La blouse roumaine: Rumänische Leinenbluse erobert die Mode
Die rumänischen Volkstrachten kehren wieder in die Mode zurück. Mit einem eher einfachen oder vielmehr komplexeren Schnitt, spärlicher oder reicher bestickt, wachen die rumänischen traditionellen Blusen wieder zum Leben auf.
Ana-Maria Cononovici, 26.12.2019, 17:30
Virginia Linul wurde im Landkreis Bistriţa-Năsăud (Bistritz-Nassod) geboren. In ihrer Familie wurden traditionelle bestickte Blusen schon seit immer genäht. Heutzutage ist Virginia Eigentümerin eines regelrechten Museums für rumänische Trachten. Sie sammelte um sich herum 50–60 Mitarbeiterinnen, die ihr beim Nähen helfen. Den Sinn ihrer Arbeit begriff sie aber erst später. Vertrauen zu den von ihr gefertigten Kleidungsstücken gewann sie nämlich erst 1999. In dem Jahr beteiligte sich Rumänien an dem Smithsonian Folklife Festival in Washington. Unser Land stellte beim Festival verschiedene Volkstrachten vor, aber auch traditionelle Gerichte und andere volkstümliche Bräuche. Ihr Beruf setze eine hohe Verantwortung voraus, sagte uns Virginia Linul:
Wir fertigten zunächst Volkstrachten, die für unsere Region — Bistriţa-Năsăud — spezifisch sind. Danach nähten wir auch Volkstrachten, die für andere Regionen des Landes typisch sind. Die Arbeitstechnik ist ähnlich, nur die Muster sind verschieden. Wir haben sehr verantwortungsvoll gearbeitet, haben uns im Voraus dokumentiert, sowohl in Museen wie auch vor Ort, auf dem Land. Ich nähe nicht bloß Volkstrachten, um eine Bestellung los zu werden. Ich ahme keine Volkstracht künstlich nach, sondern übernehme die Verantwortung für die kommenden Generationen. Denn wenn wir unseren Kindern gefälschte traditionelle Blusen anbieten, werden sie irgendwann mal glauben, es seien Originalteile. Sie werden meinen, das sei das Richtige. Wir Eltern tragen die Verantwortung für die Entwicklung der nachkommenden Generationen. Wir wollen ihnen die wahre Tracht nahe bringen: Eine Volkstracht muss authentisch und von der Hand genäht sein. Nur so wird sich das Kind merken, wie eine echte Volkstracht auszusehen hat.“
Virginia Linul erklärte uns, in unserem Land gäbe es 450 ethnografische Regionen. Es sei unsere Pflicht, ihre Repräsentativität aufrecht zu erhalten. Sie erzählte uns auch, dass die rumänische Volkstracht wieder in die Mode zurückkehrte:
2011 kam nach Rumänien ein französischer Designer, Philippe Guiller. Er arbeitete als Leiter der Kulturabteilung bei der Botschaft Frankreichs in Bukarest. Er reiste kreuz und quer durch das Land und verliebte sich in seine Schönheit. Er erkannte die Kunst in den handwerklich erzeugten Produkten, in den Schmuckstücken und wusste, diese zum Vorschein zu bringen. Er stellte eine Sammlung zusammen und präsentierte sie unter dem Namen »100%.ro. prejudecăţi« (zu dt. in etwa: 100% rumänische Vorurteile). Dank diesem Ausländer, der mit mir zusammenarbeitete, wurden 60% der Kollektion hier gefertigt — mit Handwerkern in Maramureş, in der Bukowina, in Braşov, in der Kleinen Walachei (Oltenien). Wir arbeiteten mit Handwerkern aus allen Ecken Rumäniens zusammen und ließen die rumänische volkstümliche Kunst zum Vorschein kommen. Das Projekt wurde gefördert, TV-Sender berichteten darüber. Und so erfuhren viele Prominente über unsere Erzeugnisse und sie begannen, sie zu tragen. Sie zogen die rumänische traditionelle Bluse anlässlich des Nationalfeiertags an, danach auch bei anderen Gelegenheiten. Nach einem Jahr fing Andreea Tănăsescu, die Gründerin der Webseite »La Blouse Roumaine« an, die traditionelle bestickte Bluse auf Facebook zu fördern. Sie organisierte auch verschiedene Events zum Thema.“
