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Remember Nina Cassian

Am 16. April 2014 schied die beinahe 90jährige Dichterin und Übersetzerin Nina Cassian aus dem Leben. Sie galt als eine der wichtigsten rumänischen Literaturschaffenden.

Remember Nina Cassian
Remember Nina Cassian

, 23.08.2014, 15:45

Ein ausgeprägt sensibles Wesen, mit der Miene einer verführerischen Meerjungfrau und eines verängstigten Rehs, mit einem Profil, bei dem gewisse Ähnlichkeiten mit Dante nicht zu leugnen sind, mit au‎ßergewöhnlich eleganten Fingern, die unvergesslich sind, mit der Musik im Blut und der Poesie im Leib, mit einem Gesprächsfaden, so betörend wie ein edler Sekt, eine frenetische Wodka- und Tabakkonsumentin, zynisch und spielerisch, romantisch und melancholisch, zerbrechlich und roh, grazil und kompromisslos, das war Nina.“



So wurde die Dichterin nach ihrem Tod am 16. April dieses Jahres von dem Historiker Vladimir Tismăneanu beschrieben.



Renee Annie Cassian kam am 27. November 1924 im ostrumänischen Galatz in einer jüdischen Familie auf die Welt. Sie studierte in Kronstadt und Bukarest und mit 16 Jahren trat sie der Kommunistischen Jugendorganisation bei. Zwei der wichtigsten rumänischen Dichter, Tudor Arghezi und Ion Barbu, ermutigen Cassian zu ersten literarischen Versuchen. Ein unumstrittenes Talent“ wurde ihr von Tudor Arghezi bescheinigt. Wie der Kritiker Alex Ştefănescu berichtet, fühlt sie sich angezogen von der kommunistischen Bewegung, allerdings begegneten die Genossen ihr mit Abscheu, weil sie als ehrgeizig und dominant galt.“



Nach einigen Proletkult-Gedichten kehrt sie zur authentischen Literatur zurück und schreibt viele Kinderbücher (Prinz Miau, 1957, Die Abenteuer von Rüsselchen, 1959, Der Tölpel, 1961, Regenbogen, 1962, Die Geschichte von zwei Tigerbabys, Ninigra und Aligru genannt, 1969, Die Katze im Fernsehen, 1971, Unter uns Kindern, 1974). Im Jahr 1985 reist Nina Cassian in die USA als Gastprofessorin und Sörös-Stipendiatin, dort soll sie eine Lehrveranstaltung führen. Dort erfährt sie von der Verhaftung und der Ermordung im Gefängnis des Dissidenten Gheorghe Ursu, mit dem sie befreundet war. Die Dichterin beschlie‎ßt, die Rückreise in die Heimat nicht mehr anzutreten. Als Vergeltung beschlagnahmen die rumänischen Behörden ihre Wohnung, ihre Bücher werden verboten und aus den Beständen der Büchereien entfernt — bis zum Fall des Ceauşescu-Regimes im Dezember 1989.



Die Gedichte der Nina Cassian wurden in den US-Magazinen The New Yorker“, Atlantic Monthly“, New England Review“ und American Poetry Review“ veröffentlicht. Ein Gro‎ßteil ihrer Werke wurde ins Englische, Italienische und Französische übersetzt. Cassian übersetzte ihrerseits zahlreiche Werke von Wladimir Majakowski, Kornej Tschukowski, Margarita Aliger, Yannis Ritsos, Christian Morgenstern, Paul Celan, Bertolt Brecht, Molière, Shakespeare. Zehn Jahre nach ihrer Niederlassung in New York gab Nina Cassian der Dichterin Liliana Ursu ein Interview.



Am Anfang habe ich gar nichts getan, weil ich mich für jegliche Tätigkeit unfähig fühlte, ich war immun, betäubt infolge der zu vielen wesentlichen Verluste. Ich hatte mich mit der Idee vom Tod bereits sehr angefreundet. Nichtsdestotrotz, ohne jegliche Anstrengung, hatte ich letzten Endes Glück und deshalb kann ich mich auf den ersten Blick als triumphierendes Wesen betrachten. Auf den zweiten Blick bin ich aber ein trauriges Stück Fleisch, ‚helas, la chair est tristeet jai lu tous les livres‘ (das Fleisch ist traurig und ich habe alle Bücher gelesen). Und das ist im Wesentlichen und als Metapher ausgedrückt, was mit mir passiert. In der Tat, die Wirksamkeit, die ich beim amerikanischen und englischen Publikum erreichte, war für mich eine Überraschung und eine Offenbarung. Weil ich mit meinen Worten aus einem anderen Land hier ankam, es waren nicht nur Wörter aus einer anderen Sprache, sondern aus einer völlig unterschiedlichen psychischen und geistigen Struktur. Deshalb hat es mich gewundert, dass das Publikum das so stark aufgenommen hat oder dass ich es so gut überzeugen konnte. Und das Ergebnis ist in der Tat, was wir sehen, es war Liebe auf den ersten Blick.“




Wie der Kritiker Alex Ştefănescu es prägend beschreibt, war Nina Cassian mit einem scharfen Sinn für Ironie ausgestattet, die einerseits erklärlich ist mit einer spezifischen weiblichen Beobachtungsgabe und andererseits mit jener intellektuellen Nüchternheit, die für die Dichterin später nicht nur eine charakteristische Eigenschaft darstellen wird, sondern auch ein Meditationsthema, eine mit Eifer unterstützte Sache, ein Glaubensbekenntnis“. Nina Cassian gestand selbst:



Ich bin voller Selbstzweifel, wie jeder Dichter. Wenn einige Monate vergehen, in denen ich nichts geschrieben habe, sage ich mir, dass alles nur eine Empfindung war, dass es mir nur so vorgekommen ist, dass ich Poesie ausstrahle und ich eigentlich keine Dichterin bin! Ich denke, dass ich mir nur ein beliebiges Handwerk angeeignet habe und dass das alles mit einer Trägheit dieses Handwerks einhergeht und hier endet. Aber diese Selbstzweifel sind nicht schlecht. Die Zweifel haben eine kreative Kraft, vorausgesetzt sie übernehmen nicht die Kontrolle und überwältigen dich.“




Nina Cassian wurde am 21. März 2014 in Venedig geehrt, dem Welttag der Poesie, anlässlich der Veröffentlichung des ersten Gedichtbandes Cè modo e modo di sparire“ in italienischer Sprache. Der Band gilt bei den Verlagen als eine der wichtigsten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Poesie in Italien. Bei diesem Anlass wurde im Rumänischen Kulturinstitut auch ein Interview mit Nina Cassian vorgeführt, ein Ausschnitt aus der Doku Wir, die Rumänen in aller Welt“, die 2010 von Maria Ştefanache produziert wurde.



Nina Cassian, die als eine der gro‎ßen Verführerinnen der rumänischen Literatur gilt, wurde von berühmten Schriftstellern geliebt. Ich liebte und wurde geliebt. Ich hatte eine ununterbrochene Schaffenszeit. Ich habe mich einer Anerkennung gefreut, manchmal wurde ich ausgegrenzt, und das eigentlich häufig, auch in diesen Zeiten. Aber all dies gehört zum Gleichgewicht des Lebens!“ — sagte Nina Cassian in einem ihrer letzten Interviews.



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