Autor Bogdan Suceavă: „Ganze Menschen brauchen noch Literatur“
Der Schriftsteller Bogdan Suceavă ist ein sonderbarer Autor – der studierte Mathematiker und Professor an der California State University interessiert sich u.a. für verlorene Manuskripte.
Corina Sabău, 06.01.2018, 17:45
Bogdan Suceavă hat gerade im Prestige-Verlag Polirom in Iaşi einen neuen Band veröffentlicht — Eine Geschichte der Lücken: über verlorene Manuskripte“ heißt sein neues Buch. Von Aristoteles bis Hemingway gibt es eine ganze Geschichte der endgültig verlorenen Manuskripte, von denen man ausgeht, dass sie eine Revolution in Literatur, Philosophie, Mathematik oder Physik hätten anstoßen können. Wie tragisch ist der endgültige Verlust eines Manuskripts? Was ist, wenn der Autor auch andere unbezahlbare Werke geschrieben hat?”, fragt sich der Mathematiker Suceavă.
Am Abend des 22. Dezembers 1989, im Kontext der Unruhen, die zum Sturz der kommunistischen Diktatur führten, sah der damalige Mathematikstudent Bogdan Suceavă, wie die Zentrale Universitätsbibliothek in Bukarest in Flammen stand. Niemand wusste, wieso — aber er dachte einfach: So brennt also eine Bibliothek. So muss auch die Bibliothek von Alexandrien gebrannt haben. Das war offenbar ein Auslöser für sein 26 Jahre später erschienenes Buch zum Thema verlorener Manuskripte. Heute ist der Schriftsteller Professor für Mathematik bei der California State University in Fullerton. Bogdan Suceavă hat 13 Prosabücher und mehrere Bände zur Geschichte der Mathematik geschrieben. Dieses Buch brannte ihm anscheinend auf den Fingern:
Es schien mir, ein notwendiges Buch zu sein — ich wollte in erster Linie mit meinem eigenen Bild der Literatur und mit dem aktuellen Sinn des Romans im Klaren sein. Wir können uns ja fragen, warum wir heute noch lesen, warum wir noch Romane schreiben. Wird die Welt der Zukunft eine sein, in der wir keine Romane mehr lesen? Sterben literarische Genres ganz aus? Geht das Interesse an den klassischen Werten der Literatur zurück? Mir scheint das, kurz gesagt, nicht der Fall zu sein.“
Denn es wird immer Geschichten und Romane geben, die gebraucht werden, wie auch früher. Bücher, die für unsere Gegenwart relevante Szenen der Vergangenheit nachspielen. Für Suceavă erscheint das Ausfüllen obskurer Momente der Vergangenheit mit gut geschriebenen Geschichten absolut nützlich. Das kann nicht durch Videos oder soziale Medien ersetzt werden. Bestimmte Szenen können nur in Romanen aufgearbeitet werden, glaubt der Schriftsteller. Wenn ein Buch verloren ist, kann vielleicht das Schicksal vom zweiten Teil der Poetik von Aristoteles das vielleicht Beste sein, was dem Stoff passieren kann — dass ein anderer Autor eine Geschichte über die Ruinen der verschollenen Texte schreibt, in diesem Falle Umberto Eco. Die Spekulation über den Hintergrund, vor dem ein Buch verschwunden ist, kann Anlass des Romans sein, schreibt Bogdan Suceavă in seinem Buch.
Mit den »Namen der Rose« habe ich einfach Glück gehabt, weil ich den Roman mit 17 gelesen habe und erkannte, dass es dort etwas ganz Wichtiges gibt. Und da war noch ein wichtiger Zeitpunkt. Ich bereitete einen Mathematik-Kurs vor und wollte eine Liste der Dinge erstellen, die ich gerne im Kurs behandeln würde. Und da fiel mir auf, wie viele wichtige Werke der Antike fehlen. Ich stellte fest, dass eines der Werke Ciceros fehlt, das St. Augustinus beeindruckte und für den Bildungsweg des jungen Augustinus viel bedeutete. Das tut dann auch weh, auf einem sehr persönlichen Niveau, und man will gerne sehen, was mit dem Gedächtnis der Menschheit passiert ist. Aber das habe ich sehr spät begriffen. Man muss älter werden, um sich die echte Bedeutung dieser Verluste zu vergegenwärtigen. Sie ist mir in den letzten zwei Jahren aufgefallen.“
Bogdan Suceavă ging in die USA, weil er dort unter einem bestimmten Mentor aus China weiterstudieren wollte. Er promovierte 2002 in Mathematik an der Michigan State University. Doch sein Steckenpferd blieb die Literatur:
Die Literatur ergänzt uns als Menschen. Ich persönlich brauche sie und es scheint mir, es wäre zu wenig, wenn ich nur technischen Bestreben nachgehen würde. Es wäre so, als ob man verarmen würde. Es gab Jahre, in denen ich nichts geschrieben habe — zwischen 1996-1999, als ich mich für schwere Mathematikprüfungen vorbereiten musste. Es war sehr schwer, drei Jahre lang habe ich nichts geschrieben. Im Mai 1999, ich war 28 Jahre alt, stand ich vor einer schweren Prüfung und befürchtete, nichts mehr pauken und im Kopf behalten zu können. Drei Tage vor der Prüfung fing ich wieder mit dem Schreiben an. Es war ein Moment der Befreiung, ich habe irgendwie gespürt dass ich die Prüfung nicht schaffe, wenn ich nicht den Weg zur Literatur wiederfinde. Ein Befreiungsschlag, wie gesagt — wir müssen ganz sein, und dafür brauchen wir die Literatur.“