Theaterfestival in Piatra Neamţ: Jubiläum hoch zwei
Die 30. Ausgabe des Theaterfestivals Piatra Neamţ stimmt mit dem 60. Jubiläum des Theaters der Jugend“ in der moldauischen Stadt überein.
Luana Pleşea, 29.09.2018, 17:30
Es ist also eine besondere Jubiläumsausgabe des ersten Theaterfestivals außerhalb der Hauptstadt, das 1969 gegründet wurde, und auch das erste Festival für Kinder und Jugendliche. Das diesjährige Thema des Festivals in Piatra Neamţ lautet in einer freien Übersetzung Das Archiv der Staatsunsicherheit“. Die ironische, jedoch ernste Formel spielt auf die Geschichte des Festivals und gleichzeitig auf seine Gegenwart an. Die Regisseurin und Dramatikerin Gianina Cărbunariu, Intendantin des Theaters der Jugend und Kuratorin des Festivals, mit der Begründung des Vorschlags.
Weil es die 30. Jubiläumsausgabe ist, haben wir das sehr großzügige Archiv des Theaters der Jugend durchforstet. Ich habe sehr interessante Dinge entdeckt. Wir gingen auf einige der Themen ein, die wir erforschen wollten, und so waren wir eine Zeit lang Archivare. Auf der anderen Seite ist die Theatershow, die mit der Realität, in der wir leben, verbunden ist, eine Art Archiv des Augenblicks. Gleichzeitig erleben wir sehr interessante, nicht ganz einfache Zeiten. Und dann wird das Festival, das diese Macher mit ihren Aufführungen und anderen Veranstaltungen — Diskussionen, Workshops — zusammenbringt, selbst zum Archiv. Wir möchten, dass der Akzent auf die von vielen der eingeladenen Künstler untersuchten Themen fällt, nämlich unseren heutigen Wunsch, die eigenen Ängste, die eigenen Ambitionen, Bestrebungen, Hilflosigkeit zu archivieren. Wir machen das mit allen Kommunikationsmitteln.“
Angesichts der Festivals in vielen rumänischen Städten, die über ein Theater verfügen, und der Festspiele jenseits der Landesgrenzen besteht laut Gianina Cărbunariu die Notwendigkeit, uns in die Situation zu versetzen, über die Richtungen nachzudenken, in die wir gehen wollen und einen sehr klaren Platz in diesem Kontext zu definieren.“
Ich denke, wir befinden uns immer noch in einer Erkundungsphase dessen, was das Festival bedeutet. Und ich denke, das ist eine gute Sache. Weil dieses Festival im Laufe der Zeit neu erfunden wurde, unter Beibehaltung bestimmter Ausrichtungen. Aber interessanterweise scheint es mir, dass die Kuratoren in den anfänglichen Ausrichtungen — Originalität, zeitgenössische Dramaturgie, junge Schöpfer, die Schaffung eines jungen Publikums –, die den Grundstein des Festivals bilden, immer Neues gebracht und das Festivalkonzept jedes Mal neu erfunden haben. Für das diesjährige Festival haben wir mehrere Sektionen. Allen voran die Sektion »Young Creators«. Voraussetzung für die Teilnahme daran war, dass die Person, die die Ausstellung signierte — der Regisseur, der Autor — nicht älter als 30 Jahre sein sollte. Wir wollten Künstler am Anfang ihrer Karriere fördern.“
Ligia Ciornei studierte Regie und Filmproduktion an der Theater- und Filmakademie in Bukarest. 2017 war sie mit ihrem Kurzfilm Vintage“ auf den Filmfestspielen in Cannes vertreten. Sie kam heuer mit der Aufführung Grounded“ von George Brant zum Theaterfestival Piatra Neamţ, produziert vom Kulturverband DOCTORS STUDIO in Bukarest. Die Aufführung mit der talentierten Schauspielerin Isabela Neamţu repräsentiert das Debüt von Ligia Ciornei auf der Bühne. Die Hauptfigur aus Grounded“ ist eine Bomberpilotin, die Mutter und Ehefrau wird, die aber bei der Rückkehr aus ihrem Mutterschaftsurlaub wieder fliegen will. Also wird sie vom System recycelt“ und in die Wüste geschickt, um Drohnen zu fliegen. Die Regisseurin Ciornei erläutert:
Ich habe drei oder vier Kurzfilme gemacht, in denen ich von starken Frauen spreche. Mein letzter Dokumentarfilm handelt von Roxana Tudose, einer internationalen Schießmeisterin in der Kategorie Gewehr. Praktisch ist dieser Bereich der Armee und der Härte und Weiblichkeit auch in meinen Kurzfilmen zu finden.“
Aus dem Originaltext wollte Ligia Ciornei die für das rumänische Publikum relevante Themen beibehalten.
