Was folgt auf die Ära Merkel?
Nach über 16 Jahren an der Macht hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem großen Zapfenstreich aus der deutschen Regierungspolitik verabschiedet
Corina Cristea, 17.12.2021, 15:33
Der Sozialdemokrat Olaf Scholz ist bereits der 9. Bundeskanzler der deutschen Nachkriegsgeschichte und sein Kabinett ist eine Premiere — zum ersten Mal steht eine Dreierkoalition dahinter. Was die Ampelkoalitionäre eint, ist — ihren eigenen Angaben nach — die Entschlossenheit, Deutschland zu modernisieren und dabei auf stabilem Kurs zu halten. Die internationale Politik hat Kanzler Scholz begrüßt — er ist ja kein unbeschriebenes Blatt, sondern war Finanzminister in Merkels Bundesregierung und Bürgermeister von Hamburg. Der Sozialdemokrat verheißt Aufbruch und die internationalen Partner Deutschlands hoffen auf enge Zusammenarbeit und in mehreren Fragen auch auf mehr Transparenz. Zwei große Herausforderungen muss Olaf Scholz jetzt meistern, sagt Prof. Dan Dungaciu, Direktor der Instituts für Politikwissenschaften und auswärtige Beziehungen an der rumänischen Akademie: Erstens muss er mit drei Bällen jonglieren — eine Dreierkoalition ist nichts Gewöhnliches für Deutschland. Ok, uns scheint es, dass Deutschland so etwas schaffen müsste, aber eine leichte Aufgabe wird es nicht sein. Zweitens muss er sein Versprechen halten: mehr Europa, vielleicht auch ein föderales Europa. Das ist eine extrem harte Nuss, denn hier spielt man mit dem Feuer sozusagen. Dieses Projekt kann gelingen, es kann aber auch reaktive Kräfte freimachen — die europäischen Länder könnten so reagieren, dass Europa weniger funktionstüchtig endet, als es in die Föderalisierung startet. Das ist ein delikater Politikbereich. Es nahm ja alles seinen Anlauf noch vor der eigentlichen Erklärung von Bundeskanzler Scholz, als er nämlich 2020 als Bundesfinanzminister intensiv mit Präsident Macron und Frankreich eng arbeitete und das Corona-Konjunkturpaket vorlegte — also diese massiven finanziellen Hilfen der EU an die Mitgliedsstaaten, die einen Schritt in Richtung dieser nicht erklärten Föderalisierung darstellen. Dieser Aufschwungsplan ist sozusagen der hamiltonsche Moment Europas und Scholz hat ihn gemeinsam vorbereitet mit Frankreich. Sein Verhältnis zu Frankreich, zu Macron also ist fundamental aus der Perspektive eines Wahlsiegs von Macron. Diese Beziehung wird nicht nur die traditionelle Partnerschaft für Europa weiterführen, sondern eine Partnerschaft für ein föderales Europa,“ meint Außenpolitikexperte Prof. Dungaciu.
Ihrerseits erklärte die Berliner Politologin Anneli Ute Gabanyi bei Radio Rumänien, dass die Ampelkoalition ein Bild des Fortschritts und des Aufbruchs transportieren will, ein Fortbewegen von der politischen Untätigkeit unter Bundeskanzlerin Angela Merkel: “Die Grünen wollen sehr viel am Lebensstil der Deutschen verändern und zielen auf die jungen Menschen ab, die vielleicht sehr begeistert sind, dass sie, sagen wir, frei Haschisch konsumieren oder schon ab 16 wählen könnten. Die Kräfte der Kontinuität orientieren sich an der liberalen, bürgerlichen Komponente, die auch eine seriöse Finanzpolitik bewirbt. Aber auch die Sozialdemokraten haben mit ihren Versprechen eine massive Anzahl von Wählern überzeugt…Ok, vielleicht nicht ganz so massiv, aber jedenfalls mehr Wähler als CDU-CSU hatten. Sie wollen einen Mindeststundenlohn von 12 Euro und bestimmte Erleichterungen für Sozialhilfeempfänger,” erläutert die in Rumänien geborene Politikwissenschaftlerin.
Zu den Hauptvorhaben im Regierungsprogramm gehören die Vertiefung der europäischen Integration und die Unterstützung für die Umsetzung des neuen Systems, durch das die Kommission die Auszahlung von europäischen Mitteln an Rechtsstaatsünder aufheben kann, entspanntere Regeln für die Einbürgerung von Migranten, Maßnahmen gegen den Klimawandel, der Ausgleich der öffentlichen Finanzen ab 2023, ein Selbstbestimmungsgesetz für den leichteren Geschlechtswechel und eine bessere Bekämpfung von Genderdiskriminierung und -Gewalt. Bundeskanzler Scholz besuchte bereits Paris, wie es die Tradition der Nachkriegsbeziehungen will. Das symbolische Treffen mit Präsident Emmanuel Macron vermittelte die Botschaft, dass die Partnerschaft auch nach der Ära Merkel solide ist. Zur Situation in der Ukraine warnte Olaf Scholz, dass es im Falle eines Angriffs Russlands Konsequenzen für den Betrieb der Pipeline Nord Stream 2 geben wird, die Russland mit Deutschland verbindet.