Hörerpostsendung 16.11.2014
Heute mit den Erinnerungen unseres Hörerfreunds Lutz Winkler an die Wendezeit von 1989 und einem Tondokument aus unserem Audioarchiv.
Sorin Georgescu, 16.11.2014, 17:30
Post erhielten wir in dieser Woche von Martin von Gierke aus Deutschland. E-Mails gingen bis Freitagmittag von folgenden Hörern ein: Dieter Feltes, Volker Willschrey, Lutz Winkler, Anna Seiser, Klaus Nindel, Norbert Hansen, Andreas Pawelczyk und Fritz Andorf (alle aus Deutschland) sowie von Josef Robl (aus Österreich) und Antonio-Ángel Morilla (aus Spanien). Das Internetformular nutzte Wladimir Saworoschkin (ein Deutschlehrer aus Minsk, Weißrussland), der ausgezeichnete Empfangsbedingungen über die Kurzwelle in seiner Heimatstadt meldete und sie mit einer blanken Fünfer-Schiene in den SINPO-Werten quittierte.
Vergangenen Sonntag hat man in Deutschland 25 Jahre seit dem Mauerfall begangen. Ein denkwürdiges Ereignis, das in nahezu allen deutschsprachigen Medien mit sehr interessanten Dokumentationen, Zeitzeugen-Interviews und multimedialen Artikeln begleitet wurde. Einen Lese- bzw. Hörtipp hätten wir in diesem Zusammenhang. Im Zeit-Magazin erschien am 7. November ein höchst interessanter Bericht über ein ungewöhnliches experimentelles Radioprogramm, das am 24. Oktober 1989 im Westberliner Privatsender Radio 100 gesendet wurde. Der junge Regisseur Uli M. Schueppel und sein Freund Johannes Beck wollten eigentlich nur experimentieren. Von zwei bis vier Uhr morgens sollten sie die Sendung moderieren. Und um 2:25 Uhr ließen Sie die Mauer fallen – zwei Wochen zu früh. Angelehnt war das Experiment an Orson Welles Krieg der Welten“. Welles hatte im Jahr 1938 den Roman über eine Invasion vom Mars so realistisch als Hörspiel vertont, dass bei der Polizei und im Sender Anfragen eingingen, ob wirklich Außerirdische in den USA gelandet seien. Schueppel und Beck wollten eine ähnlich originelle Falschmeldung in ihrer Sendung platzieren, zitiert Zeit-Magazin den heute 56-jährigen Regisseur. Erstaunlich dabei ist der Wortlaut der 16 Tage vor der tatsächlichen Maueröffnung gesendeten Ente:
Berlin, 24. Oktober 1989. Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet wurde, hat die SED-Führung in einer geheimen Sitzung die völlige Öffnung der innerdeutschen Grenze in beide Richtungen beschlossen. Der Beschluss soll auf einer Pressekonferenz heute Mittag, 12 Uhr, verkündet werden und sofort wirksam sein.“
Verblüffend ist dabei besonders der letzte Satz, der sich wie eine Prophezeiung der bald darauf kommenden Ereignisse liest bzw. anhört, als Günter Schabowski das sofortige Inkrafttreten der Reisefreiheit der DDR-Bürger ankündigte. Inzwischen sind wir alle schlauer und wissen, dass das Politbüro-Mitglied dabei eine Sperrfrist irrtümlich ignorierte und dass die sofortige Maueröffnung am 9.November 1989 damit wohl ein folgenreiches Versehen war.
Um den Mauerfall und seine Folgen soll es auch in den nächsten Minuten gehen. Unserem treuen Hörerfreund Lutz Winkler (aus Schmitten im Taunus) brachten der Mauerfall und das Ende der DDR einen tiefen Einschnitt in sein damaliges Leben. Er erlebte die dramatischen Ereignisse des Novembers 1989 als Wehrpflichtiger in der Nationalen Volksarmee der DDR und zog nach der Wiedervereinigung mit der Familie nach Westdeutschland. Doch die Landschaften in der alten Heimat und die Kindheitserinnerungen bedeuten ihm immer noch viel. Hören Sie seine interessanten Zeilen:
Der November ist dieses Mal ein besonderer Monat: 25 Jahre Mauerfall – da denke ich in diesen Tagen an die eigene Geschichte. Ich habe die Mauer als Wehrpflichtiger fallen sehen. Im Fernsehen. Ich wurde im Mai 1989 zur NVA eingezogen – nachdem meine Frau und ich ein Kind hatten. Da wurde keine Rücksicht genommen. Im Gegenteil: Familienväter sind vernünftiger bei der Armee. Nach der Grundausbildung im Nordwesten der DDR musste ich zu einem Flugzeughallenbau an die polnisch-deutsche Grenze. Dort ging es uns eigentlich ganz gut – und ich hörte am Abend des 9. November 1989, dass Menschen ausreisen duften. Am 10. November 1989 durften wir überraschenderweise die Kaserne verlassen. Ich erinnere mich noch: Die Dorfgaststätte war leer, wir waren die einzigen Gäste. Danach wurde das Leben in den Kasernen auch etwas lockerer – ich durfte aber erst zu Weihnachten im Jahr 1989 nach Hause – das war das 2. Mal seit Mai.
