Filmemacher Radu Jude inszeniert erneut in Temeswar
Der Roman von Jean-Claude Carrière Der Disput von Valladolid“ wirft aktuelle Fragen auf, die der Filmemacher Radu Jude in seiner gleichnamigen Theaterinszenierung zum Ausdruck bringt.
Luana Pleşea, 15.03.2017, 19:05
Controversa de la Valladolid“ (Der Disput von Valladolid“) von Jean-Claude Carrière ist die dritte Theaterinszenierung des rumänischen Filmemachers Radu Jude. Die Aufführung in der Regie des Gewinners des Silbernen Bären für den Spielfilm Aferim!“ (2015) feierte Anfang März ihre Premiere im Temeswarer Nationaltheater Mihai Eminescu“. Im Mittelpunkt des gleichnamigen Romans von Jean-Claude Carrière stehe der Unterschied als Rechtfertigung für Missbrauch, sagt der rumänische Regisseur:
Dieser Text wirft Fragen über unseren Umgang mit den Mitmenschen und vor allem mit Andersdenkenden auf. Es handelt sich eigentlich auch darum, wie wir unsere eigene Identität aufbauen und somit wie wir uns von den Menschen unterscheiden, die unserer Meinung nach eine andere Identität haben. Der Roman von Jean-Claude Carrière beruht auf einer wahren Begebenheit: einer Auseinandersetzung zwischen dem Dominikaner Bartolomé de Las Casas und dem Weltpriester und Humanisten Juan Ginés de Sepúlveda in der spanischen Stadt Valladolid über die Versklavung der Amerindianer im Jahr 1550-1551. Im Mittelpunkt der Debatte stand die Frage: Inwiefern sind die Indianer, die im damals neu entdeckten Amerika lebten, wirklich Menschen, und wenn sie Menschen sind: Haben sie eine Seele derselben Qualität wie unsere? Der Spiegel, in dem wir uns sehen ist nicht gerade schmeichelhaft, weil er alle Mechanismen hervorhebt, durch die wir den Andersdenkenden das Menschsein, ihre Rechte und die Fähigkeit abstreiten, genauso wie wir zu sein. Das passiert in der Geschichte immer wieder, denn es wird meistens von unserer Bildung und von der menschlichen Natur bestimmt. Gewissermaßen ist das auch auf den Schrecken vor dem Anderssein, auf die Unfähigkeit, das Anderssein zu akzeptieren, zurückzuführen.“
Bei der Inszenierung eines solchen Romans müsse man den Mechanismen eine besondere Aufmerksamkeit schenken, die den Zuschauer zum Nachdenken über die eigenen Reaktionen und Einstellungen ermuntern, sagt der Regisseur Radu Jude:
Wenn man beginnt, sich Fragen zu stellen, wird man sich aller Denk- und Verhaltensmechanismen bewusst, die nicht nur schädlich sind, sondern uns alle als Menschen auch ärmer machen. Selbstverständlich kann man diese Reaktion nicht gleich erwarten, nachdem man einen einzigen Text gelesen oder eine einzige Theateraufführung gesehen hat. Es handelt sich um einen langen Prozess für jeden von uns, der auch mit unserer Bereitschaft zu tun hat, uns gegenüber solchen Themen offen zu zeigen. Wenn ich nicht glauben würde, dass es möglich ist, würde ich es nicht für möglich halten, das Thema zu erforschen.“
Laut Radu Jude sei Der Disput von Valladolid“ auch heute äußerst aktuell:
Die Frage, die als Ausgangspunkt der Inszenierung gilt und die ich mit der Bühnenbildnerin Iuliana Vâlsan diskutiert habe, war: Was würde eine solche Debatte in der heutigen Gesellschaft bedeuten? Heute finden solche Streitgespräche weder in Universitäten noch in Klöstern statt, sondern im Fernsehen. Die Fernsehduelle sind im heutigen Rumänien meistens geschmack-und niveaulos. Ich wollte eine Anspielung auf die Debattenkultur machen, die sich heute durch eine unerträgliche Trivialität auszeichnet. Ich habe diese Elemente in die Inszenierung eingeführt und somit eine doppelte Realität der theatralischen Situation erschaffen. Einerseits gibt es die reale Situation, also all die Auseinandersetzungen über die unterschiedliche Natur der Menschen, und gleichzeitig kommen als ständiger Unterton die Vermarktung, die Trivialität und die mangelnde Empathie gegenüber den Themen vor, worüber in der heutigen Gesellschaft debattiert wird.“
Als Theaterregisseur gab Radu Jude sein Debüt auf der Bühne des Nationaltheaters Temeswar mit der Inszenierung Scene dintr-o căsnicie“ (Szenen einer Ehe“) nach dem gleichnamigen Drehbuch von Ingmar Bergman. Im Herbst 2016 feierte der Filmemacher eine zweite Premiere im Bukarester unabhängigen Theater Apollo 111 mit der Inszenierung nach dem Filmdrehbuch des berühmten deutschen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder, Ali: Angst essen Seele auf“, einer Aufführung über Unterschiede und Tabus.