Matei Vişniec: „Lesen ist wichtig, um kritischen Geist zu bewahren“
Auf der internationalen Buchmesse Gaudeamus hat der Ehrenpräsident Matei Vişniec für Lektüre plädiert und die wesentliche Rolle der Literatur in der heutigen Gesellschaft hervorgehoben. Die Chance Rumäniens sei die Kultur, sagte zudem der Dramatiker.
Corina Sabău, 23.12.2017, 19:42
Der Ehrenpräsident der Internationalen Buchmesse Gaudeamus, der rumänische Journalist und Dramatiker Matei Vişniec, hat an der Eröffnungsfeier des Buchsalons erklärt, dass Rumänien europaweit auf Kulturebene einen starken Wettbewerber darstellt. Der Schwerpunkt lag dieses Jahr bekanntlich zum ersten Mal bei der Europäischen Union. Bei der Debatte, die beim Messestand Zuhause in Europa“ unter den Stichworten Ein Europa des Theaters und der Schriftsteller — eine wertvolle europäische Kultur als Grundlage Europas“ stattfand, sagte der Dramatiker, Rumänien habe eine Chance und diese Chance heiße Kultur.
Matei Vişniec wurde in den Achtzigern als Dichter bekannt, dann als Dramatiker, dessen Theaterstücke von der kommunistischen Zensur verboten wurden. 1987 verlässt er sein Heimatland und lässt sich in Frankreich nieder, wo er bei Radio France Internationale als Journalist arbeitet. Seine Theaterstücke in französischer Sprache erscheinen in den Verlagen Actes Sud — Papiers, L’Harmattan, Lansman, Crater, L’Espace d’un instant und sein Name kommt immer öfter auf Plakaten von Theaterstücken in mehr als 30 Ländern vor. In den letzten 30 Jahren wurde Matei Vişniec auch als Prosaautor bekannt. Omul-pubelă. Femeia ca un cîmp de luptă“ (Der Mülleimer-Mensch. Die Frau als Schlachtfeld“), erschienen im Jahr 2006, Cabaretul cuvintelor“ (Das Kabarett der Worte“), erschienen 2012, Sindromul de panică în Oraşul Luminilor“ (Panikstörung in der Stadt der Lichter“), erschienen 2009, Negustorul de începuturi de roman“ (Der Kaufmann für Romananfänge“), erschienen im Jahr 2013, sind nur einige der Romantitel, mit denen Matei Vişniec die internationale Anerkennung als Romanautor gewann. Für die letzteren zwei wurde Matei Vişniec mit dem Preis der Kulturzeitschrift Observator cultural“ und dem Preis Augustin Frăţilă“ für den besten Roman ausgezeichnet. Der Kaufmann für Romananfänge“ erhielt 2013 beim Internationalen Festival für Literatur und Literaturübersetzung (FILIT) im ostrumänischen Iaşi den Preis der Gymnasialschüler für das beliebteste Buch. 2016 erschien der Roman Iubirile de tip pantof. Iubirile de tip umbrelă“ (Liebe in der Art eines Schuhs. Liebe in der Art eines Regenschirms“). Auf der Internationalen Buchmesse Gaudeamus hob der Literaturkritiker Ion Bogdan Lefter die künstlerische Komplexität seines Stils hervor:
Matei Vişniec ist in erster Linie Dichter, der seine Spur in der europäischen Lyrik hinterlassen und sie auch auf seine dramatischen Werke übertragen hat. Er ist auch Prosaautor vom hohen Rang. Jedes zweite oder dritte Jahr schlägt er einen neuen Roman vor und somit gewinnt er ein neues Publikum für sich. Wenn die Theaterfreunde meistens zahlreicher als die Lyrikfreunde sind, dann bilden die Romanfreunde ohne Zweifel die größte Lesergruppe. Ein guter Beweis dafür ist die Veröffentlichung aller Romane von Matei Vişniec in der erfolgreichen Sammlung Top 10+ im Verlag Polirom. Die Prosa von Matei Vişniec trägt ebenfalls das Kennzeichen seines persönlichen Stils, mit dem er in den Achtzigern sowohl in der Lyrik als auch in der Dramaturgie europaweit einen wichtigen Platz einnahm.“
Auf der Buchmesse Gaudeamus hielt der Dramatiker ein Plädoyer für den Roman:
Einer der Gründe, warum ich Romane schreibe, ist, dass alle literarischen Genres für mich wie meine Kinder sind, ich liebe alle, egal ob Gedichte, Romane oder Theaterstücke. Mit Gedichten bin ich großgeworden, das Theater hat mich gebildet, der Roman hat meinem Werk Stilvielfalt verliehen. Romane habe ich deswegen geschrieben, weil ich mich gewissermaßen frustriert fühlte, dass meine Theaterstücke das Publikum nicht direkt erreichen können, sondern durch irgendwelche Vermittlung. Sie brauchen einen Theaterintendanten, einen Regisseur, Schauspieler und Bühnenbildner. Diese Situation hat mich ein wenig verängstigt, denn es gefällt mir nicht, wenn meine Werke von jemandem abhängen. Ich mag schreiben und somit mein Publikum direkt erreichen. Romane habe ich also auch aus dem Grund geschrieben, eine direkte Verbindung mit meinen Lesern herzustellen.“
Matei Vişniec hob im Anschluss die bedeutende Rolle der Literatur in der heutigen modernen Welt hervor. In seinem Plädoyer für Lektüre sagte der Dramatiker, die Liebe für Bücher bestimme in starkem Maße den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft:
Wer ein Buch in die Hand nimmt, egal ob Gedichte, Theater oder einen Roman, der öffnet in seiner Seele ein Fenster für andere Menschen und der wird selber zum offenen Fenster zur Menschheit, Einbildungskraft und Freiheit. Meiner Meinung nach kann man in jedem Land die Freiheit messen, und ein gutes Messinstrument ist die Fähigkeit der Menschen, die Literatur, die Kunst und das Theater zu lieben. Je mehr Literatur gelesen wird, desto mehr Freiheit spürt man. Wenn wir unsere Kinder von der Notwendigkeit nicht überzeugen, ein Buch zu öffnen und Freunde der Literatur zu werden, gehen wir das Risiko ein, sie in Monster zu verwandeln. Wie ich gerade feststellte, haben viele Lehrer ihre Schüler zur Buchmesse gebracht. Gaudeamus ist eine Buchmesse mit Schwerpunkt auf Bildung und zugleich ein Ort, der uns alle zum Überlegen anregt: Wie werden wir unsere Kinder auch in Zukunft bilden, damit sie Menschen, die denken, bleiben und sich nicht in Verbraucher umwandeln? Heutzutage ist es ganz wichtig, dass wir Bürger mit kritischem Geist bleiben und keine Verbraucher in einer Verbrauchsgesellschaft werden, von der wir lange geträumt hatten, die jetzt aber nicht in die beste Richtung geht.“
Matei Vişniec ist mehrfacher Preisträger sowohl in Rumänien als auch in Frankreich. In seinem Heimatland wurde er mit dem Preis des Schriftstellerverbands, dem Preis der Rumänischen Akademie sowie des Rumänischen Theaterverbandes UNITER geehrt. In seiner Wahlheimat erhielt er mehrmals den Preis der Presse auf dem internationalen Theaterfestival in Avignon und den Preis des Verbands der Dramatiker (2009). 2016 wurde der rumänische Dramatiker mit dem europäischen Literaturpreis Jean Monnet“ geehrt.