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Berlinale 2015: „Aferim!“ von Radu Jude gewinnt Silbernen Bären für Regie

Ein Balkanwestern in Schwarz-Weiß: In der Walachei des Jahres 1835 suchen ein Landjäger und sein Sohn einen entlaufenen Roma-Sklaven und begegnen dabei Menschen unterschiedlicher Herkunft und Gesinnung.

Berlinale 2015: „Aferim!“ von Radu Jude gewinnt Silbernen Bären für Regie
Berlinale 2015: „Aferim!“ von Radu Jude gewinnt Silbernen Bären für Regie

, 15.02.2015, 13:00

Ein Balkanwestern in Schwarz-Wei‎ß: In der Walachei des Jahres 1835 suchen ein Landjäger und sein Sohn einen entlaufenen Roma-Sklaven und begegnen dabei Menschen unterschiedlicher Herkunft und Gesinnung. Am Mittwoch war der Film Aferim!“ des rumänischen Regisseurs Radu Jude auf der Berlinale zu sehen, Samstagabend wurde der Streifen mit dem Silbernen Bären für die beste Regie (zusammen mit Body“ von Małgorzata Szumowska) geehrt.



Der bis jetzt beste, originellste Film von Radu Jude“, schreibt die amerikanische Fachzeitschrift Variety über Aferim!“, den dritten abendfüllenden Spielfilm des rumänischen Regisseurs, eine Produktion, die für den offiziellen Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2015 ausgewählt wurde. Variety lobt die Regie des Films und das Drehbuch von Radu Jude und Florin Lăzărescu über Ausgrenzung und Ständeordnung in der Walachei des 19. Jh. Bemerkenswert seien auch die Leistung der Darsteller, vor allem jene Toma Cuzins als flüchtiger Sklave, sowie die exzellente Kameraführung von Marius Panduru in diesem Schwarz-Wei‎ß-Streifen. Auch The Hollywood Reporter schreibt nur Gutes über den Spielfilm von Radu Jude: Das ist ein starker Wettbewerbsteilnehmer: Der Film macht einen sehr guten Gesamteindruck, das Thema ist aktuell, das Drehbuch ist hart und amüsant zugleich. Der gegenwärtige Rassismus gegen die Roma in Osteuropa war eine Inspirationsquelle für mehrere starke Spielfilme der letzten Jahre. »Aferim!« geht aber an die historischen Wurzeln dieses so aktuellen Themas — in ihrem Drehbuch erzählten Radu Jude und Florin Lăzărescu echte Erfahrungen der Roma-Sklaven im Donaufürstentum Walachei. Am wichtigsten ist, dass es den Drehbuchautoren gelungen ist, dieses dunkle Thema auf amüsante und persönliche Art darzustellen, ohne daraus eine hölzerne, realsozialistische Predigt zu machen“, so The Hollywood Reporter.



Aferim!“ (ein im Rumänischen veraltetes Wort türkischer Herkunft, zu deutsch in etwa: Bravo!“, Gut gemacht!“) ist ein Historien-Film in Schwarz-Wei‎ß, man könnte sagen ein Western im Fürstentum Walachei des Jahres 1835. Im „Tagesspiegel“ wurde nach der Berliner Premiere der Film folgenderma‎ßen vorgestellt:



„Zwei Männer, Vater und Sohn, reiten durch die Walachei, durch Wälder, Steppe und Sümpfe. Der Vater ist Hauptmann, er hat einen Steckbrief dabei. Gesucht wird der junge Carfin, er soll die Frau des Bojaren verführt haben. Carfin ist Zigeuner — das Wort Roma gibt es im Sprachgebrauch der Mehrheitsbevölkerung noch nicht. Roma sind Sklaven, Gesindel. Die Leibeigenschaft wurde in den Donaufürstentümern erst um 1850 verboten, vorher konnten die Fürsten mit ihren“ Roma beliebig verfahren, sie weiterverkaufen (aber nur als ganze Sippschaft) oder wie Tiere behandeln, nur getötet werden durften sie nicht. Zigeuner“, das bekommt man in Aferim!“ reichlich zu hören, sind Krähen, Maden, mieses Pack. Der Hauptmann und sein Sohn sprechen eine räudige, aggressive Sprache, wie überhaupt alle, die sie auf ihrem Ritt treffen, Bauern und Popen, Türken, Kinder, Trinker in einer Spelunke. Eine Welt voller Ausbeutung, Willkür, Korruption, in der auch Frauen Menschen zweiter Klasse sind und Ehebruch grausam bestraft wird. Und das mitten in der spröden Schönheit der Walachei, die der Film in grobkörnigen Schwarz-Wei‎ß-Aufnahmen festhält.“



