:
Es ist schrecklich kompliziert, wenn man hochqualifizierte Fachleute einstellen will. Die Unternehmen organisieren Interviews, jeder Kandidat muss vier Interviews hinter sich bringen. Die Löhne sind riesig, sogar höher als im Ausland. Ich bin der Meinung, dass man in digitale Kompetenzen investieren muss, weil wir uns dadurch eine einfachere und finanziell rentablere Zukunft sichern.“
Die Digitalisierung ist folglich kein Phänomen, das in einer fernen und abstrakten Zukunft abhängt, sondern ist schon ein wesentlicher Teil in vielen Bereichen der heutigen Wirtschaft.