Hörerpostsendung 12.7.2015
Heute u.a. mit einer Hörermeinung zum Thema Flüchtlinge in Europa sowie einigen Informationen zum Thema Migrantenakzeptanz in Rumänien.
Sorin Georgescu, 12.07.2015, 17:30
Heute werde ich wie immer Hörermeinungen zu unserem Programm verlesen, außerdem eine Hörerfrage beantworten und zwischendurch gibt es etwas Klaviermusik in der Interpretation eines Menschen, der mir nahe stand.
Nebst der Griechenland-Krise und der angespannten Lage in der Ostukraine hält das Thema Flüchtlinge und Migration seit Monaten die europäische Öffentlichkeit in Atem. Auch wir berichteten unlängst über das Flüchtlingsdrama und stellten auch die Frage, wieviele Flüchtlinge Rumänien aufnehmen könnte. In diesem Sinne schrieb uns Ralf Urbanczyk (aus Eisleben, Sachsen-Anhalt) unlängst per E-Mail:
Vom Programm in der letzten Woche ist bei mir besonders der Sozialreport hängengeblieben, in welchem Sie sich des Themas der Migranten und Asylsuchenden in Rumänien annahmen. In Deutschland ist wie in den anderen Ländern der EU eine Diskussion entbrannt, seit die Menge der Flüchtlinge aus den vielen Kriegsgebieten dramatisch gestiegen ist. Ich halte diese Diskussionen für katastrophal, wenn ich sehe, wie sich Länder und deren Einwohner gegen die Aufnahme der Flüchtlinge sträuben. Das erinnert ein wenig an die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland am Ende der 30-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die kein Land aufnehmen wollte und deshalb den Tod fanden. Die Katastrophe der Flüchtlinge auf der „St. Louis” fällt mir dann immer wieder ein, wenn ich von den Flüchtlingsschiffen im Mittelmeer oder Atlantik höre.
Vielen Dank für das Feedback, lieber Herr Urbanczyk. Ein ähnliches, aber weniger bekanntes Drama mit weitaus mehr jüdischen Opfern gab es auch in Osteuropa. Es handelt sich um das zuletzt bulgarische Schiff Struma, das am 12. Dezember 1941 den rumänischen Schwarzmeerhafen Constanţa in Richtung Palästina verließ. An Bord befanden sich 791 jüdische Flüchtlinge, die zumeist aus der Bukowina und Bessarabien stammten und mit Hilfe diverser jüdischer Organisationen der Verfolgung und Diskriminierung zu entkommen versuchten. Bereits kurz nach dem Auslaufen aus Constanţa setzte der Motor der baufälligen Struma immer wieder aus, weswegen Istanbul erst nach vier Tagen, am 16. Dezember 1941, erreicht wurde. Kurz vor der Ankunft versagte die Maschine komplett den Dienst, weswegen das Schiff von einem Schlepper in den Hafen gezogen werden musste.
Die britische und die türkische Regierung führten in den folgenden zehn Wochen Geheimverhandlungen mit der Jewish Agency for Israel in Jerusalem über das Schicksal der Passagiere. Doch die die britische Regierung weigerte sich wegen der fehlenden Visa, die Passagiere in Palästina einreisen zu lassen, und die die türkische Regierung wollte sie wiederum nicht an Land lassen, um einen Verbleib in der Türkei zu verhindern. Schließlich ließen die türkischen Behörden das Schiff am 23. Februar 1942 aufs offene Meer hinausschleppen; außerhalb der türkischen Hoheitsgewässer drehte der Schlepper ab und überließ die Struma ihrem Schicksal. Die fahrunfähige Struma wurde in den Morgenstunden des nächsten Tages, dem 24. Februar 1942, von einem sowjetischen U-Boot gesichtet und aus einer Distanz von rund 1.200 m durch einen Torpedo versenkt. Hintergrund war ein Geheimbefehl Stalins, alle neutralen Schiffe, die das Schwarze Meer befuhren, zu versenken. Doch das wurde erst Jahrzehnte später bekannt. Der Treffer brachte das über 60 Jahre alte Schiff innerhalb weniger Minuten zum Sinken. Beim Untergang starben 781 jüdische Flüchtlinge, darunter 101 Kinder, sowie 10 Besatzungsmitglieder. Nur eine Person von den ursprünglich insgesamt 791 Menschen an Bord überlebte den Untergang, ein jüdischer Passagier namens David Stoliar. Der an ein Wrackteil geklammerte 19-Jährige überlebte als einziger von einer Gruppe mehrerer Passagiere, welche im eiskalten Wasser über Nacht ertrunken waren, und wurde von einem am nächsten Tag eintreffenden Boot der türkischen Küstenwache aufgelesen. Er lebte zuletzt in den USA, wo er im Alter von 91 Jahren am 1. Mai 2014 starb. Im Mai 2013 hatte ihn ein Spiegel-Redakteur noch besucht und sich die Geschichte von David Stoliar, der nur ungerne davon erzählte, zum letzten Mal angehört. Außerdem gibt es einen Dokumentarfilm des rumänisch-deutschen Regisseurs Radu Gabrea zum Thema. Eine leicht gekürzte deutsche Fassung des Films mit dem Titel Die letzte Fahrt der Struma“ entstand beim WDR und wurde mehrfach ausgestrahlt, u.a. beim WDR und in 3sat. Die Struma-Tragödie ist somit ein weiteres, fast vergessenes Kapitel des Holocaust, bei dem die Alliierten eine unrühmliche Rolle spielten – sie schauten einfach nur weg.
Mein ehemaliger Klavierlehrer, der 2010 verstorbene Pianist und Komponist Dan Mizrahy, hat mir einmal erzählt, dass er damals als 15-Jähriger um ein Haar an Bord der Struma gestiegen wäre. In Rumänien war er wegen der 1941 erlassenen Rassengesetze vom Studium an der Bukarester Musikakademie ausgeschlossen worden. Er schaffte es dann doch noch nach Palästina, das damals unter britischem Verwaltungsmandat stand, wo er in Jerusalem bei Alfred Schröder studierte, einem ehemaligen Assistenten des berühmten Artur Schnabel. Nach Kriegsende kehrte Dan Mizrahy nach Rumänien zurück, wo er schon 1946 seine Solisten-Karriere begann und parallel privaten Kompositionsunterricht nahm. 1951 wurde er von den Kommunisten verhaftet und wegen Kosmopolitismus“ zu drei Jahren Umerziehung“ ins Gefängnis gebracht, ohne jemals offiziell verurteilt worden zu sein. 1954 nahm er seine Solistenkarriere und seine pädagogische Tätigkeit wieder auf. In den folgenden Jahrzehnten machte er sich einen Namen als Interpret der Klavierwerke George Gershwins – viele davon in rumänischer Erstaufführung – und als Autor von Liedern und Romanzen, für die er vielfach preisgekrönt wurde.
Darüber hinaus war er ein Mensch von einzigartiger Güte und Großzügigkeit, für seine Schüler hatte er stets warmherzige Worte und Ratschläge parat und war nie nachtragend, auch wenn er gelegentlich aufbrauste, wenn man nicht gewissenhaft genug geübt hatte. Kurzum – ich habe ihn wie einen zweiten Vater geliebt und denke noch oft an ihn. Dem Andenken Dan Mizrahys soll die folgende Aufzeichnung gewidmet sein. 2002 nahm Dan Mizrahy die Gesamtausgabe der Werke für Klavier und Orchester und einige Solo-Stücke George Gershwins auf, die anschließend auf einer Doppel-CD herausgebracht wurden. Die Zeit im Funkbriefkasten ist begrenzt, daher an dieser Stelle nur ein kurzes Stück: Präludium Nummer 1, Allegro ben ritmato e deciso, von George Gershwin, interpretiert vom 2010 verstorbenen rumänischen Pianisten Dan Mizrahy. | |
Dan Mizrahy (1926–2010)
Foto: Wikipedia
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Zum Thema Flüchtlinge schrieb uns auch Andreas Pawelczyk (aus Mannheim) per E-Mail:
Auch in Rumänien scheint das Thema Migranten in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Meine Frage dazu wäre: Gibt es dazu in Rumänien Meinungsumfragen, wieviele Rumänen Migrantenaufnahme ablehnen und wieviele dafür sind?