Gedreht wurde Aferim!“ in der Dobrudscha, im Măcin-Gebirge und im Süden Rumäniens, in der Umgebung von Giurgiu, mit einem Budget von 1,4 Mio. Euro. Eine zentrale Frage des Films ist die Roma-Sklaverei in der Walachei des 19. Jh. Mehr dazu vom Regisseur Radu Jude:



Der Film handelt nicht nur von der Leibeigenschaft. Da aber über diesen Teil der rumänischen Geschichte nur wenig gesprochen wird, kommt die Sklaverei der Roma am stärksten in Erscheinung. In dem Film geht es um viele andere Themen: die Situation der Frauen, die Religion, die Art und Weise, wie Ideen von einem Menschen zum anderen weitervermittelt werden, die Toleranz, all diese Themen kommen in meinem Film vor. Was ich damit sagen wollte, ist, dass ein soziales Phänomen, wie auch ein Phänomen im Privatleben, tiefe Wurzeln in einer näheren oder entfernteren Vergangenheit hat. Oft vergessen wir diesen Aspekt. Wir sollten aber die Verantwortung für unsere Vergangenheit übernehmen, und das wollen wir meistens nicht, weil es uns nicht leicht fällt. Auch bei ganzen Gesellschaften gilt, was Freud über das Individuum sagte: Was wir zu verdrängen versuchen, kommt auf uns zurück. Deshalb bin ich der Ansicht, dass jede Gesellschaft die unangenehmen Zeiten und Ereignisse in ihrer Geschichte immer wieder in Erinnerung bringen sollte.“




Aferim!“ ist die wichtigste rumänische Kinoproduktion seit 2010, als Die Autobiographie des Nicolae Ceauşescu“ von Andrei Ujică und Aurora“ von Cristi Puiu gedreht wurden. Der 1977 geborene Regisseur Radu Jude ist bereits bei seinem dritten abendfüllenden Spielfilm und kommt in die Reihen der besten rumänischen Kinomacher. Dieses Kunstwerk wird zum Klassiker des rumänischen Kinos und ist bereits eine starke Präsenz in den öffentlichen Debatten“, schreibt der Filmkritiker Andrei Gorzo. Der Regisseur Radu Jude spricht über seine Inspirationsquellen für Aferim!“:



Für meinen Film hatte ich unterschiedliche Inspirationsquellen, nicht nur kinematographische. Was mich am meisten interessierte, war, wie man eine geschichtliche Rekonstruktion schaffen kann, ohne die Kinogänger an der Nase herumzuführen. Ich wollte eine Scheibe echten Lebens mit der Kamera aufnehmen. Darüber gibt es lange Diskussionen, manche Kinotheoretiker erklären sich gegen historische Spielfilme, weil sie meinen, solche Streifen seien ein Versto‎ß gegen den Grundsatz der Kinokunst. Ich wollte aber einen Spielfilm drehen (auch wenn mein Projekt vom geschichtlichen Gesichtspunkt schwer einzustufen ist) und deshalb gab ich den Zuschauern gewisse Hinweise, dass sie sich eigentlich einen Spielfilm anschauen, und dass sie sich darüber gewisse Fragen stellen sollten, um ihre eigenen Antworten zu finden. In »Aferim!« wurde alles dicker aufgetragen — das ist weder gut noch schlecht. Es ist blo‎ß ein Versuch, den Zuschauern zu signalisieren, dass sie das Vorgeführte nicht als vorgefertigte Kost aufnehmen sollten.“




Der Spielfilm Aferim!“ von Radu Jude ist eine Produktion von Hi Film Productions und wird Anfang März in die rumänischen Kinos kommen.

Foto: facebook.com/Clara.the.Romanian.school.teacher
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