Rumänische Cannes-Preisträger 2016: Cristian Mungiu und Bogdan Mirică
Auch in diesem Jahr waren Rumäniens Filmemacher bei den Festspielen in Cannes gut vertreten. Die beiden preisgekrönten Werke Bacalaureat“ von Cristian Mungiu und Bogdan Miricăs Hunde“ stellen wir im Gespräch mit den beiden Regisseuren vor.
Christine Leșcu, 06.08.2016, 17:49
Auch in diesem Jahr waren Rumäniens Filmemacher bei den Festspielen in Cannes gut vertreten. Insgesamt fünf rumänische Streifen wurden für die 17. Auflage des internationalen Festivals ausgewählt. Das waren der Spielfilm Sieranevada“ von Cristi Puiu, der Kurzfilm 4:15 P.M. Ende der Welt“, bei dem Drehbuch und Regie den Debütanten Cătălin Rotaru und Gabi Virginia Şarga gehörten, der Schul-Kurzfilm Alle Flüsse fließen ins Meer“, produziert von der Filmakademie Bukarest in der Regie von Alexandru Badea (in der Kategorie Cinefondation), sowie die beiden preisgekrönten Werke Bacalaureat“, für den Cristian Mungiu den Preis für die beste Regie erhielt, und Bogdan Miricăs Hunde“, der mit dem FIPRESCI-Kritikerpreis in der Sektion Un Certain Regard“ ausgezeichnet wurde.
Cristian Mungiu kann bereits auf eine gute Erfolgsbilanz in Cannes zurückblicken: Von seinen bislang vier Spielfilmen wurden drei an der französischen Riviera ausgezeichnet. Das Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ wurde 2007 sogar mit der höchsten Auszeichnung, der Goldenen Palme, belohnt. Das Klosterdrama Hinter den Hügeln“ bekam 2012 zwei weitere Preise: den für das Drehbuch und jenen für die besten Hauptdarstellerinnen, bzw. Cristina Flutur und Cosmina Stratan. Und jetzt teilte sich Mungiu den Regiepreis mit dem Franzosen Olivier Assayas, dessen Film Personal Shopper“ ausgewählt worden war.
Für ihn sei es eine wohl verdiente, jedoch auch schmeichelnde Anerkennung sagt Cristian Mungiu. Zumal die Preise auch von der Anerkennung des Publikums, vor allem im Ausland, begleitet werden. Darunter auch die rumänische Diaspora, denn schließlich komme es häufig vor, dass die rumänischen Regisseure eher im Ausland als bei sich zu Hause Erfolg hätten, sagt Mungiu. Überhaupt spielten die Vorlieben des Publikums auch bei der Auswahl der Themen für seine Filme eine Rolle, sagt der 48-Jährige.
Es ist eine Schnittstelle zwischen den Dingen, die mich persönlich beschäftigen und bewegen, und den Dingen, von denen ich glaube, dass sie auch einen Einfluss auf das Publikum haben. Aus dieser Menge an Beschäftigungen versuche ich einen Film zu konstruieren, der nicht nur eine sozial-politische Lehrstunde oder irgendeinen sozialen Kommentar darstellen soll, sondern lediglich ein Kinoprojekt mit einer Handlung, mit Begebenheiten… Ich habe mir zum Beispiel im Falle von »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage« nicht vorgenommen, einen Film zu drehen, der den Kommunismus verurteilt und ich wollte die Zeitreise nicht mit dem Ziel einer Chronik der späten Jahre im Kommunismus unternehmen. Ich habe lediglich eine persönliche Begebenheit dargestellt, die mir aus jener Zeit bekannt war. Am wichtigsten ist es doch, dass die Menschen das Gefühl haben, einen Film zu sehen. Wenn der Film zusätzlich zu den mit jedem Kunstprojekt einhergehenden Emotionen auch einige Fragen aufwirft, umso besser.“
Bacaulaureat“, der neueste Film von Cristian Mungiu, wirft nicht nur Fragen auf, sondern er setzt sich erneut mit einem der schmerzhaften Dilemmata der Rumänen auseinander und legt den Finger in eine der offenen Wunden der Gesellschaft: die Korruption. Und noch mehr. Er spannt einen Bogen über die Zeit bis in das Jahr 2002, als Mungiu seinen ersten Film drehte. Occident“ ist eine Komödie über die Zwickmühle der damaligen Jugend, die vor der Wahl der Auswanderung stand. Bacalaureat“ erzählt die Geschichte der Rumänen, die in der Heimat zurückgeblieben sind. Auch sie stecken heute in derselben Zwickmühle, wenn es um die eigenen Kinder geht. Könne man behaupten, dass sich mit Bacaulaureat“ der bei Occident“ beginnende Kreis schließt?
