Das Festival „Temps d’Images“
Das Festival Temps dImages“ (Bilderzeit“) fand in der ersten Novemberhälfte in Cluj/Klausenburg statt. Im Mittelpunkt stand die Verbindung zwischen den traditionnellen Künsten und den neuen Medien.
Luana Pleşea, 30.11.2013, 15:56
Temps d’Images — Bilderzeit, aber auch Bilder unserer Zeit. Theater, Tanz, Videokunst — alle zusammen in einem Festival, das sich auf die soziale Funktion der Kunst konzentriert:
2008 sah das Festival ein bißchen anders aus — die jetzige Orientierung entstand im Laufe der Zeit. Wir brauchten drei Auflagen, um unsere Zielrichtung genau zu erkennen. 2011 war ich von den sozialen Bewegungen in der arabischen Welt tief beeindruckt, es wurde mir klar, daß wir wichtige Zeiten erleben und die jüngsten sozialen Umwandlungen die Gegenwartsgeschichte prägen werden. Alles, was wir bei unserem Festival zusammen mit den eingeladenen Künstlern unternehmen, sollte diesen für unsere Zukunft extrem wichtigen Moment widerspiegeln. So haben wir angefangen, soziale Themen zu behandeln, oder Themen, die in enger Verbindung mit den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit stehen. Ich bin der Ansicht, daß die Kunst eine neue Perspektive auf die sog. ‚Sisyphus-Arbeit‘ der Menschen öffnen könnte.“
Das war Miki Braniște, Vorsitzende des Verbandes ColectivA und Leiterin des Festivals Temps d’Images“. Die 6. Auflage des Festivals Temps d’Images“ in Rumänien fand in der ersten Novemberhälfte in Cluj/Klausenburg statt; das Festival hat aber eine ältere, europäische Geschichte. 2002 starteten der Fernsehkanal Arte und La Ferme du Buisson — die Nationalbühne Marne la Valée aus Frankreich — das Projekt Temps d’Images“, ein Festival mit Theater, Tanz, Photo- und Videokunst. Seitdem wuchs das Festival ununterbrochen und jetzt läuft es in 10 Ländern — in Belgien, Estland, Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Polen, Rumänien, Ungarn und in der Türkei.
Jede rumänische Auflage des Festivals Temps d’Images“ hatte ein anderes Thema, das vom Sozialbereich inspiriert wurde. Alle Themen verbindet aber ein gemeinsamer roter Faden. Miki Braniște dazu:
Letztes Jahr hatten wir das Thema ‚Zukunft‘ und dieses Jahr konzentrieren wir uns auf das Thema ‚Solidarität‘. Aus den Gesprächen mit dem Publikum und den Künstlern bei der vorigen Auflage ist uns klar geworden, daß man allein nichts auf dieser Welt schaffen kann. Wir brauchen einander, und wir müssen über den Begriff ‚Solidarität‘ hinausschauen, nach den Ursachen der Solidarität suchen. Ich wäre daran interessiert, Künstler aus Japan einzuladen, wo die Umweltprobleme sehr aktuell sind. Die Umweltthematik, die in der Kunst sehr wenig reflektiert wird, wird von jetzt an für uns alle besonders wichtig.“
Bei der diesjähigen Auflage des Festivals Temps d’Images“ war das Thema Solidarität“ in irgendeiner Form in allen Events wiederzufinden. Die Festivalleiterin Miki Braniște mit weiteren Details:
Wir führten viele Debatten, an denen rumänische und ausländische Künstler, Festivalproduzenten und Festivalleiter teilgenommen haben. Obwohl jeder von ihnen die Situation in seiner Heimat dargestellt hatte, haben wir verstanden, daß Solidarität eine globale Frage ist, daß wir alle Solidarität brauchen. Dieses Thema beschäftigte auch das Publikum des Festivals, wir erhielten viel Feedback. Wir haben ein großes Bedürfnis nach Kommunikation, bei den Debatten reichte uns die Zeit nie aus. Die Debatten können wir aber auch nach dem Festival hier in Cluj fortsetzen. Wir können versuchen, Lösungen zu finden, damit die Menschen ihre Rolle als Bürger besser verstehen und mehr Anteil nehmen.“
Über Solidarität erzählt auch die Tanzperformance Parallell“, geschaffen von Ferenc Sinkó und Leta Popescu und aufgeführt von Lucia Mărneanu und Kata Bodoki-Halmen. Diese Tanzaufführung hat die Theaterkritikerin Oana Stoica tief beeindruckt:
Diese Performance beginnt als Gegenwartstanz und endet als Theateraufführung. Das Ganze zielt auf Probleme der Gender-Identität, nämlich auf die lesbische Identität ab; es ist eine Gegenüberstellung der Art und Weise, wie Männer und Frauen einander betrachten und zeigt, wie die Gesellschaft Vorurteile und Klischees schafft. Es geht um die Klischees, die jeder von uns auf den anderen projiziert, von der Sinnlichkeit bis zur Sexualität, es geht um Differenzen jeder Art. Die Aufführung ist sehr beeindruckend, die Darstellung der zwei Tänzerinnen ist ganz unterschiedlich von dem, was wir normalerweise auf den rumänischen Bühnen zu sehen bekommen. Der Tanz und der gleichzeitig poetische und sozial engagierte Text werden in physischer Form zusammengeschmolzen. Die Aktion ist sowohl physisch als auch textverbunden. Die zwei jungen Frauen, die parallell in verschiedenen sog. ‚Räumen‘ tanzen, gehen im Laufe der Aufführung von der weiblichen zur männlichen Identität über.
Die Programmauswahl für das Festival Temps d’Images“ sei dem gegenwärtigen Spezifikum des rumänischen Theaters angepaßt worden; es ging um Texte mit starkem sozialen Engagement, die vom Alltag inspiriert wurden, sagte die Theaterkritikerin Oana Stoica. Ihr Abschlußkommentar synthetisiert das Besondere des Projekts Temps d’Images“ und zeigt, warum unsere Gesellschaft dieses Festival braucht. Oana Stoica:
Die sozialen Probleme werden in der Kunst in Form von Fragen reflektiert, in dem Sinne, daß der Künstler gewisse Probleme und Laster der Gesellschaft darstellt. Es werden Probleme und Fragen aufgeworfen, aber keine Lösungen geboten. Es ist nicht die Aufgabe des Künstlers, Lösungen oder Heilmittel zu finden; er muß nur die Wunde bloßstellen. Genau das braucht das Publikum — seine Probleme werden in verbaler Form ausgedrückt, in einer Form, die es sich noch nicht vorgestellt hatte. Meiner Meinung nach sollten die Kunst, das Theater in Rumänien mehr über die Probleme der Menschen von heute sprechen, auf Metaphern verzichten und Klartext reden.“
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