Bühnenfest „Interferenzen“ in Cluj war auch 2016 erfolgreich
Vor 10 Jahren startete das ungarische Staatstheater in Cluj das internationale Theaterfestival, um dem Publikum und Theaterleuten die neusten Trends in der Welt näherzubringen.
Luana Pleşea, 24.12.2016, 18:16
Das Festival wird alle zwei Jahre veranstaltet, ist also jetzt bei der 5. Auflage angekommen. Über die Wirkung des Theaterfests erzählt Gabor Tompa, Intendant des ungarischen Staatstheatern in Cluj. Vor 10 Jahren gab es kein internationales Theater in Cluj, mit Ausnahmen einiger Aufführungen aus den Nachbarländern. Das Publikum war erzkonservativ – die Menschen wollten nur die großen Dramen sehen, die gerade in Rumänien in Mode waren und waren ansonsten generell auf Unterhaltung aus, auf Operette, Musicals, Lustspiel. Heute ist es ganz normal, dass internationales Theater hier einzieht. Es gibt auch andere Festivals, die die Theaterwelt beleben und uns fortwährend zwingen, uns selbst zu definieren. Denn wir wollen natürlich eine eigene Identität bewahren, gleichzeitig aber auch offen sein. Die wichtigste Wirkung dieses internationalen Festivals ist, dass man sehr viel darüber diskutiert, auch polemisch…ohne direkten Dialog kommen wir nirgendwo an. Theater hilft uns, unsere Vorurteile loszuwerden. Etwas verändert sich, begeistert sich der Regissseur.
22 Stücke wurden bei der diesmaligen Ausgabe gezeigt. Jedes ging aus einer verschiedenen Perspektive das Thema der Odysee des Fremden an. Das ungarische Staatstheater führte Breaking the waves auf – ein Stück nach dem Drehbuch des gleichnamigen Films von Lars von Trier von 1996. Die Regie des Stücks führte der Amerikaner Tom Dugdale. Breaking the Waves handelt über Jan, der in einer kleinen schottischen Gemeinde strandet und als Fremder gilt – doch die Einheimische Bess entfremdet sich aus Liebe zu ihm und Naivität immer mehr von den eigenen Leuten. Bess wird von Anikó Pethő gespielt, die für die Rolle den Preis für die beste Darstellerin beim Festival der ungarischen Theaterhäuser Kisvárda gewann. Anikó Pethő hofft, dass auch etwas von ihrer eigenen Person auf die Figur der Bess abgefärbt hat: Bess glaubt sehr fest daran, dass es für sie keinen Ausweg gibt und sie rettet sich eben, wie sie kann. Ich liebe diese Figur und habe ein sehr persönliches Verhältnis zu ihr. Zwischen Anikó und Bess gibt es viele Gemeinsamkeiten und es ist schwer nach dem Stück, wieder aus der Rolle zu schlüpfen. Ich finde das interessant – wir sind ja normalerweise beschäftigt, IN eine Rolle zu schlüpfen, niemand bringt dir aber bei, wie du wieder loskommst. Bess und ich haben unseren Glauben gemeinsam. Ich denke da nicht unbedingt an Religion, sondern an Liebe, an die Beziehung zu jemandem. .. Das ist für mich enorm stark. Der Glaube ist mir wichtig, aber vor Breaking the waves habe ich mir nie die Möglichkeit überlegt, mit Gott zu kommunzieren, so wie Bess das tut- es scheint mir etwas schizofrenisch zu sein. Also habe ich mich gefragt, ob es eine solche Kommunikation geben kann. Und ob die Liebe so stark sein kann, dass man stirbt, um den anderen zu retten, wie es bei Bess und Jan ist, sagt die Schauspielerin.
Zu Gast in Cluj war auch das Bukarester Prestigehaus Bulandra mit der Brechtschen Produktion Der gute Mensch von Sezuan in der Regie von Stardramaturg Andrei Şerban. Das Stück wurde viermal bei den Preisen des nationalen Theaterverbandes UNITER nominiert. Vlad Ivanov, der den Preis für den besten Hauptdarsteller gewann, war von Andrei Serbans Regieansatz verunsichert und erinnert sich, dass es zur Polemik unter Fachleuten und Publikum kam. Andrei Şerban dachte über den Stil nach und wir konnten uns einfach nicht einig werden. Er entschied sich dann für einen Ansatz, der für den Zuschauer absurd wirkte – der Schauspieler sprach direkt zum Publikum und schaute seinen Partner nur sehr selten an. Man unterhält sich auf der Bühne, schaut dabei aber das Publikum an. Der Regisseur wollte so Brechts Botschaft in den Vordergrund stellen. Das Stück hat einen klaren aktuellen Bezug. Andrei Şerban lebt im Ausland, sieht aber, was in Rumänien passiert. Das passiert generell mit allen Künstlern, die im Ausland leben. Immer wenn sie nach Rumänien kommen, versuchen sie, die Missstände mit einem Akt der Kunst zu richten. Das hat auch Andrei getan. Er hat alle Meinungen, alle Ideen inszeniert, die den Wandel der Gesellschaft betreffen.
In der Auffassung von Vlad Ivanov verkörpert die Hauptfigur in Brechts Stück am besten das Thema des Festivals, also die Reise, die Fremde immer durchmachen: Shen Te wird zu Shui Ta um existieren, um normal in einer kranken Gesellschaft leben zu können. Sie spaltet sich, entfremdet sich von ihrer Seele, sie wird zu einer anderen Figur, um ihr Kind, ja ihre Existenz retten zu können. Sie kann mit den vielen Menschen, die ihr Haus betreten und in ihr Universum eindringen, nicht leben. Und daher greift sie zu dieser Methoder der Persönlichkeitsspaltung. Sie spielt eine neue Figur, um das, was sie empfindet, zu einem guten Ende zu bringen. Aber es gelingt ihr nicht. Sie streift letztendlich die Kleider der zweiten Figur ab und erläutert klar in einem sehr schönen Monolog, warum sie alles getan hat. Und die Götter sehen ihr Werk vollbracht. Sie stiegen auf die Welt herab und fanden einen guten Menschen, meint der Hauptdarsteller Vlad Ivanov .
Die fünfte Auflage des internationalen Festivals Interferenzen in Cluj spricht offenbar ein immer breiteres Publikum an, sagt letztendlich Direktor Gabor Tompa: Das Festival will und wollte von Anfang an eine Veranstaltung für alle in Cluj sein. Es ist eine Gelegenheit, dass die verschiedenen Gemeinden, die in der Regel in Cluj getrennt leben, zusammen finden. Über dieses Phänomen spricht man nicht genug – die Gemeinden sind isoliert oder getrennt, und es geht nicht nur um Volksgruppen, sondern um kulturelle Gruppen, Generationen, gesellschaftliche Schichten. Das ist, denke ich, die chronische Krankheit, unter der die Stadt Cluj leidet. Und es ist natürlich ein Festival der Theaterleute aus dem In- und Ausland, die hier spielen und aufführen und sich Stücke anderer Häuser ansehen können. Wir versuchen, nicht zu einem überbelegten Festival zu werden, bei dem man immer die Qual der Wahl hat und dann bereut, das eine und nicht das andere Stück gesehen zu haben sagt Gabor Tompa, der Direktor des Festivals.