Premieren beim Internationalen Theaterfestival FITS 2016 in Hermannstadt
Das Internationale Theaterfestival in Sibiu (FITS) bringt jedes Jahr unzählige Künstler und Theatergruppen aus 70 Ländern der Welt zusammen. Vom 10. bis zum 19. Juni 2016 findet das Festival nun zum 23. Mal statt.
Luana Pleşea, 28.05.2016, 17:48
Das Internationale Theaterfestival in Sibiu (FITS) bringt jedes Jahr unzählige Künstler und Theatergruppen aus 70 Ländern der Welt zusammen. Vom 10. bis zum 19. Juni 2016 findet das Festival nun zum 23. Mal statt. Das Nationaltheater Radu Stanca“ in Sibiu/Hermannstadt präsentiert dabei drei Premieren.
Das Stück Oameni obişnuiţi“ (Gewöhnliche Menschen“), Regie Gianina Cărbunariu, ist eine Aufführung im Rahmen des Projekts Be SpectACTive!“, das vom EU-Programm Kreatives Europa mitfinanziert wird. Von 2014 bis 2018 beteiligt sich auch das Hermannstädter Nationaltheater an diesem Programm. Das Projekt präsentiert acht Whistleblower-Fälle aus Italien, Großbritannien und Rumänien — das sind Länder mit unterschiedlichen Kontexten und Gesetzen in Bezug auf Skandalaufdecker. Sechs Schauspieler bringen die acht Whistleblower-Geschichten auf die Bühne — sowohl das Publikum als auch die Darsteller erleben dabei eine besondere Theatererfahrung. Die Schauspielerin Ofelia Popii dazu:
Es ist ein besonderes Erlebnis — von der Vorbereitungsarbeit bis zu dem Moment, wenn man die Rolle auf der Bühne verkörpert, verdoppelt sich die Verantwortung des Darstellers. Ich bin sowieso eine verantwortungsbewusste Schauspielerin, ich verantworte mich vor der Theaterfigur, vor mir selbst, vor meinem Beruf und vor dem Publikum. Die Tatsache aber, dass es einen Menschen aus Fleisch und Blut gibt, der all das auf eigener Haut erlebt hat und weiterhin dieses Drama erlebt, macht mich viel stärker — ich fühle, dass ich seine Geschichte erzählen muss. Gleichzeitig aber fühle ich mich verantwortlich dafür, ich spüre den Druck der Verantwortung.“
Oameni obişnuiţi“ / Gewöhnliche Menschen“ — eine Aufführung, die nachdenklich stimmt. Wenn das Stück zu Ende ist, kann man nicht einfach unberührt nach Hause gehen. Ofelia Popii:
Von dieser Aufführung versteht jeder, was er will, was er kann. Für mich geht es darum, den eigenen Instinkten, dem eigenen Gerechtigkeitssinn zu vertrauen. Und, vielleicht, weniger erwachsen zu sein, auch wenn das etwas komisch klingt. Als ich begann, erwachsen zu werden, als mir klar wurde, dass die Welt, in der wir leben, keine ideale Welt ist, bin ich gegen diese Denkart gestoßen. Warum sollte ich mir vorstellen, es gäbe Gerechtigkeit auf diese Welt? Ich sollte lieber versuchen, zu überleben, unter Menschen zu leben, die nicht unbedingt ehrlich sind. Und das tue ich, mehr oder weniger. Während der Arbeit für diese Aufführung ist mir aber klar geworden, dass meine frühere, so zu sagen ‚noch nicht erwachsene‘ Art, zu denken und zu leben, eigentlich die richtige war. Es wurde mir klar, wie man mit der Zeit den Mut verliert, wie man Argumente findet, falsch zu handeln. Oder wie man nicht mehr darauf besteht, dass die anderen korrekt handeln. Das ist aber nicht in Ordnung. Darum geht es in dieser Aufführung. Wofür sollten wir uns entscheiden? Sollten wir den Kopf in den Sand stecken, sollten wir weggucken, sollten wir uns selbst vormachen, das wir ehrliche Menschen sind?“
Für die Rolle Mephisto in der Faust-Aufführung des Regisseurs Silviu Purcărete wurde Ofelia Popii beim Internationalen Theaterfestival in Edinburgh 2010 mit dem Preis Harold Angel“ ausgezeichnet.
Eine weitere Premiere des Nationaltheaters Sibiu, die beim Internationalen Theaterfestival FITS 2016 aufgeführt wird, ist Der 20. November“ nach Lars Noren, eine Inszenierung des Regisseurs Eugen Jebeleanu mit dem jungen Schauspieler Ali Deac in der Hauptrolle. Der Text bezieht sich auf den Amoklauf von Emsdetten am 20. November 2006. Der 18-jährige Sebastian Bosse betrat gegen 9:25 Uhr das Gelände seiner ehemaligen Schule maskiert, schoss auf Menschen und zündete Rohr-, Rauch- und Brandbomben. Anschließend beging er Suizid. Mindestens sechs Personen wurden durch Geschosse, eine Person durch den Wurf einer Rauchgranate verletzt, weitere 30 mussten wegen eines Schocks oder einer Rauchgasvergiftung behandelt werden. Der Autor nimmt den echten Amoklauf als Grundlage und konstruiert eine dokumentierte Fiktion über das zerstörte Leben eines misshandelten Jungen. Der Schauspieler Ali Deac arbeitete zusammen mit dem Regisseur Eugen Jebeleanu auch an der Übersetzung des Textes ins Rumänische. Ali Deac:
Als ich den Text zum ersten Mal las, empfand ich ihn als sehr hart, sehr radikal. Der Text war extrem hart, man brauchte fast nicht mehr zu spielen. Dann versuchte ich, diesen Jungen zu verstehen, ich wollte das Ganze auch von seinem Standpunkt aus sehen. Nach einer solchen Geschichte sagen alle, er sei verrückt gewesen. Die wenigsten wissen aber, dass nur zwei Jahre vorher Sebastian ein Musterschüler war. Es ist hochinteressant, dass nur einige Monate vor seinem Amoklauf, im August, er auf mehreren Online-Psychologie- und Psychiatrieforen geschrieben hatte, um Hilfe zu bekommen. Damals hatten sich die anderen über ihn lustig gemacht. Mit dieser Aufführung versuchten wir, Eugen Jebeleanu und ich, Sebastian den Zuschauern näher zu bringen, er sollte nicht abscheulich wirken. Nach der Aufführung sollten die Zuschauer nicht mit demselben Eindruck nach Hause gehen wie nach einer Nachrichtensendung. Es war mir wichtig, dies zu erreichen, und es wurde mir noch wichtiger, weil man einsehen sollte, wohin Missbrauch und Misshandlung von Kindern führen können. Manchmal kann ein Wort härter als eine Ohrfeige sein, es kann tiefe Schäden verursachen.“
Die Geschichte von Sebastian Bosse, wie sie in der Aufführung Der 20. November“ erzählt wird, sollte dem Publikum als Startpunkt zum Nachdenken dienen, meint Ali Deac:
Ich möchte, dass der Zuschauer über Sebastian Bosse nachdenkt und sich fragt: ‚Was könnte ich tun? Ich kann das System nicht ändern, aber ich könnte schon mit kleineren Dingen anfangen, zum Beispiel mit der Art, wie ich meine Kinder erziehe. Ich sollte meinen Kindern zeigen, dass sie andere falsch behandeln.‘ Auch wenn die Zuschauer Sebastian ablehnen, sollten sie doch daran denken, dass der Amoklauf tatsächlich stattgefunden hat. Sie sollten daran denken, was sie tun können, damit unsere Welt einigermaßen besser wird. Sie sollten einfach mit kleinen Schritten anfangen.“
In der Aufführung Moroi“ (Wiedergänger“) inszenierte der Regisseur Alexandru Dabija Texte von Cătălin Ştefănescu und Ada Milea, die sich von der rumänischen Folklore inspirieren ließen. In dem Stück geht es um die geheimen Pfade zwischen dem Diesseits“ und dem Jenseits“. Viel zu schnell vergessen wir unsere Toten, und es ist nicht richtig, sie aus unserem Leben zu beseitigen. Das Jenseits macht uns Angst, weil wir es nicht kontrollieren können“, sagte der Regisseur Alexandru Dabija in einem Interview. Auch wenn der Tod immer präsent ist, wird bei der Aufführung mit dem Stück Wiedergänger“ viel gelacht. Dazu der Schauspieler Adrian Matioc vom Nationaltheater Sibiu:
In dieser Aufführung spiele ich mit Begeisterung, und das Publikum empfängt alles mit Begeisterung! Diese Aufführung ist voller Überraschungen, die Spannung lässt nie nach, jede Minute bringt etwas Neues! Es ist ein wilder Reigen voller Geschichten, Mythologie, Speisen und Küchengerüchen, voller Menschen! Es geht um Menschen, es geht um uns, es geht um die Menschen, die uns großgezogen haben. Es geht um gottesfürchtige Menschen, die aber auch an übernatürliche Wesen glaubten, welche auf ihre Gärten aufpassten und ihnen manchmal den Getreideboden mit Mais füllten… Es geht um die Geschichten, die uns die Großeltern erzählten, und darum, wie wir uns fürchteten, wenn das Kerzenlicht unheimliche Schatten an die Wände warf… Darum geht es in unserer Aufführung.“