Da ich keinen Personalausweis hatte (den musste man vor dem Wehrdienst abgeben), konnte ich nicht in den Westen fahren. Und: ich wollte meine Zeit nicht damit verbringen, auf der Autobahn in den Westen im Stau zu stehen. Da war mir meine Familie wichtiger. So bin ich wohl einer der wenigen DDR-Bürger, die keine 100 DM Begrüßungsgeld bekommen haben. Unvorstellbar ist mir heute, dass damals die gesamte Kommunikation über Postbriefe abgewickelt wurde – Telefon gab es ja nicht. Ein Gutes hatte aber die Wende für mich: Mein Wehrdienst wurde von 18 auf 12 Monate verkürzt und im Mai 1990 sah die Welt, die ich im Mai 1989 verlassen hatte, ganz anders aus. Danach kamen eher unruhige Zeiten – der Arbeitsplatz wurde unsicher – alte Führungskader wurden Geschäftsführer und entdeckten die Vorzüge der Marktwirtschaft. Alles wurde anders: das Geld, die Versicherung, die Krankenkassen, die Rentenkassen. Viel Betrüger kamen, einiges Lehrgeld haben auch wir gezahlt.
Ich wechselte dann im Dezember 1990 unter vielen Diskussionen mit der Familie in den Westen – und begann bei einem Tochterunternehmen von BMW. Meine Frau und meine Kinder folgen dann im März 1991 – und wir bauten uns in Bayern eine eigene Existenz auf. Ja – und seitdem sind wir weder in den alten Bundesländern noch in den neuen Bundesländern zu Hause. Hier werden wir immer noch mit Argwohn angeschaut – die Leute, die so komische Erfahrungen haben – und: die viele Dinge auch sehr kritisch sehen. Da kommt es schon mal zu verletzenden Bemerkungen zur Herkunft.
Und wenn wir zu Besuch zu den Schwiegereltern in die neuen Bundesländer fahren: Dann sind wir immer noch die, die in der Heimat keine Zukunft gesehen haben. Und wenn ich ehrlich bin: Je älter ich werde, umso beliebter werden mir die Landschaften in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Viele Kindheitserinnerungen hängen an den Orten in diesen Ländern. Ich freue mich bei jedem Besuch in den Städten, Kultureinrichtungen und Dörfern in den neuen Bundesländern, welche Leistung in den letzten 25 Jahren dort erreicht wurde. Und ich wüsste wirklich nicht, was ich tun soll, wenn ich eine gleichwertige Arbeitsstelle in Leipzig oder Dresden bekommen würde: Würde ich schwach werden und wieder dorthin ziehen?
Soweit meine Gedanken zu den deutsch-deutschen Ereignissen im Monat November – aus meiner persönlichen Sicht.“
Lieber Herr Winkler, vielen Dank für diese äußerst interessanten Zeilen, mit denen Sie Ihre gemischten Gefühle 25 Jahre nach dem Mauerfall von 1989 beschreiben. Auch in Rumänien wurde der Wehrdienst gleich nach dem Umbruch von 18 Monaten auf 12 Monate reduziert und später ganz abgeschafft. Und die plötzlich eingetretene neue Weltordnung verunsicherte viele Menschen und ließ nicht wenige zu Verlierern der eingeläuteten Transformation werden.
Und nun zur angekündigten Überraschung aus unserem Audioarchiv. In einem unserer verstaubten Schränke fanden wir ein Tonband, das offensichtlich vom DDR-Rundfunk stammt. Wie es in unseren Besitz gelangte, ist nicht mehr nachvollziehbar. Vermutlich tauschten vor der Wende die Rundfunkanstalten der kommunistischen Länder hin und wieder Tonbänder untereinander aus – zu welchem Zweck auch immer. Am 16. Juli 1982 tagte der Friedensrat der DDR in Berlin unter den Stichworten Besorgt zu sein, ist nicht genug, gefordert ist die Friedenstat!“.
Daraufhin berichtete der DDR-Rundfunk über die Tagung in einer knapp 15-minütigen Propaganda-Sendung, in der die westlichen Staaten – allen voran die USA – als Kriegstreiber angeprangert wurden. Zwar war die Sorge um die Zukunft unseres Planeten aufgrund der atomaren Rüstung damals in aller Welt real. Doch gerierten sich die Ostblockstaaten zu Propagandazwecken zugleich als Friedensstifter – und so manch Geschichtsvergessener aus Ost- und Westeuropa glaubt’s heute noch.
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Sendung des DDR-Rundfunks von 1982 hören: |
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