Internationales Tanzfilmfestival in Bukarest: Nischensparte erobert breiteres Publikum
Vom 7. bis zum 10. September fand im Bukarester Kino Elvira Popescu, im Nationalen Museum für Gegenwartskunst, im Nationalen Tanzzentrum Bukarest und in mehreren unkonventionellen Räumen die 3. Auflage des Internationalen Tanzfilmfestivals Bukarest statt.
Luana Pleşea, 30.09.2017, 17:30
Aus dem Wunsch, die Grundlage einer kreativen Tanzfilmindustrie zu schaffen, wurde vor drei Jahren das Bucharest Dance Festival ins Leben gerufen. In kurzer Zeit gewann das neue Kulturevent ein zahlreiches Publikum. Wie es dazu gekommen ist, erzählt die Choreographin und Tanzfilmemacherin Simona Deaconescu.
Alles begann mit meinen Tanzfilmen, die bei internationalen Festivals sehr gut angekommen waren. Einer dieser Filme ist heute noch ein Renner. Als ich bei einigen Festivals eingeladen wurde, wurde mir klar, dass wir eine feine Gesellschaft bildeten — es gab viel Neues zu sehen, zu erfahren, die Filme waren sehr unterschiedlich und es gab auch ein zahlreiches Publikum, das sich für unsere Filme interessierte. Ich dachte, bei diesen Festivals handle es sich um Nischen-Events für Spezialisten, aber ich lag damit völlig falsch — die Filme liefen in großen Kinosälen mit mehreren Hundert Zuschauern. Es war ein gut informiertes Publikum, die Leute sprachen sehr natürlich über diese Art von Filmen, sie waren richtige Fans des Genres. Das fand ich äußerst interessant und ich dachte mir, dass so etwas auch in Rumänien möglich wäre, denn es gibt auch bei uns ein informiertes, neugieriges Publikum, das sich für Tanzfilme interessiert. Solange die Neugierde und das Interesse für den Tanzfilm bestehen, können auch wir, die Vertreter der kreativen Fachindustrie, entsprechende Werke bieten.“
Die 3. Auflage des Bucharest International Dance Film Festivals lief dieses Jahr unter dem Motto The Age of the Strange. Präsentiert wurden verschiedene Veranstaltungen, die eine Rückkehr zum natürlichen Zustand vorgeschlagen haben — Tanzfilme, Performances, Workshops und eine Ausstellung mit visueller Kunst. Von den insgesamt 35 Kurzfilmen wurden 20 im internationalen Wettbewerb, 7 im nationalen Wettbewerb und 8 in der Sonderreihe Midnight Specials vorgeführt. Mehr dazu von der Festivalleiterin Simona Deaconescu:
Wir leben in einem Zeitalter voller Spannungen, wir spüren überall Gefahren, auch wenn direkt neben uns nichts Besonderes passiert. Man fühlt sich ständig irgendwie bedroht. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass wir alle unter eine Art Verfolgungswahn leiden. Daher versuchten wir, diese Auflage des Festivals um diese Kontradiktion herum zu gestalten. Wie schafft es unser Körper, natürlich zu bleiben? Kann und will noch unser Körper in diesem paranoiden Zeitalter natürlich bleiben? Entscheidet unser Körper selbst, sich zu ändern, oder wird der Körper durch fremde Einflüsse geändert und bleibt in diesem Kontext verfangen?“
300 Tanzfilmproduktionen haben sich für das Festival beworben; 20 davon wurden für den internationalen Wettbewerb ausgewählt. Simona Deaconescu:
Wir hatten Filme, die von einem politischen Körper erzählten. Der Film »2–28«, zum Beispiel, der mit einer Sondererwähnung ausgezeichnet wurde, spricht über die Wirkung der Diktatur des Generals Chang in Taiwan. Dann hatten wir Filme, die über den Freiheitsbegriff in Israel sprechen, oder Filme über die Situation der Frauen und die Rechte der Frauen in Irland. Es waren Filme, die gewisse Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft in den Vordergrund brachten und diese Probleme klar und deutlich zeigten. Einige Filme hatten sich vorgenommen, den Begriff System zu erläutern, zu zeigen, was ein System bedeutet. Andererseits zeigten wir auch Filme, die den Tanz als gesellschaftliches Phänomen präsentieren wollten — was Tanzen in einer Gesellschaft bedeutet, was für eine Macht der Tanz hat, was er bewirken oder ändern kann. Wir hatten Tanzfilme über persönlichkeitsstarke Menschen, über besondere Ereignisse oder über ästhetische Experimente — meiner Meinung nach versuchten die Filmemacher durch ihren innovativen künstlerischen Ansatz, neue Wege in den Tanzfilm einzuschlagen.“
Der mutigste Vorschlag der diesjährigen Auflage des Internationalen Tanzfilmfestivals in Bukarest war das Starten eines nationalen Wettbewerbs, meint Simona Deaconescu:
Es war uns vollkommen klar, dass wir zu diesem Zeitpunkt nicht sehr viele rumänische Tanzfilme für den nationalen Wettbewerb hatten, aber wir machten damit einen Appell an die rumänischen Filmemacher, und vielleicht wird dieser nationale Wettbewerb die rumänische Künstlergemeinde dazu anspornen, mehr Tanzfilme zu machen. Wir suchen Tanzfilme, die eine starke Idee und eine interessante Ausdrucksweise vorschlagen. Wir ermuntern alle Choreographen in Rumänien, mit Filmregisseuren zusammenzuarbeiten, oder selbst Regie zu führen und Tanzfilme zu drehen. Für den ersten nationalen Wettbewerb haben wir sieben Filme ausgewählt, die sehr unterschiedlich waren. Den Preis für den besten rumänischen Tanzfilm ging an »Golden Boi« der Regisseurin Corina Andrian mit den sehr jungen Tänzerinnen Maria Beatrice Tudor und Mariana Gavriciuc. Der Film zeigt imperfekte Körper in einem imperfekten Raum. Die Jury hat sich einstimmig für diesen Kurzfilm entschieden, und die Begründung der Jurymitglieder war, dass der Streifen etwas Ausgefallenes, Frisches, Innovatives sei, nicht perfekt, aber mit großem Potential für weitere Innovation.“
Die zwei abendfüllenden Tanzfilme füllten den Kinosaal bis zum letzten Platz. Der Spielfilm La Danseuse/Die Tänzerin“ der Regisseurin Stéphanie Di Giusto hatte die Premiere beim Internationalen Filmfestival in Cannes, in der Sektion Un certain regard“. Der Streifen erzählt die Geschichte der französischen Tänzerin Loïe Fuller. Anfang des 20. Jh. war sie ein Star des berühmten Pariser Kabaretts Folies Bergère und sie wurde vom Kunstmaler Toulouse-Lautrec auf seinen Gemälden und von den Kino-Pionieren Lumière in ihren Filmen dargestellt. Der zweite abendfüllende Tanzfilm war die Dokumentation Wim“, in der Regie von Lut Vandekeybus, der Schwester des berühmten Tänzers, Choreographen und Regisseurs Wim Vandekeybus. Mit Aufnahmen von Aufführungen, Proben, Interviews und Stücken aus dem Familienarchiv erkundigte Lut die unruhige Kreativität ihres Bruders Wim.