Kinospaß für sehbehinderte Menschen
In Bukarest hat Mitte des Monats Mai ein Filmfestival der besonderen Art stattgefunden. Ana-Maria Cononovici über die besondere Herausforderung, sehbehinderte Menschen mit einem Medium zusammen zu bringen, das nicht für sie geschaffen scheint.
Ana-Maria Cononovici, 04.06.2015, 17:45
Die Methode, Filme auch blinden Menschen zugänglich zu machen, hört sich einfach an, ist aber relativ aufwändig. Neben dem Filmdialog und der Musik wird per Kopfhörer wie beim Simultandolmetschen pausenlos ausführlich beschrieben, was auf der Leinwand gerade zu sehen ist. Zehn rumänische Filme aus der mehr oder weniger neuen Produktion sind in diesem System auf dem ersten Filmfest für sehbehinderte Menschen vorgeführt worden: Aferim!“ von Radu Jude, Am Dienstag nach Weihnachten“ von Radu Muntean, Poarta Albă“ von Nicolae Mărgineanu, Roxanne“ von Vali Hotea, Die Medaille“ sowie Mutter und Sohn“ von Călin Peter Netzer, Hinter den Hügeln“ von Cristian Mungiu, Von Schnecken und Menschen“ von Tudor Giurgiu, Love Building“ von Iulia Rugină und Amerika, wir kommen“ von Răzvan Săvescu. Das Festival wurde von der Stiftung Wanderndes Buch“ in Partnerschaft mit dem Rumänischen Filmförderverein ausgerichtet, die Filmvorführungen fanden im Elvira-Popescu-Kino des französischen Kulturinstituts und im Kino des Bauernmuseums statt. Die Projektleiterin des Festivals, Gabriela Dima, sagt, dass die Organisatoren von einer einfachen Überlegung ausgegangen sind:
Filme mit Hörbeschreibung sind in Rumänien schon seit 2007 gemacht worden und sind bei ihrem Zielpublikum auch sehr gut angekommen. Jedes Jahr wird beim internationalen Filmfestival Transilvania ein solcher Hörfilm gezeigt. Aber ein Film pro Jahr reicht natürlich nicht aus — und deshalb haben wir gedrängt, mehr zu machen. Nicht nur für das Zielpublikum, sondern auch für das Publikum ganz allgemein, denn es ist wichtig, diese Art von Film zu fördern, damit die Menschen über dieses Angebot für sehbehinderte Bescheid wissen. Und es ist vielleicht noch wichtiger, dass die Filmindustrie aufmerksam wird. Produzenten, Regisseure, Vertriebsunternehmen und Kinos sollten schon von Anfang an daran denken, den Film auch für sehbehinderte Menschen anzubieten und nicht erst viel später, nach dem regulären Kinostart. Ein Festival für sehbehinderte Menschen, das in Bukarest organisiert wird, hätte mehr Chancen, im ganzen Land Profil zu zeigen.“
Projektmanagerin Gabriela Dima sagt, dass die rumänischen Produktionsfirmen von Anfang an begeistert waren — ihnen gefiel das Projekt, auch deshalb, weil ja das Leben nicht endet, nur weil man blind ist. Man darf sich auch weiterhin an allen Formen der Kunst erfreuen:
Diese Ausgabe haben wir aus zwei Gründen dem rumänischen Film gewidmet: Erstens ist Film jetzt sehr in, zweitens waren die Leute in der rumänischen Filmindustrie Feuer und Flamme. Wir haben nur kurz angerufen oder eine E-Mail geschickt und schon war das OK für die Verarbeitung als Hörfilm da. Es war nicht viel Vertragsarbeit zu erledigen. Als Festival in der Anfangsphase hätten wir für ausländische Filme mehr arbeiten müssen, um urheberrechtliche Vereinbarungen zu treffen. Aber auch sonst wollten wir in erster Linie mit der rumänischen Filmindustrie arbeiten.“
Der Aufwand ist auch technisch nicht von der Hand zu weisen. Die sogenannte Audiodeskription oder akustische Bildbeschreibung macht es möglich, dass blinde und anderweitig sehbehinderte Menschen der Handlung folgen können. Parallel zur Tonspur läuft also immer auch ein Band mit Erklärungen mit, erläutert Gabriela Dima:
In den Dialogpausen werden Mimik, Gestik, Bühnenbild, Kostüme, das Zusammenspiel zwischen den Hauptfiguren geschildert — dem Publikum wird jede Information gegeben, die zum besseren Verständnis beitragen kann. Der Regisseur will durch Bild, Licht, Schatten usw. Gefühle vermitteln — und das müssen wir in der Beschreibung berücksichtigen. Szenen ohne Dialog sind übrigens am schwersten zu beschreiben.“, meint Gabriela Dima — und gibt prompt ein Beispiel. Die letzte Minute im Film Poarta albă“ über ein rumänisches Straflager im kommunistischen Gulag mussten sich die Autoren der Hörfilmversion 45mal ansehen, um die Botschaft des Regisseurs zu vermitteln — es ging um einen Bogen, der zum Anfang des Films gespannt ist.
Interessanterweise greifen nicht nur Sehbehinderte zu den Kopfhörern, es ist auch für die anderen Zuschauer eine neue Erfahrung, die Filme so zu erleben — manches kriegt man gar nicht von Anfang an mit und die Bildbeschreibung macht die Zuschauer darauf aufmerksam, weiß Gabriela Dima aus eigener Erfahrung:
Wir haben »Aferim« bearbeitet, weil wir diesen Film unbedingt im Festival haben wollten. Das ganze Team war dabei — es gibt dort eine Szene, in der die Hauptperson gefoltert wird. Man glaubt, dass wegen der Schreie die Menschen, die der Folter zuschauen, genauso betroffen sind wie wir als Zuschauer. Weil die Schreie uns störten, haben wir den Ton auf stumm gestellt und uns nur die Gesichter angesehen: Die Menschen sahen gefühllos zu, denn im Jahr 1835 war Folter ein alltägliches Spektakel. Das haben wir in die Beschreibung eingefügt und es war eine Bereicherung.“
Das Festival war ein Erfolg, auch wenn es in dieser Ausgabe noch keine Preise gab. Für nächstes Jahr planen die Veranstalter aber einen Wettbewerb zwischen den Produzenten von Spiel- und Kurzfilmen.
Werbespot des Filmfestivals für Sehbehinderte: