Spazieren einmal anders: Stadtrundgang auf den Spuren von Streetart
Als Streetart werden verschiedene, meist nichtkommerzielle Formen von Kunst im öffentlichen Raum bezeichnet, die nach der Absicht der Urheber durchaus dauerhaft dort verbleiben sollten. Streetart nahm auch in Rumänien in letzter Zeit zu.
Ana-Maria Cononovici, 24.09.2020, 17:30
Streetart ist immer häufiger auch in den Städten Rumäniens zu erblicken. Obwohl sie sichtbar sein sollte, nehmen sie die Passanten kaum wahr. Demnach entstanden mehrere Initiativen zur Förderung der Straßenkunst — unter anderem durch Spaziergänge. Und eben eine derartig bunte Initiative wollen wir heute in den Vordergrund bringen.
Valentin Dobrin organisiert in der Regel solche alternative Stadtrundgänge. Er kam auf die Idee nach einem Kurzaufenthalt in Berlin 2018, erzählte er uns. Berlin sei nämlich ein Hot Spot der Straßenkunst in Europa und weltweit.
Ich beteiligte mich dort an einem solchen alternativen Stadtrundgang und hatte großen Spaß. Als ich nach Bukarest zurückkehrte, erkundigte ich mich, ob wir auch so etwas anbieten würden. Ich wusste, dass sich die Straßenkunst in den letzten Jahren weiterentwickelt hatte, ich sah vielerorts Wandmalereien. Ich fand heraus, dass den Touristen zwei alternative Stadtrundgänge angeboten wurden. Daher kam ich auf den Gedanken, einen Stadtrundgang zu organisieren, der sich allerdings vielmehr an die Stadteinwohner richtete. Das war der Ausgangspunkt.“
Als eingeborene Bukaresterin fing ich an, mich zu fragen, ob ich wirklich wusste, was für Schätze meine Heimatstadt verbarg. Und ob meine Mitbewohner eine Ahnung davon hatten. Ich hätte Recht, Zweifel diesbezüglich zu haben, sagte Valentin Dumitru. Die Leute würden im Vorbeigehen nur wenig von der Umgebung wahrnehmen.
Die meisten Leute, die an meinem Stadtrundgang teilnehmen, kennen vermutlich zwei bis drei Wandmalereien. Sie kennen einige lokale Künstler, kennen sich mit Straßenkunst ein bisschen aus. Doch die meisten zeigen sich überrascht von dem, was ich ihnen zeige. Sie seien so oft an den Stellen vorbeigefahren oder gegangen und hätten dennoch die Kunstwerke nicht gesehen. Sie hätten keine Ahnung gehabt, dass hinter einem bestimmten Wohngebäude so eine Schönheit stecke. Der Stadtrundgang findet in der Innenstadt statt. Er beginnt am Revolutionsplatz (Piaţa Revoluţiei). Wir gehen dann die Calea Victoriei (Siegessztaße) hinunter, spazieren quer durch den Cişmigiu-Park und gehen weiter in Richtung Calea Griviţei. Von dort kehren wir zurück in die Innenstadt, zum Römerplatz (Piaţa Romană). Der Stadtrundgang dauert etwa 3,5 Stunden.“
Die Familie der Straßenkünstler habe sich ständig erweitert, so unser Gesprächspartner, der noch Folgendes hinzufügte:
Die Künstler kommen aus verschiedenen Milieus. Die Kids und Jugendlichen, die früher Wände mit Graffiti besprühten, sind zu den heutigen Street-Artists gewachsen. Der Übergang von Graffiti-Malerei zu Straßenkunst erfolgt ganz natürlich. Oder Buch-Illustratoren und Comics-Designer entwickeln sich weiter zu Straßenkünstlern. Die Gemeinschaft der Straßenkünstler ist in den letzten Jahren konstant gewachsen. Es ist ein organisches Wachstum und es fühlt sich gut an. Straßenkunst bedeutet allerdings nicht nur Wandmalerei. Die Kreativität kennt in dieser Hinsicht kaum Grenzen — die Künstler können entweder Sticker oder Abziehbilder auf verschiedenen Oberflächen ankleben oder es kann sein, dass sie zu Hause eine Zeichnung fertig stellen und sie danach an irgendeiner Stelle in der Straße aufkleben. Und es gibt noch viele andere Möglichkeiten.“
Die Straßenkunst befindet sich an der Grenze zwischen legal und illegal. Für die großen Straßenkunstwerke werden nämlich fast immer Genehmigungen beantragt. Kleinere Werke umgehen jedoch meistens die Bürokratie dahinter. Wir erkundigten uns bei Valentin Dobrin, ob ein gemeinsamer Nenner der Straßenkunstwerke bislang erkannt wurde:
Die angesprochenen Themen sind sehr vielfältig — es können politische oder soziale Themen sein. Viele angesprochene Motive hängen mit der persönlichen Lebenserfahrung des Künstlers zusammen. Straßenkunst nimmt zahlreiche Formen an: Graffiti, Wandmalerei, Sticker und Paste-Ups. Manche Künstler schöpfen sogar Keramikfiguren, die sie an verschiedenen eher verborgenen Stellen in der Stadt aufkleben. Diese Stellen muss man kennen, ansonsten sind sie schwer aufzuspüren. Darüber hinaus stellt sich konstant die Frage, ob ein Straßenkunstwerk Kunst oder Vandalismus sei. Viele Beobachter sind konfus diesbezüglich. Die Leute kennen nicht den Unterschied zwischen Graffiti und Straßenkunst. Also versuche ich, auch dieses Dilemma aufzuklären. Graffiti ist lediglich eine Schrift oder eine Zeichnung auf einer Wand, die zu Werbungszwecken gemalt wurde. Der einzige Zweck des Autors ist, seinen Namen auf der Wand zu sehen. Für ihn ist wichtig, dass auch andere seinen Namen wahrnehmen. Straßenkunst unterscheidet sich von Graffiti dadurch, dass sie immer auch eine Botschaft birgt. Je nachdem, wer sich das Kunstwerk anschaut, löst es verschiedene Reaktionen im Zuschauer aus. Straßenkunst besitzt eben diese Fähigkeit — eine Reaktion beim Publikum auszulösen.“
Und weil wir uns alle wünschen, schöne Stadtviertel kennenzulernen und gerne Geheimtipps annehmen, schickte Valentin Dobrin eine Einladung hinaus:
Falls es keine neuen Bewegungseinschränkungen [wegen der Pandemie] gibt, finden die Stadtrundgänge jeden Sonntag um 11 Uhr statt. Der Treffpunkt ist am Revolutionsplatz. Mehr Einzelheiten dazu können unter www. alternative-bucharest.com erfahren werden. Die Spaziergänge dauern, solange das schöne Wetter anhält.“