Bukarester Tanzzentrum: Performance zu Ehren des Avantgardisten Isidore Isou
Unlängst hat das Nationale Tanzzentrum Bukarest eine für Rumänien einmalige Veranstaltung organisiert: Das Event war dem französischen Künstler rumänischer Abstammung Isidore Isou gewidmet, dem Gründer des Lettrismus.
Luana Pleşea, 04.03.2017, 17:45
Der 1925 im nordrumänischen Botoşani geborene Isidore Isou ließ sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich nieder. In seinem Heimatland ist er nur den wenigsten bekannt — das war auch der Grund für die Veranstaltung des ihm gewidmeten Abends in Bukarest und die Fortsetzung der Reihe im Rahmen weiterer Projekte. Kurator des Events am Bukarester Landeszentrum des Tanzes (CNDB) war Igor Mocanu.
Isidore Isou hatte selbstverständlich, wie jeder Vertreter der Avantgarde, und auch weil er ein Künstler mit vielfältigen Interessen war, ein Manifest des Tanzes und mehrere theoretische Texte über den Tanz. Als Gegengewicht zu den Sprüngen im deutschen Expressionismus der ersten Tanzavantgarde der 1920er-30er Jahre schlug er eine Choreographie des Falls, der stürzenden Körpers vor. Vielleicht wird es bei CNDB auch eine Vorstellung aufgrund dieser Ausprägung im Schaffen Isidore Isous geben. Für heute haben wir aber einen französischen Komponisten eingeladen, der in Berlin wohnt und der einen zeitgenössischen Kunst- und Soundraum leitet — La Plaque Tournante –, dabei hat er eine britische Mezzosopranistin als Partnerin. Sie heißen Frédéric Acquaviva und Loré Lixenberg. Neben ihrem Interesse für die zeitgenössische Kunst, mit Sound oder ohne Sound, sind sie auch sehr gute Deuter des Werks von Isidore Isou. Frédéric ist übrigens im Besitz einer beeindruckenden Sammlung von Büchern und anderen Werken von Isou.“
Die Veranstaltung rund um Isidore Isou begann mit der Videoprojektion eines zweiminütigen Auszugs aus einem Dokumentarfilm von Orson Welles mit dem Titel Around the World in Saint-Germain des Prés“. Der Film wurde 1955 im Buchladen Fischbacher in Paris gedreht, und in dem am CNDB vorgeführten Auszug sind Isidore Isou, Maurice Lemaître, Jacques Spacagna und Orson Welles zu sehen. Der anschließende Auftritt von Loré Lixenberg beinhaltete einige Stücke des Künstlers aus dem Zeitraum 1947-1984, wie die Mezzosopranistin selbst erklärt.
Wir haben Stücke aus einer sehr langen Zeitspanne ausgewählt, die nach 1945 und bis 1984 entstanden sind. Wir haben eines seiner ersten Arbeiten ausgewählt, »Neige«/»Schnee«, die die geniale Arbeitsweise Isous widerspiegelt: Er nimmt ganz einfach eine Situation, in der er sich befindet, und verwandelt sie eher in etwas anderes, anstatt sie theatralisch zu verarbeiten. Dann führe ich einige Arbeiten aus seinem aphonen System vor, mit anderen Worten stille Gedichte, die Gesten und Bewegung voraussetzen. Aus Sicht eines Performers ist es faszinierend, weil es ein derartig reichhaltiges Material ist, es enthält eine Fülle an unterschiedlichen Lauten. Und außerdem liebe ich diese Trennung der Laute von ihrer Bedeutung. Es fühlt sich sehr gut in meinem Mund an. Das nennt sich auch »good mouth feel«.“
Gegen sein Lebensende hat sich Isou der Musik stark genähert. Deshalb enthielt der zweite Teil der Veranstaltung in Bukarest eine Komposition aus dieser Periode. Es handelt sich um die Symphonie Nr. 4: Juvenal, die 2001 entstand und 2003 von Frédéric Acquaviva orchestriert wurde. Der französische Komponist lernte Isou in seinen letzten zehn Lebensjahren persönlich kennen und gemeinsam komponierten sie einige Symphonien, die Acquaviva dann orchestrierte. Am Tanzzentrum in Bukarest schilderte Acquaviva die Begegnung mit dem musikalischen Schaffen Isidore Isous.
Er hat Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen und ist 1945 in Paris angekommen. Seine Idee war es, lettristische Poesie zu schaffen, das war eigentlich ein Gemisch aus Gedicht und Musik. Deshalb hätte einer später den Begriff Poesie nutzen können, aber eigentlich ist die lettristische Poesie eine Art Dichtung, bei der nur die Stimme und alle Bewegungen und Laute zum Einsatz kommen, die mit Hilfe des Körpers erzeugt werden können. Also ist es eine Art »Lied des Körpers« /»body sound« und es ist eine sehr fortschrittliche Gattung, es ist eine völlig abstrakte Poesie. Seine Musik hört sich ein wenig primitiv an, weil sie in Schleifen aufgebaut ist. Sie mutet sehr bizarr an. »Juvenal« ist die vierte Symphonie von den fünf, die wir gemeinsam geschaffen haben. Diese habe ich über die Stimmlage des Chors hinweg orchestriert, also würde ich behaupten, dass man nicht genau weiß, in welcher Zeit man sich befindet, in welchem Land, und das ist sehr interessant und etwas Besonderes.“
Der Komponist Frédéric Acquaviva hat bereits mehrere Veranstaltungen europaweit organisiert, die Isidore Isou gewidmet sind. Er möchte seine Projekte fortsetzen, sagt er.
Wir haben bereits einige Ausstellungen organisiert, einige Bücher über ihn geschrieben. Gemeinsam mit dem Rumänischen Institut in Stockholm haben wir einen Band über seine hypergraphischen Romane herausgebracht. Aber, weil wir hier am Landeszentrum für Tanz sind, muss gesagt werden, dass er einige phantastische Choreographien geschaffen hat, die seiner Zeit um mindestens 40 Jahre voraus waren. Denn das, was er in den 1950er Jahren schrieb, findet sich im zeitgenössischen Tanz der 1990er Jahre, etwa in Frankreich, wieder. Jetzt arbeite ich gerade an einigen Projekten über ihn, allen voran an einer Monographie seiner gemalten Bilder und Kunstwerke. Ich hoffe, dass sie noch in diesem Jahr von den Editions du Griffon veröffentlicht wird, die kurioserweise auch die erste Brâncuşi-Monographie in den 1950er Jahren herausbrachte.“