Ich würde mich freuen, wenn sich dieser Kreis schließen würde. Ich befürchte aber, dass der Kreis offen bleibt und wir ihn an unsere Kinder weitergeben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir 15 Jahre nach »Occident« in diesem Punkt ankommen. Ich hatte es nicht erwartet, dass ich das Thema wieder aufgreife, ich hatte irgendwie gehofft, dass die Dinge anders verlaufen. Jetzt habe ich das Thema aber aus einer unterschiedlichen Perspektive beleuchtet. Es ist die Perspektive von Eltern, die viel mehr Sorgen haben als die Eltern von vor 15 Jahren. Wir dachten damals, wir könnten die Welt von hier verändern, einschließlich für diejenigen, die Kinder haben sollten. Wenn ich heute an die Ratschläge denke, die Eltern ihren Kindern erteilen sollten, stelle ich fest, dass die Fortschritte nicht die erhofften sind. Und es ist schwierig, irgendeinen Rat zu erteilen oder eine Entscheidung zu treffen. Deshalb habe ich mich wieder über das Thema gebeugt, ein Thema, das viele Eltern in meinem Alter beschäftigt.“
In Cannes wurde mit Bogdan Miricăs Hunde“ ein zweiter rumänischer Film ausgezeichnet. Die FIPRESCI-Jury wählte das Werk zum besten Film der Sektion Un certain regard“. Mirică hatte 2010 mit dem Kurzfilm Junkie“ sein Regie-Debüt gegeben. Nach eigenem Geständnis habe er das Kino erst mit 30 entdeckt, als er die ersten Drehbücher schrieb. Deshalb die natürliche Frage an den Jungregisseur: Was ist wichtiger in einem Film — die Erzählung, die epische Abfolge also, oder die filmische Innovation?
In meinem Film ist die Erzählung absichtlich zweitrangig, weil es nicht sehr schwer ist, eine kohärente Geschichte von Anfang bis Ende zu schreiben. Ich wollte allerdings im Bereich der Empfindungen experimentieren. Ich wollte einen Film präsentieren, der dir wie Blei im Magen liegt, aber das nicht unbedingt aufgrund der Erzählung, sondern durch das Ganze, die geschaffene Stimmung. Wenn ich sage, dass die Erzählung zweitrangig ist, heißt es nicht, dass sie schlampig ist, sondern dass sie elliptisch ist, dass sie einige bruchhafte Stücke enthält, die einen offenen Ausgang haben, der aber von dem aufmerksamen Zuschauer ergänzt werden kann.“
Bogdan Mirică schreibt die Drehbücher für seine Filme selbst. Und er gesteht, dass ein neuer Film immer von einem Gemisch an Gefühlen ausgeht, bevor er eine konkrete Form auf Papier annimmt. Das sei auch im Falle von Hunde“ geschehen, sagt er.
Ich schreibe ausgehend von einem Gefühl, von einer Emotion, über die ich mir eigentlich im Unklaren bin, und langsam setzen sich die Dinge und ich beginne eine Geschichte rund um die Emotion zu weben. In diesem Fall ging es um Erinnerungen aus meiner Kindheit. Ich habe so manchen Sommer bei meiner Großmutter auf dem Lande verbracht. Dort habe ich manchmal Konflikte zwischen den Dorfbewohnern gesehen, in einigen Fällen ging es recht rauh zu. Jahre später habe ich verstanden, dass mir als Kind nicht die Verkörperung der Gewalt große Angst bereitete, sondern der willkürliche Charakter der Gewalt. Mein Film hat eine rumänische Realität als Ausgangspunkt, aber die genaue Rekonstruktion der Realität war mir nicht so wichtig. Mein Film ist nicht realistisch, die Filmfiguren sprechen fast in Parabeln, die Zeitabfolge im Film hat eine gewisse poetische Lizenz. Mir wurde sogar eine fast tschechowsche Atmosphäre bescheinigt. Aber daran war ich eben interessiert. Wenn ich im Laufe der Zeit fühlen sollte, dass diese Kunststücke doch Ballast sind und dass ich mich der Realität annähern muss, werde ich das vielleicht auch tun.“
Die Kritik ist sich indes einig: Egal wie die Filme von Bogdan Mirică in Zukunft sein werden, waren die Anfänge bereits vielversprechend.