Natura 2000 Netzwerk muss gerettet werden
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist eine enorme Bedrohung für die Umwelt. Um die Biodiversität nachhaltig sicherzustellen, hat die EU ein richtiges Netzwerk von Schutzgebieten eingerichtet - doch diese Schutzgebiete sind heute in Gefahr.
România Internațional, 31.07.2015, 18:00
Rechtsgrundlage für das Netzwerk der unter dem Namen Natura 2000 bekannten Schutzgebiete sind zwei Richtlinien der Europäischen Union. Sie halfen, auf dem Kontinent nicht weniger als 26.000 Schutzgebiete einzurichten – das größte Naturschutznetzwerk der Welt, das fast ein Fünftel der Landfläche und 4% der Wasserfläche Europas umfasst. In Rumänien gibt es 531 Schutzgebiete Natura 2000, die sich auf fast ein Viertel der Gesamtoberfläche des Landes erstrecken. Hinsichtlich der biologischen Vielfalt ist das Land in Europa führend – umso mehr es über die letzten 100% natürlichen Ökosysteme des Kontinents verfügt.
Nach mehreren Jahren will die Europäische Kommission jetzt die beiden Natura 2000 Richtlinien auf den Prüfstand stellen und kontrollieren, ob sie tatsächlich etwas zum Umwelt- und Naturschutz getaugt haben. Umweltschützer befürchten, dass es zu einer Lockerung des strengen Rechtsrahmens für den Erhalt der Natur kommen wird und die über Jahre erzielten Fortschritte in der rechtlichen Ausstattung des Naturschutzes verschleudert werden. Über 100 prominente Umweltvereine, darunter der rumänische Ableger des World Wide Fund for Nature – kurz WWF – und die Rumänische Gesellschaft für Vogelkunde, haben eine gemeinsame Kampagne gestartet, um die beiden Richtlinien zu retten. Besorgte Bürger aus ganz Europa sollen im Internet eine Petition unter dem Namen „NatureAlert / Alarm für die Natur“ unterschreiben. Ovidiu Bufnilă, Sprecher der Rumänischen Gesellschaft für Vogelkunde, erläutert die Bedeutung der beiden Richtlinien: „Die Volgelrichtlinie erschien 1970, als sie wirklich gebraucht wurde. So war der Seeadler beispielsweise vom Aussterben akut bedroht, es gab nur noch einige Paare in ganz Europa. Zum Glück haben wir in Rumänien diesen wunderschönen Vogel – die größte Adlerart Europas – noch im Delta und entlang der Donau. Diese Richtlinie gab klare Ziele für den Tier- und Vogelschutz in Europa vor. 1992 erschien dann die Habitat-Richtlinie, die die Schutzgebiete für die Wildtiere regelt – es geht um unsere Umwelt, um die Luft in unseren Wäldern, um Grasland, das einmal zerstört, nur schwer wieder hergestellt werden kann. Ein Angriff auf diese beiden Richtlinien kann nur schlimme Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit haben“, befürchtet der Naturschützer.
Viele der Arten und Habitate konnten aufgrund der Richtlinien gerettet werden, sagen die Vertreter der Umweltvereine – in Rumänien waren das wichtige Naturschutzgebiete in den Karpaten oder im Donaudelta, weiß Ovidiu Bufnilă – z.B.in Siebenbürgen das Hârtibaci-Plteau, außerdem Gebirgszüge wie Tarcu oder Apuseni, ferner Naturparks wie Buila-Vânturariţa, Grădiştea Muncelului-Cioclovina:“Vom Seeadler, der früher bedroht war, gibt es heute über 10.000 Paare in ganz Europa, nicht nur an der rumänischen Donau, sondern auch in Norwegen oder Frankreich, wo man seine Akklimatisierung versucht – was beispielsweise in Schottland gelungen ist. Es ist also nicht schwer, die Natur zu schützen und bestimmte Arten zurück zu bringen. In Spanien sind Braunbären verschwunden, aber durch das Netzwerk Natura 2000 erscheinen sie wieder. Marder oder Luchse, die praktisch verschwunden waren, tauchen plötzlich wieder auf. In Rumänien mag es zwar noch Wölfe geben, aber in anderen Ländern wie Polen standen sie kurz vor dem Aussterben. Jetzt erholt sich die Wolfsbevölkerung langsam. Es ist also ein europaumspannendes Netz, das Entlastung bringt. Denn die Lage ist desolat. 60% der wichtigen Tier- und Pflanzenarten und 77 % der Habitate gelten als bedroht. Nicht weniger als 25% der Meeressäugetiere und 15% der Säugetiere an Land sind in der EU vom Aussterben bedroht – dazu 38% der Süßwasserfische, 41% der Süßwasserweichtiere, 22% der Amphibien, 21% der Reptilien, viele Libellen, Vögel und Schmetterlinge.
Wie Tierschützer Ovidiu Bufnilă weiter ausführt, hat Europa innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten hunderte Millionen Vögel verloren, nachdem ihre Habitate durch die intensive Landwirtschaft zerstört wurden. Umweltverschmutzung, Bauen, Abholzungen, die haltlose Ausbeutung der Gewässer und der Erde, aber auch der Klimawandel haben zu dieser Situation geführt: „In den letzten 30 Jahren sind in der EU über 420 Millionen Vögel verschwunden. Allein durch die intensive Landwirtschaft haben wir 300 Millionen Vögel im Vergleich zu 1980 verloren. Zwischen 1990 und heute haben wir 60% der Graslandschmetterlinge verloren. Wenn wir berücksichtigen, wie die Agrarwirtschaft heute betrieben wird, ist klar, dass sie der Hauptfeind der Natura 2000 Gebiete und der europäischen Natur generell ist. Es werden enorme Anstrengungen für den Artenschutz unternommen. Der größte Vogel in Rumänien ist zum Beispiel der Krauskopfpelikan. Wir treffen ihn entlang der Donau und im Delta, wo er auch im Winter überwintert. Er war aber zu einem bestimmten Zeitpunkt stark gefährdet, aber durch Spezialprojekte und Erhaltungsmaßnahmen nahm diese Pelikanbevölkerung zu. Aber dann kam in diesem Jahr die Vogelgrippe, an der bei uns über 100 Krauskopfpelikane starben. Die bulgarischen Kollegen sagten uns, bei ihnen seien 26 an der Vogelgrippe gestorben.“
Der Nutzen des Netzwerks Natura 2000 wird auf 200 – 300 Milliarden Euro im Jahr allein aus Schutzleistungen geschätzt. Rund 1,5 Milliarden Euro entstehen zusätzlich aus den Seeschutzgebieten. Rund 2,4 Milliarden Menschen besuchen diese Gebiete im Jahr – insgesamt haben sie zwischen 4,5 und 8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Die Onlinepetition „Nature Alert / Alarm für die Natur“, die von vielen wichtigen Umweltvereinen unterstützt wird, kann bis zum 24. Juli von jedem EU-Bürger unterschrieben werden.