Dokufilm-Festival „One World Romania“: Minderheiten und marginale Identitäten im Vordergrund
Das 13. internationale Dokumentarfilm-Festival wurde dieses Jahr identitätslosen Menschen gewidmet. Damit meinten die Organisatoren Menschen am Rande der Gesellschaft, die in den Augen der anderen keine klare Identität haben.
Corina Sabău, 03.10.2020, 05:30
Die Dokumentation Strada Deşertului nr. 143“ / Wüstenstraße Nr. 143“ hat dieses Jahr die Trophäe des Internationalen Festivals für Dokumentarfilm und Menschenrechte One World Romania“ gewonnen. Die französisch-algerisch-katarische Koproduktion des algerischen Filmemachers Hassen Ferhani wurde im vergangenen Jahr auch beim Internationalen Filmfestival in Locarno und bei den internationalen Filmfestspielen Rencontres internationales du documentaire“ in Montréal preisgekrönt. Den Preis des Publikums erhielt der französische Dokumentarfilm Ne croyez surtout pas que je hurle !“ / Glauben Sie nicht, dass ich schreie!“ von Frank Beauvais.
Vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie fand das 13. internationale Filmfestival One World Romania“ im Freien und online, fünf Monate später als geplant, statt. Die Festspiele sollten ursprünglich im Monat März stattfinden, besser gesagt eine Woche nachdem der Notstand ausgerufen wurde. Doch nun konnten die Organisatoren mit Unterstützung des Rumänischen Kulturinstituts das Festival endlich neu planen. Dieses Jahr war das Festival dem Menschen ohne Identität, ohne eine klare Identität in den Augen der Mehrheit gewidmet, dem Ausländer, dem Mitglied einer Minderheit, dem Menschen am Rande der Gesellschaft, es handelt sich um alles, was nicht die Norm ist. Je nach Kontext kann das jemand aus der Roma-Gemeinschaft oder LGBT-Community, ein armer Mensch, ein Flüchtling oder ein Immigrant sein.
Der künstlerische Leiter des Festivals Andrei Rus spricht über die Themenwahl:
Vor kurzem wurde eine vom Nationalen Rat zur Bekämpfung der Diskriminierung in Auftrag gegebene Umfrage veröffentlicht. Die Umfrage ergibt das Ausmaß von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie in der rumänischen Gesellschaft. Die Umfrage wurde 2018 durchgeführt und enthielt Fragen wie: »Würden Sie akzeptieren, dass eine Person, die der ethnischen Gemeinschaft der Roma entstammt, Teil Ihrer Familie, Ihr Freund, Arbeitskollege oder Nachbar ist?« Interessant ist, dass die Ergebnisse zum ersten Mal seit 30 Jahren recht ermutigend sind. Natürlich sind wir weit davon entfernt, eine integrative Gesellschaft zu sein, die zu 100% die Vielfalt und den Multikulturalismus akzeptiert. Aber zum ersten Mal beantwortete mehr als die Hälfte der Befragten diese Fragen positiv. Das war unser Ausgangspunkt, denn One World Romania ist ein Dokumentarfilm- und Menschenrechtsfestival. Und wenn wir über Menschenrechte sprechen, sprechen wir auch über Aktivismus und Partizipation. Damit meine ich, dass die von uns gezeigten Dokumentarfilme auf Probleme aufmerksam machen, auf Aspekte, die in der rumänischen Gesellschaft nicht funktionieren. Dieses Jahr dachten wir, es wäre gut, eine eher positive Einstellung zu haben, also gingen wir von der Marginalisierung bestimmter Kategorien aus und zeigten, dass wir dennoch eine Art Etappensieg errungen haben, wenn man das so nennen kann. Ich denke, es ist wichtig, auch in einem langfristigen Kampf kleine Siege zu erringen. In dieser Zeit der Gesundheitskrise ist jedoch eine gewisse Rhetorik radikaler geworden, es wurde auch viel übertrieben, man suchte nach Gründen für die schnelle Ausbreitung von Covid-19, und wie immer — und nicht nur in Rumänien — wurden die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen von einem großen Teil der Presse beschuldigt. Um auf die Studie zurückzukommen, von der ich gesprochen habe: Ich weiß nicht, ob die Ergebnisse von 2018 heute noch gültig sind. Man denke nur daran, dass die Roma oder Menschen, die im Ausland arbeiteten und zu Beginn der Epidemie nach Rumänien zurückkehrten, meist eher sozial benachteiligte Menschen, in manchen Presseberichten für Sündenböcke für die Ausbreitung von Covid-19 gehalten wurden.“
Die Hauptsektion des Festivals trug den Titel Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe“ und wurde der Roma-Minderheit gewidmet. Die zwölf Produktionen in dieser Sektion wurden bei der Verde Stop Arena in Bukarest gezeigt. Andrei Rus kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten über die Auswahl der Filme, die in dieser Sektion gezeigt wurden:
Wir haben zwölf Dokumentarfilme über Roma aus verschiedenen Jahrzehnten ausgewählt. Wir haben auch biografische Filme in diese Kategorie aufgenommen, wie zum Beispiel den über den berühmten Musiker Django Reinhardt. Es gab auch den biographischen Film über Katarina Taikon, eine Art weibliche Version von Martin Luther King, die in den 1960er Jahren in Schweden lebte und eine eifrige Aktivistin für die Bürgerrechte der Roma war. Einige dieser Filme, die seit den 1950er Jahren produziert wurden, sind Produktionen aus ehemaligen kommunistischen Ländern, wie z.B. »Citizen Gyuri«, das Meisterwerk von Pál Schiffer aus Ungarn oder »Before the Leaves Fall« vom polnischen Regisseur Władysław Ślesicki. Auf dem Programm standen auch einige sehr aktuelle Dokumentarfilme, zum Beispiel »Acasă« / »Mein Zuhause« von Radu Ciorniciuc. Dieser Film, der das Festival eröffnete, erzählt die Geschichte einer Roma-Familie, die im Bukarester Văcăreşti-Delta lebte, bevor es in einen Naturpark umgewandelt wurde. Oder »A Lua Platz«, eine französische Produktion über Roma aus Rumänien, die versuchen, in Frankreich Arbeit zu finden.“
Auch nach Ende der Festspiele setzt jedoch das One-World-Team seine Arbeit fort, anderswo in Rumänien oder online. Eine in Rumänien dringend benötigte Arbeit, denn diese Dokumentarfilme könnten allmählich einen Mentalitätswandel herbeiführen.