Desinformation im Internet: Social Media sind Brutstätten für Fake News
Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos mit einer Umfrage über den Medienkonsum in 16 Ländern beauftragt, in denen in diesem Jahr Wahlen stattfinden. Die Ergebnisse sind Anlass zur Besorgnis – immer mehr Menschen verlassen sich auf sozialen Netzwerken als Informationsquelle.
Corina Cristea und Sorin Georgescu, 17.05.2024, 17:53
Ein von der UNESCO entwickelter Plan zur Bekämpfung der grassierenden Online-Desinformation und -Hassrede basiert auf sieben Grundprinzipien und zielt darauf ab, die Integrität demokratischer Prozesse und der globalen Informationslandschaft zu schützen. Der Plan ist das Ergebnis eines beispiellosen Konsultationsprozesses, in den innerhalb von 18 Monaten mehr als 10 000 Beiträge aus 134 Ländern eingeflossen sind. „Falsche Informationen und Hassreden im Internet, die durch soziale Medienplattformen beschleunigt und verstärkt werden, stellen große Risiken für den sozialen Zusammenhalt, den Frieden und die Stabilität dar“, sagte Audrey Azoulay, Generaldirektorin der UNESCO.
Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos mit einer eine Umfrage über den Medienkonsum in 16 Ländern beauftragt, in denen in diesem Jahr Wahlen stattfinden, darunter auch in den Vereinigten Staaten. Die Ergebnisse zeigen, dass 56 % der Internetnutzer sich in erster Linie auf soziale Medien verlassen, wenn es um Nachrichten geht, ein Prozentsatz, der weit über den Konsum von Fernsehsendungen und der Nutzung traditionellen Medien liegt. Diese Verlagerung hin zu den sozialen Medien als vorherrschende Nachrichtenquelle gibt Anlass zur Besorgnis, weil die Glaubwürdigkeit der vermittelten Informationen im Vergleich zu den traditionellen Medien geringer ist. Mehr als 85 % der Befragten äußerten sich sehr besorgt über die Folgen von Falschinformationen im Internet, und 87 % von ihnen glauben, dass diese der politischen Landschaft in ihrem Land bereits geschadet haben.
In allen 16 Ländern, die Gegenstand der Studie waren, wurden Social-Media-Plattformen als die wichtigsten Brutstätten für Falschinformationen identifiziert, wobei 68 % der Befragten sie als die Hauptverantwortlichen für Desinformation bezeichneten. Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen und sicherheitspolitischen Krise in Verbindung mit den diesjährigen Wahlen verbreiten sich Fake News schneller als überprüfte Nachrichten, so dass die Menschen mehr mit Falschinformationen als mit glaubwürdigen Quellen konfrontiert sind, sagt Antonio Momoc, Dozent an der Fakultät für Journalismus und Kommunikationswissenschaften der Universität Bukarest. In seiner Forschungsarbeit setzt er sich mit der Art und Weise auseinander, wie die Kommunikation online stattfindet und wie sich die Medien an die neuen Herausforderungen anpassen. Soziale Netzwerke seien die größte Gefahr für die Verbreitung von Fake News, sagt Antonio Momoc:
„Es gibt viele Studien zu verschiedenen sozialen Netzwerken – Twitter, Facebook, Instagram, TikTok –, die zeigen, dass Fake News sich schneller und weiter verbreiten als überprüfte Nachrichten. Das ist eine mathematische, statistisch belegte Tatsache. Wahrscheinlich lesen viel mehr Menschen Fake News als verifizierte Nachrichten, viel mehr Menschen stoßen auf Verschwörungstheorien. Auf TikTok findet man jede Sekunde eine Verschwörungstheorie, man findet jede Sekunde eine Story, die alles Mögliche zu erklären vorgaukelt oder über Geschichte, Traditionen und aktuelle Ereignisse fabuliert. Ganz zu schweigen von Deepfake und ähnlichen Phänomenen. Die Algorithmen liefern die Informationen, die unsere Aufmerksamkeit erregen, die uns länger auf der Plattform halten und somit Einnahmen generieren. Die Algorithmen tun also das, wofür sie programmiert wurden, und an diesem Punkt machen die Suchmaschinen, die künstliche Intelligenz im Grunde genommen Geld für Google, für Facebook & Co. Was dort alles verdreht, verbreitet und verstärkt wird, sind in erster Linie unsere Gefühle der Frustration und des Hasses, unsere Wut – und die Tatsache, dass wir uns irgendwie mit Kommentaren und Reaktionen in den sozialen Medien revanchieren können.“
Diese Überflutung mit Informationen, Theorien und Fake News halte die Nutzer der Social Media in ihrer Blase gefangen, verstärke Ansichten und vorgefertigte Meinungen oder Vorurteile und bringe letztendlich Menschen dazu, sich gegen ein ganzes System zu stemmen. Es sei auch klar, dass der traditionelle Journalismus von den digitalen Plattformen beeinflusst werde, doch müssten die Qualitätspresse, die Radio- und Fernsehsender sich schnell an die neuen Trends anpassen und im digitalen Umfeld mit korrekten und qualitativ hochwertigen Informationen präsent sein, erklärt weiter der Medienwissenschaftler Antonio Momoc:
„Wir haben eine Studie über den Internet- und Fernsehkonsum vor und nach der Pandemie durchgeführt. Der Fernsehkonsum nahm vor, während und nach der Pandemie stetig zu. Wir waren davon ausgegangen, dass auch der Internetkonsum zunehmen würde, aber das war nicht der Fall – in Wirklichkeit gab es keinen Raum mehr für ein weiteres Wachstum. Sicherlich waren die Menschen während der Pandemie viel im Internet unterwegs, man saß ja zu Hause fest und hat etwa Online-Käufe betätigt. Doch was den Informationskonsum angeht, so haben die Menschen immer noch vorrangig die Nachrichten im Radio und Fernsehen oder in den Printmedien verfolgt, die ebenfalls online verfügbar waren. So gesehen sind Fernsehen und Radio immer noch vertrauenswürdige Medien. Sie sind Medien, bei denen die Menschen sehr genau wissen, dass professionelle Journalisten und Medienmacher dort arbeiten. Folglich sind Mediennutzer immer noch auf traditionelle Medien angewiesen, wenn sie qualitativ hochwertige Nachrichten erhalten möchten. Sicherlich gibt es immer mehr professionelle Journalisten auch auf alternativen Plattformen, aber Radio und Fernsehen konvergieren mit ihrer Präsenz auch im Internet. So ziehen sie auch das Online-Publikum an und kommunizieren auch mit ihm. Das Internet ist nur ein weiteres Medium, in dem sich Qualitätsjournalismus manifestieren kann.“