Theaterfestival in Temeswar wartet mit unkonventionellen Aufführungen auf
Das sogenannte Euroregionale Theaterfestival Timişoara – kurz TESZT – ist bereits zur Tradition geworden. Im schon neunten Jahr fand es in der letzten Maiwoche 2016 statt.
Luana Pleşea, 30.07.2016, 17:30
Das TESZT-Festival ist ein Vorzeigeprojekt des ungarischen Staatstheaters Gergely Csiky“ in Timişoara/Temeswar, einer multikulturellen Stadt par excellence. Ziel von TESZT ist, dem Publikum vor allem die neusten Produktionen und Aufführungen in der sogenannten Euregio DKMT zu zeigen. Hinter diesem seltsamen Akronym verbirgt sich im EU-Jargon ein Gebiet, das von den vier wichtigen Flüssen im Drei-Länder-Eck Rumänien-Serbien-Ungarn gebildet wird: Donau, Kreisch, Marosch, Theiß. Aber TESZT ist längst viel internationaler geworden — auch Theaterkünstler aus Italien, Belgien, Portugal, Bulgarien, Mazedonien oder Kroatien kommen.
In diesem Jahr war das Repertoire von Stücken mit sozialer Thematik geprägt. Attila Balázs, Intendant beim Ungarischen Staatstheater Timişoara, war zusammen mit Projektmanager Zoltán Gálovits zuständig für die Auswahl der Stücke.
Wir haben uns viele Aufführungen angesehen. Nach eine ersten Auswahl knüpften wir uns die Details vor und suchten nach einem roten Themenfaden in den meisten von ihnen. Es ging in der letzten Saison sehr viel um Persönlichkeit, um das Verhältnis des Menschen zur Gesellschaft, zu sich selbst, zu seinem Umfeld. Es sind mehrfache Ausdrucksweisen möglich: One-Man-Shows, Dokumentationen, klassische Texte, musik- oder poesielastige Stücke“, erklärt Attila Balázs.
Die Theaterkritikerin Daniela Şilindean unterstützte das Festival von der literarischen Seite:
Das TESZT-Festival hat sich in diesem Jahr auf extrem starke Themen konzentriert, die dem Zuschauer entweder den eigenen Spiegel oder den Spiegel der Gesellschaft vorgehalten haben — es ging jedes Mal um Menschlichkeit oder das Fehlen ebendieser, aber auf jeden Fall zeichneten die Stücke ein relativ wahrheitsgetreues Bild der Gesellschaft. Einige Stücke haben mich durch den radikalen Ansatz überrascht. Es waren Aufführungen, die den Zuschauer für ihre Sache sehr begeistern. Bei TESZT 2016 war auch etwas anderes wichtig: Zuschauer durften nicht mehr passiv zusehen. Sie saßen nicht mehr in bequemen Sesseln. Der Zuschauer wird zum aktiven Bestandteil, und gleich mehrere Stücke haben die Rolle des Schauspielers an den Zuschauer delegiert, den Saal zur Bühne gemacht, so dass die Zuschauer eine eigene Show aufziehen konnte.“
Eine der militantesten Produktionen war Dogville“, eine Adaption des gleichnamigen Films von Lars von Trier. Die Koproduktion zweier Ensembles aus Belgrad und Novi Sad in der Regie von Kokan Mladenović erzählt die Geschichte von Grace, die vor Gangstern Zuflucht in der auf einen ersten Blick idyllischen Gemeinde Dogville sucht. Doch diese Stadt ist geprägt von Frustrierungen, Geiz und Aggressivität und Grace wird schnell zum Opfer der Menschen, denen sie vertraut hat, so Regisseur Kokan Mladenović:
Wir wollten ein Stück machen über das Land, in dem wir leben. Aber so etwas kann heute an keinem Theater in Belgrad aufgeführt werden. Deshalb haben wir mit zwei Freunden eine Probe organisiert und zwei junge Darstellerinnen gefunden. An diesem Stück über Serbien haben wir in fast guerillaartigen Zuständen gearbeitet — Belgrad ist heute Dogville geworden. Wir thematisieren die Stellung der Kultur in der Gesellschaft, den Umgang mit Minderheiten — auch sexuellen Minderheiten –, die Gewalt gegen Frauen. All das gehört zu Serbien und wir gehen davon aus, dass es auch in ein Stück gehört. Der Erfolg, den wir damit in Kroatien, Bosnien, Slowenien oder Mazedonien hatten, zeigt, dass diese Themen nicht nur für das heutige Serbien spezifisch sind. Nicht nur Serbien, sondern ganz Europa ist zu einem Dogville geworden“, sagt Kokan Mladenović, dessen Produktionen in fast allen Festivals in Mittelosteuropa ausgezeichnet wurden.
TESZT endete mit der Performance des europaweit geschätzten bulgarischen Tanzkünstlers Ivo Dimchev — I Cure“ ist eine Koproduktion mit Impulstanz aus Wien. Heilen ist eine bewusste Entscheidung und wir treffen sie in einem Theater — warum nicht?“, fragt Ivo Dimchev als Argument für eine interaktive Performance zum Thema Heilen:
Die Show ist über die Heilung, aber das muss man nicht unbedingt buchstäblich auslegen. Es ist eher eine Therapierung unserer begrenzten Denkweise über das Positive und Gesunde. Wenn wir wieder genesen oder versuchen, positiv zu denken, haben wir plötzlich sehr viele Feinde. Gesund und positiv zu sein ist gewissermaßen gefährlich. Und um dieser Gefahr zu entgehen, müssen wir das Negative als gegnerische Perspektive zu uns lassen. All diese Tabus sind Teil der Performance, ich versuche, die Menschen an dieser Misere teilhaben zu lassen — an Sexualität, Gewalt und Tod. Sie sind Teil des Lebens. Etwas nicht Negatives, sondern sehr Natürliches. Noch können wir das Schöne darin entdecken und müssen keine Werturteile abgeben. So gesehen ist die Performance eine Art Therapie. Man kann zwar Dinge nicht in einer Stunde verändern, aber die Menschen können zumindest Licht am Ende des Tunnels erblicken. Doch vor dem Licht befindet sich eine schwere Tür. Es braucht viel Praxis, Energie, Geduld und Liebe, um diese Tür aufzustoßen und die Freiheit zu erlangen, Dinge nicht als Gut oder Böse, Gesund oder Ungesund zu beurteilen“, so der bulgarische Performance-Künstler.