Artenschutz: Überbevölkerung ist auch keine Lösung
Viele Spezies auf unserem Planeten sind vor allem wegen menschlicher Tätigkeit vom Aussterben bedroht. Doch übertriebener Artenschutz, der zur unkontrollierten Vermehrung bestimmter Tierarten führt, bringt neue Probleme, meinen Experten.
Corina Cristea, 26.10.2018, 17:30
Eine Säugetierspezies von vier und eine Vogelspezies von acht sind vom Aussterben bedroht. Darauf lenkte vor vier Jahren der Bericht einiger Spezialisten die Aufmerksamkeit, laut denen die pflanzlichen und tierischen Spezies heute tausendmal schneller erlöschen als vor der Entstehung des Menschen auf Erden. Die Ursache dafür ist die schädigende Tätigkeit des Menschen. Die Situation ist umso ernster, je mehr sich dieses Phänomen beschleunigt. Dieses sei so intensiv, dass Experten über das sechste massive Aussterben“ sprechen, das dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren folge. Zahlreiche Säugetierspezies werden in den kommenden fünf Jahrzehnten aussterben, heißt es in einer Studie, die von dänischen und schwedischen Wissenschaftlern durchgeführt und neulich in der Fachpublikation Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde. Die nordischen Wissenschaftler haben bewiesen, dass das sechste Massenaussterben derzeit stattfindet und dass dieses nicht von Naturkatastrophen, sondern vom Menschen verursacht wird. Die Ausrottungen erfolgen in einem so schnellen Rhythmus, dass der Evolutionsvorgang mit diesem Phänomen nicht schritthält, behaupten Forscher.
Was kann man tun? Gemäß dem optimistischsten Szenario werden die Menschen aufhören, die Tierhabitate zu zerstören und zur Ausrottung der Spezies beizutragen. Aber auch in dem Fall, dass dieses optimistische Szenario wahr wird, würden die Säugetiere drei bis fünf Millionen Jahre benötigen, um sich genug zu vervielfältigen, damit der Evolutionsbaum seine Äste regeneriert, die er laut Schätzungen in den kommenden 50 Jahren verlieren wird. Rumänien zählt zu den Ländern, die dank seiner geografischen Lage und seines Reliefs sich einer reichen Tierwelt erfreut. Der Versuch, diese Speziesvielfalt zu erhalten, hat zur Verabschiedung von Gesetzen geführt, wodurch mehrere Tierarten wie der Bär, der Hirsch oder der Karpatenluchs, die Gämse, das Auerhuhn, der Fuchs, der Echte Marder, der Biber, das Wildschwein und der Wisent geschützt werden.
Ein übertriebener Artenschutz kann allerdings zur exzessiven Vermehrung führen, die schwer zu bewältigende Situationen hervorrufen kann. Das trifft in Rumänien auch im Falle der Bären zu. Laut offiziellen Angaben gibt es hier rund 6800 Exemplare. Wenn man andere Statistiken in Betracht zieht, belaufe sich die wahre Zahl auf rund 8000 Exemplare, also deutlich über die offizielle Zahl von 6000, für die sich Rumänien vor der Europäischen Kommission verpflichtet hat, diese in den Forstämtern zu pflegen. Universitätsprofessor Mircea Duţu, Präsident der Ökologischen Universität Bukarest, erläutert:
Immer muss es in der Natur ein Gleichgewicht geben. Wenn dieses Gleichgewicht auseinanderfällt, befinden wir uns in keinem natürlichen Zustand mehr. Wir befinden uns in einem beschädigten Zustand, der für die beiden Partner, in diesem Fall der Mensch und die Biovielfalt, nicht mehr günstig ist. Was diese allgemeine Frage anbelangt, würde ich da anfangen, dass der Bär und sogar der Wolf bei uns in erster Linie ein natürliches und kulturelles Symbol darstellen. Dieses ist die Quelle der lokalen Konflikte und der Medienkampagnen zur Steigerung des Bewusstseins über die Notwendigkeit der Rettung seines natürlichen Habitats. Folglich ist das ein europäisches und internationales Problem aus Sicht der Seltenheit und der Bedrohung des Aussterbens einiger Spezies, einschließlich des Bären, und aus dieser Sicht leitet sich die Notwendigkeit seines Schutzes durch den Menschen ab. Folglich haben eine schlechte ökologische Wahrnehmung und die Haltung, die wir in dieser Hinsicht entwickeln müssen, in Rumänien zu einem umgekehrten Problem geführt — die Überbevölkerung mit einer bestimmten Spezies bewirkt die Störung des ökologischen Gleichgewichts. Somit erhalten die anderen Elemente, die in Betracht gezogen müssen, auch einen unterschiedlichen Anteil. Diese sind wirtschaftliche Aspekte, der Schutz der Menschen und die Beseitigung einer Gefahr.“
Der Bär ist eine Spezies von gemeinschaftlichem Interesse. Um zu überleben, brauchen diese Tiere günstige Artenerhaltungsbedingungen. Allerdings befinden wir uns in Rumänien in einer offenbar absurden Situation, fügt Professor Duţu hinzu. Dies nicht unbedingt infolge eines übertriebenen Artenschutzes, sondern wegen einer Reihe von Faktoren. Somit wurde man in die Situation versetzt, in der diese Spezies sich über ihre natürliche Kapazität hinaus entwickelt hat, die ein dermaßen wichtiges Gleichgewicht sichern kann. