Theaterfestival in Piatra Neamţ: Im Zeichen der Jugend, aber generationsübergreifend
Vom 11. bis zum 22. Oktober veranstaltete das Jugendtheater in Piatra Neamţ das Theaterfestival Ich plädiere für die Jugend“.
Luana Pleşea, 14.11.2015, 17:30
Nach einer 4 Jahre langen Pause setzte das Jugendtheater in der nordmoldauischen Stadt Piatra Neamţ mit dem Festival Ich plädiere für die Jugend“ im Oktober 2015 die schöne Tradition der Förderung junger Theaterleute fort. Die Wiederaufnahme des ältesten Theaterfestivals in Rumänien (die erste Auflage war im Jahr 1969) bedeutete auch die Wiederkehr des Theaterensembles in seinem alten Zuhause, dem denkmalgeschützten Gebäude, das in den letzten Jahren saniert wurde. Das sei ein Zeichen der Normalität, meint der Theaterintendant und Schauspieler Liviu Timuş. Das Theater der Jugend, das dieses Jahr die 27. Auflage des Theaterfestivals in Piatra Neamţ veranstaltet, hat im Laufe der Jahre viele der besten rumänischen Schauspieler und Regisseure hervorgebracht.
Mit den Aufführungen, die dieses Jahr nach Piatra Neamţ eingeladen wurden, versuchte man, ein Röntgenbild des rumänischen Theaters der Gegenwart zu machen. Ferner wollten die Veranstalter die Trends präsentieren, die von jungen rumänischen Theaterleuten initiiert wurden. In den letzten Jahren war das unabhängige Theater in Rumänien besonders aktiv, und daher waren dieses Jahr in Piatra Neamţ mehrere unabhängige Theaterproduktionen zu sehen. Das Stück Fă tu primul pas!“ (Mach du den ersten Schritt!“) von Jean-Claude Carrière, in der Regie von Andrei Munteanu, ist eine Produktion des 2010 gegründeten unabhängigen Kunsttheaters Bukarest. Hauptdarstellerin ist Raluca Aprodu, eine Schauspielerin, die sowohl in unabhängigen Theatern als auch in Staatstheatern spielt und durch ihre Filmrollen sehr bekannt wurde. Wie wählt man einen Text für eine Theateraufführung und wie entsteht eine Aufführung in einem unabhängigen Raum? Raluca Aprodu:
Man sollte sich von nichts und niemandem beeinflussen lassen. Wichtig sind nur der Wunsch des Schauspielers, eine gewisse Theaterfigur kennenzulernen, und der Wunsch des Regisseurs, einen gewissen Theatertext zu interpretieren. Das wär’s. Leider müssen wir uns dem Ort anpassen, wo wir spielen werden. Manchmal ist es sehr wichtig, dass viele Leute ins Theater kommen. Da beginnen wir, Kompromisse zu machen. Es ist zum Beispiel wichtig, dass auf dem Plakat das Wort ‚Komödie‘ steht. Nach einem stressigen Arbeitstag will niemand eine schwierige, ernste Aufführung sehen. Wenn schon, dann geht man ins Staatstheater. Um das Publikum anzulocken, muss man deshalb ein bisschen gerissen sein. Wir haben eine Produktion im Godot-Theater, die ‚Happy End‘ heißt. Der Originaltitel war ‚Lieselotte im Mai‘, er klang nicht besonders attraktiv, und wir haben ihn geändert. Der Name war schon wichtig — obwohl es sich um dasselbe Stück handelte, kamen mehr Leute ins Theater, und wir konnten ihnen genau das zeigen, was wir beabsichtigt hatten. Inzwischen gibt es sehr viele unabhängige Theaterproduktionen, das Publikum hat Mut gefasst und kommt zu uns. Besonders wichtig ist, dass auch bekannte Schauspieler neulich in unabhängigen Produktionen spielen, sie wirken wie ein Publikumsmagnet.“
Um junge Theaterregisseure, Bühnenbildner und Schauspieler zu fördern hat das Theaterfestival Piatra Neamţ auch eine Wettbewerbsabteilung; 16 der 80 eingeladenen Theateraufführungen beteiligten sich an dem Wettbewerb. Zu den Preisträgern gehört auch die junge Schauspielerin Nicoleta Lefter, die mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Sie spielte die Rolle Nadia in dem Stück Viză de clown“ (Aliens with Extraordinary Skills“) von Saviana Stănescu, einer Aufführung des Bukarester Theaters Odeon in der Regie von Alexandru Mihail. 2008 wurde das Stück Aliens with Extraordinary Skills“ im Julia Miles Theatre in New York aufgeführt und erhielt enthusiastische Kritiken in The New York Times und anderen amerikanischen Publikationen. Die Geschichte wurde von einer echten Begebenheit inspiriert: Ein Rumäne und ein Ukrainer brachten mehr als 800 Immigranten in die USA, und zwar mit falschen Visa für Zirkusdarsteller. Die 33jährige Nicoleta Lefter ist eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation und beteiligt sich an zahlreichen Theaterfestivals. Man braucht viele solcher Festivals, vor allem für junge Theaterleute, meint Nicoleta Lefter:
Der wichtigste Schritt wäre meiner Ansicht nach, dass wir versuchen, junge Leute davon zu überzeugen, vom Computer und Fernseher abzulassen. Sie sollten mal ins Theater kommen, lebendige Menschen auf der Bühne sehen, Gefühle empfinden, die vor dem Bildschirm nicht möglich sind. Im Theater hat man Erlebnisse, die einen ändern und zum Sozialisieren bringen können. Ich habe festgestellt, dass wir immer mehr zu Einsamkeit und Isolierung neigen. Die Leute sozialisieren nicht mehr, sie öffnen sich nicht mehr, sie haben keinen Spaß mehr am Zusammentreffen, am Diskutieren, sie interessieren sich nicht mehr, wie es den anderen geht… Das wäre am Wichtigsten, glaube ich. Und wenn die Aufführungen auch eine Erziehungskomponente hätten, etwas, das die Einbildungskraft der jungen Menschen stimulieren kann, wäre es wunderbar.“
Einer der jungen Regisseure, die zum Theaterfestival Ich plädiere für die Jugend“ in Piatra Neamţ eingeladen wurden, ist Vlad Cristache. Er inszenierte das Stück The History Boys“ von Alan Bennett im Bukarester Theater Excelsior. Die Produktion wurde in den Kategorien Beste Aufführung“ und Beste Regie“ nominiert. Vlad Cristache plädiert für mehr Festivals für junge Theaterleute:
Einerseits ist es schon eine tolle Sache, dass so etwas passiert, weil man zwei oder mehrere Generationen von Theaterleuten zusammenbringt, Leute, die in den letzten zehn Jahren debütiert haben. Man sieht ihre Aufführungen und so gewinnt man einen Eindruck darüber, wie sie die Entwicklung des Theaters verstehen. Andererseits glaube ich nicht so sehr an diese Aufteilung in ‚junge‘ und ‚alte‘ Theaterleute — ich glaube, dass sehr viele Theaterleute, die schon ein gewisses Alter erreicht und eine große Erfahrung gesammelt haben, bei ihren Entscheidungen und Aufführungsideen viel frischer, viel jünger sein können als die sog. ‚jungen Theatermacher‘. Jugend liegt nicht im biologischen Alter, sie hängt von der Persönlichkeit ab.“