Bewegender Dokumentarfilm über Dichterin Nina Cassian in den Kinos
Nach seiner internationalen Premiere beim Filmfestival in Triest wurde Anfang März der Dokumentarfilm Der Abstand zwischen mir und mir“ über die Dichterin Nina Cassian in der Regie von Mona Nicoară und Dana Bunescu in den rumänischen Kinos gezeigt.
Corina Sabău, 24.08.2019, 17:30
Mit ihrem Ruf als verführerische Frau, erstaunlich trinkfest und Kettenraucherin war die Avantgarde-Dichterin, Literatur-Übersetzerin, Komponistin und Grafikdesignerin Nina Cassian (1924–2014) sowohl Komplizin des stalinistischen Regimes als auch problematisch für die kommunistischen Anführer. Sie geriet in einen direkten Konflikt mit dem Ceauşescu-Regime. 1985 entschied sie sich für einen ungewollten Exil in New York, nachdem der [mit ihr befreundete] Dissident Gheorghe Ursu ermordet wurde“, sagen die Filmemacher.
Wir luden Mona Nicoară und Dana Bunescu zu einer Diskussion über ihren Dokumentarfilm ein, eine Diskussion, die uns helfen würde, zu verstehen, wie ein Film von einer Stunde und dreißig Minuten die Geschichte eines solch komplexen Lebens wiederherstellt und Nina Cassian auf ihrem Weg begleitet, die eigenen Optionen in Frage zu stellen. Der Film, der von Hi Film Productions (Rumänien) und Sat Mic Film (USA) in Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TVR produziert wurde, hat aufgrund der komplizierten Lebensgeschichte von Nina Cassian in Rumänien viele Reaktionen ausgelöst.
Dies ist der Grund, warum der Dokumentarfilm und die Art, wie er gemacht wurde, meistens im Hintergrund belassen wurden. Alles fing im Jahr 2013 an, als Mona Nicoară begann, Nina Cassian kurz vor ihrem Tod in ihrer New Yorker Wohnung zu filmen. Die Archivrecherchen wurden bis 2014 erweitert. Die Hauptfinanzierung kam erst 2015. Während des Films spricht Nina Cassian über ihre Gedichte, die Gründe, aus denen sie sich dem Kommunismus verschrieben hat, die Enttäuschungen, die das Ceauşescu-Regime in Rumänien mit sich brachte. Einer der Vorwürfe, die den beiden Filmemacherinnen gemacht wurden, ist, dass sie eine proletkultistische Schriftstellerin in eine Ikone verwandelt haben. Das, obwohl Nina Cassian außer ein paar Bänden (aus den 1950er Jahren), in denen sie ihre politischen Überzeugungen zum Ausdruck brachte, etwa 20 weitere Bände von Gedichten und ebenso viele Bücher für Kinder veröffentlicht hat. Mona Nicoară über die Vorwürfe gegen den Film:
Ich glaube nicht, dass wir es geschafft haben, Nina in eine Ikone zu verwandeln, Nina war schon lange eine Ikone. In der Schwulengemeinschaft zum Beispiel war sie bekannt, sie galt als eine der großen Verbündeten dieser Gemeinschaft. In Schulbüchern oder im Fernsehen wurde sie als Autorin von Kinderbüchern oder als proletkultistische Dichterin präsentiert. Je nach den Umständen beurteilt jeder einen Teil, eine Facette ihrer Persönlichkeit. Es ging uns darum, all diese Versuche, Ninas Persönlichkeit zu beleuchten, zusammenzubringen, um zu sehen, wie all die Gesichter zusammenpassen. Tatsächlich stand sie all diesen Wahrnehmungen sehr kritisch gegenüber.“
Der Abstand zwischen mir und mir“ sei kein testamentarischer Film. Alles, was sie gesagt hat, um sich zu erklären oder zu rechtfertigen, hatte Nina Cassian bereits in Memoiren geschrieben, so die Regisseurin Mona Nicoară. Aber sie mochte die Idee des Films, der Fragmente ihres Lebens zusammenbringt und sie mit der Gegenwart konfrontiert. Mona Nicoară:
Was mich an diesem Dokumentarfilm interessiert hat, war zu sehen, was hinter dieser Aussage steht, die den Titel des Films gibt und die ich in ihren Memoiren, »Die Distanz zwischen mir und mir«, gefunden habe. Ich wollte wissen, wie eine Person mit einer komplizierten Lebensgeschichte ihre Vergangenheit bewältigt. Ich nahm an, dass es eine komplizierte Beziehung zwischen dem Archiv und ihrem persönlichen Gedächtnis sein würde, und ich wusste nicht, wie wir all diese Dinge lösen werden. Gleichzeitig wollten wir es mit diesem Archiv in Verbindung bringen. Andererseits ist es auch so: Wenn man mit der Arbeit an einem Film beginnt, fühlt man eine Unsicherheit, man weiß nicht, wo man hingelangen wird, und die Tendenz besteht darin, so viel Material wie möglich zu sammeln. Neben diesen Interviews, die die Grundlage des Films bildeten, hatten wir einige Dinge, die wir verwenden konnten: ein Archiv, das keine direkte Verbindung zu Nina hatte, einige Filme, die ich mit Ovidiu Mărginean und Rudolf Costin in New York und Bukarest gemacht hatte. Dana Bunescu hat mich überzeugt, auf diese zu verzichten. Dank Dana bin ich zu dieser scheinbar formalen Einfachheit gekommen, die den Film zu dem gemacht hat, was ich wollte: eine Beziehung zwischen Nina Cassian und sich selbst.“
Bis zur endgültigen Version des Films probierte Mona Nicoară viele Varianten aus. Zusammen mit Dana Bunescu kam sie zu dieser sehr einfachen Struktur, die die Chronologie eines Lebens nachstellt. Dana Bunescu:
Der Film entstand nach vielen Diskussionen über das Material, das wir hatten. Und wir hatten viel Material: die Dreharbeiten, die Mona im Jahr 2013 gemacht hatte, also das Interview mit Nina Cassian. Dann die Recherche beim CNSAS (Nationaler Rat für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs) und im Staatsarchiv. Auch das Archiv des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVR und das Nationale Filmarchiv. Mona kannte all diese Aufzeichnungen, schaute sie sich erneut mit mir zusammen an, und wir haben viel darüber geredet, was wir behalten und wie wir das Material organisieren. Von einem Punkt zum anderen gab es viele Anordnungsversuche, so dass unsere Geschichte effizient und klar ist und Raum für Fragen lässt. Der schwierigste Teil war wahrscheinlich die Einfügung von Teilen der Securitate-Akte Nina Cassians und von Aufzeichnungen durch einen Spitzel, die wir vom CNSAS erhalten haben, weil damit das Auftreten einer dritten Person in der Dokumentation bewirkt wird — es ist die Stimme einer unbekannten, nicht näher identifizierbaren Person, die aber im Leben Ninas existierte.“
Dana Bunescu sprach mit uns über die Reaktionen, die der Film ausgelöst hat.
Ich war froh, junge Leute im Saal zu sehen. Junge Leute, die nicht genau wussten, was für einen Film sie sehen werden, aber ich hörte sie nach dem Film sprechen, sie wollten nach Nina Cassians Büchern suchen. Nichts hat mich stärker berührt.“