Vielen Dank für die Frage, lieber Herr Pawelczyk. In Zusammenarbeit mit der EU und der Open Society Foundation hat das Rumänische Forschungs- und Dokumentationszentrum für Migrantenintegration einen sogenannten Integrationsbarometer 2015 veröffentlicht. Ich habe das Dokument heruntergeladen und mich ein bisschen schlau gemacht.
Generell wird in diesem Bericht festgestellt, dass das Thema Migranten und Flüchtlinge in der Öffentlichkeit und in der Wahrnehmung der einzelnen Menschen keine so große Rolle spielt. Das ist damit zu erklären, dass Rumänien vorerst kein typisches Zielland, sondern eher ein Transitland für Migranten ist. Es gibt nicht so viele Flüchtlinge in Rumänien, die meisten sind ohnehin in Einrichtungen untergebracht, folglich werden sie kaum wahrgenommen. Auf die Frage zur Akzeptanz der Migranten antworteten daher 62% der Befragten, sie hätten überhaupt keine Meinung zum Thema Einwanderung. 31% sagten, sie stünden Einwanderern positiv oder sehr positiv gegenüber, nur 7% meinten, die Aufnahme von Flüchtlingen sei eine schlechte oder sehr schlechte Idee. Die Zahlen waren auch in den vorangegangenen Jahren 2014 und 2013 sehr ähnlich. Auf die differenzierte Frage, ob man ungeachtet der Lage auf dem heimischen Arbeitsmarkt Migranten aufnehmen sollte, sind die Antworten ebenfalls etwas differenzierter, weichen aber nicht allzu sehr vom Durchschnitt ab: 32% meinten, man sollte jeden nach Rumänien einreisen und hier arbeiten lassen, 44% sagten, man solle Migranten nur dann aufnehmen, wenn es genügend Arbeitsplätze gibt, 20% sind für eine Quotenregelung für Migranten auf dem Arbeitsmarkt und nur 4% lehnen die Anstellung von Migranten und generell Ausländern auf dem rumänischen Arbeitsmarkt strikt ab.
Wenn es um die Stellung von ausländischen Arbeitnehmern auf dem heimischen Arbeitsmarkt geht, sind die Rumänen nicht mehr so tolerant: 76% der Befragten waren der Meinung, dass die Arbeitgeber heimischen Arbeitnehmern den Vorzug geben sollten, 15% haben keine Meinung zum Thema und 9% sind gegen Bevorzugungen.
Wenn es um das in Deutschland zum Dauerbrenner avancierte Thema Sozialleistungen geht, sind die Rumänen wieder tolerant, sofern sie ausländische Arbeitnehmer akzeptieren. 86% meinten, Ausländer sollten dieselben Sozialleistungen beziehen dürfen, 10% sprachen sich für weniger Sozialleistungen und 4% waren sogar für mehr Leistungen, die ausländischen Arbeitnehmern zugute kommen sollen. Hinsichtlich des Niederlassungsrechts generell meinten 38%, jeder sei hier prinzipiell willkommen, 55% sagten, Migranten sollte man nur selektiv ins Land lassen, und 7% waren strikt dagegen.
In diesem knapp 130 Seiten langen Integrationsbarometer gibt es auch weitere interessante Fragen, denen nachgegangen wurde. Die Zeit drückt aber schon, ich hoffe, Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben, lieber Herr Pawelczyk, und gehe damit zur Posteingangsliste über.
Postbriefe erhielten wir von Andreas Schäffer (danke für die kleine Spende für unsere Kaffeekasse), Christoph Paustian (danke für die beigelegten Zeitungsausschnitte) und Thomas Jeske (alle drei Hörer aus Deutschland) sowie von Ingmar Larsson (aus Schweden).
E-Mails erhielten wir bis Freitagabend von Josef Robl (Österreich) sowie von Werner Hoffmann, Hans-Joachim Pellin, Alfred Albrecht, Ralf Urbanczyk, Andreas Pawelczyk, Erik Öffinger, Reinhard Westphal (alle aus Deutschland). Das elektronische Feedbackformular nutzte Paul Gager (Österreich).
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