Die Präsenz der rumänischen Volkstrachten im Internet wird immer deutlicher. Ein Beispiel dafür ist der Verein Semne cusute“ (dt. genähte Symbole). Seit Juni schon ist der Verein auf Google Arts and Culture durch eine Ausstellung vertreten. Es handelt sich um die Ausstellung Îmbrăcate în povești“ (dt. märchenhaft bekleidet). Die Ausstellung erkundet das Handwerk des Webens. Konkret dokumentiert die Ausstellung, wie traditionelle rumänische Blusen gewoben und bestickt werden und enthüllt das Geheimnis der Geschichte, die hinter dem Stickmuster steht. Sämtliche Farben und Symbole werden dabei entschlüsselt. Wir haben es mit einer Reise an die Grenze zwischen Kunst und Tradition zu tun. Ioana Corduneanu ist die Begründerin des Vereins Semne cusute“. Sie erzählte uns mehr Einzelheiten über die Fertigung einer traditionellen Bluse:
Ich hoffe, wir werden allmählich die billigen Stoffe vergessen und uns daran erinnern, wie unsere Großmütter und Urgroßmütter dieses Handwerk vollbrachten. Sie arbeiteten mit Leinen, Hanf, Seide und Wolle. Das sind gesündere Stoffe, sowohl für uns als auch für unseren Planeten. Es sind edlere Stoffe — und unsere Hemde, unsere Blusen verdienen eine derartige Behandlung. Mit Sicherheit gibt es Damen, die ihr Outfit mit einer solchen Bluse stilvoll ergänzen möchten.“
Ioana Corduneanu erzählte uns, die Mitglieder der Gruppe Semne cusute“ würden meistens aus Spaß nähen:
Sie nähen aus Spaß, denn Sticken ist eine Kunst, eine Entspannungsmethode. Sie nähen die Blusen für sich selbst, um sie selber zu tragen. Oder sie verschenken sie an ihre Familienmitglieder. Die großzügigsten von ihnen nähen die Blusen, um sie im Rahmen unserer Ausstellungen zu zeigen. Die Ausstellungen können mittlerweile auch im Internet gesehen werden.“
Die Damen, die sich der Näherinnengruppe gesellen möchten, brauchen nur ein paar einfache Schritte zu machen — so Ioana Corduneanu:
Wer auf Google nach den Begriffen »semne cusute« (dt. genähte Zeichen) sucht, findet das Blog der Gruppe sowie einen Link zur entsprechenden Facebook-Seite. Sie können der Gruppe beitreten, ihre Aktivität verfolgen und den Wunsch ausdrücken, der Näherinnengruppe auch in Wirklichkeit, nicht nur online, beizutreten. Die verwendeten Symbole haben universellen Charakter, sind allgemein verständlich. Spezifisch Rumänisch ist die Grammatik, die Aufstellung der Buchstaben in Sätzen. Darin besteht unsere Einmaligkeit. Und so können wir unsere Hemde und Blusen von denen unserer Nachbarn unterscheiden. Wir können sogar so weit gehen und aus den Motiven erschließen, in welchem Dorf oder in welcher Region das Hemd genäht wurde. Es gibt Frauen aus den Niederlanden, Bulgarien oder Japan, die zusammen mit uns nähen. Denn sie haben verstanden, dass es eigentlich um universelle Werte geht, die durch dieses Handwerk weiter übertragen werden.“
Anlässlich des diesjährigen Nationalfeiertags Rumäniens am 1. Dezember trugen mehrere Damen zusammen mit Ioana Corduneanu im Pariser Zentrum Pompidou die rumänische Volkstracht, ergänzt durch einen blauen Rock. Wieso ein blauer Rock die traditionelle Volkstracht ergänzte, verstanden wir erst später, als wir bemerkten, dass sich die Besucher mit den Damen fotografieren ließen. Allerdings nicht an einem beliebigen Ort, sondern direkt neben dem Gemälde von Henri Matisse La blouse roumaine“ (beendet im April 1940).