Das Thema der Familie, eines nicht normalen Arbeitsplatzes — und genau das hat uns irgendwie angezogen –, die Tatsache, dass sie F16-Pilotin ist; dann das Verhältnis zwischen der Arbeit und dem Familienleben.“
Die diesjährige Ausgabe des Theaterfestivals in Piatra Neamţ umfasst auch einen nationalen Bereich, in dem Künstler verschiedener Altersstufen zu einem Realitätscheck eingeladen wurden, zu wichtigen Themen der rumänischen und der zeitgenössischen Gesellschaft im Allgemeinen. Ein wichtiges Auswahlkriterium war, dass die Aufführungen Dialogthemen bieten können.
Anfang der neunziger Jahre initiiert, wurde die internationale Sektion von der Intendantin und Kuratorin Gianina Cărbunariu wieder eingeführt. Eingeladen in diesem Jahr: Le Petit Chaperon Rouge“, Text und Regie: Joel Pommerat, Antonio und Beatrix“, eine Koproduktion der Companhia de Teatro de Braga, Theater Circo und das Theater der Jugend sowie Work in Progress“, eine Performance von Gianina Carbunariu selbst, produziert von der Teatro Fondazione in Emilia Romagna. Ausgehend von einer intensiven Recherchearbeit untersucht die Aufführung die Arbeitsbedingungen in Europa, ein Thema, das die Theatermacherin Gianina Cărbunariu beschäftigt hat.
Es passieren so Dinge, angefangen bei der Anfälligkeit der Arbeiter für schlecht bezahlte Jobs, etwa durch immer mehr befristete Arbeitsverträge. Unterdessen gibt es viele Dinge, die mit neuen Bedingungen in der Gesellschaft zusammenhängen. Die Freizeitgestaltung wird immer schwieriger. In dem Moment, in dem du die Bürotür schließt, bist du nicht frei. Das Telefon klingelt ununterbrochen, die Mails… Ich habe Interviews mit über hundert Menschen in der Stadt Modena und Umgebung geführt, mit Menschen zwischen 25 und 35 oder 40 Jahren, die arbeiten oder die eine Beschäftigung suchen, mit den Menschen im Streik, mit Menschen, die nach Italien ausgewandert sind, mit den berühmten ‚Altenpflegerinnen‘… Die Themen sind europäisch, weil die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt auf globalen Mechanismen beruhen. Das spiegelt sich offensichtlich in einer Region wider, aber sie hängen manchmal mit diesen dramatischen Veränderungen zusammen, die Stabilität und die Sicherheit betreffen, auch die der Arbeitsbedingungen, der Art und Weise, wie Menschen ihre Arbeitszeit einteilen.“
Das Theater-Festival in Piatra Neamţ soll ein Moment des Nachdenkens über das Theater und ein Raum für Begegnungen sein. Gianina Cărbunariu, Intendantin des Theaters der Jugend“ in Piatra Neamţ:
Als Festivalkuratorin versuche ich, darauf aufmerksam zu machen, dass ein Festival nicht nur eine Auswahl von Aufführungen ist. Ein Festival beinhaltet die Begegnung von Künstlern und Publikum, von Künstlern untereinander, die Auseinandersetzung mit den Methoden des Theaters. Ein Festival ist über die Auswahl hinaus ein Moment des Nachdenkens über das Theater und die Welt, in der wir leben. Es ist ein Moment der Sozialisierung, des Austauschs von Ideen und sogar ein Moment, in dem wir zueinander finden können. Und zusammen fühlen wir uns gut. Sowohl als Branche der Theaterleute als auch als Zuschauer.“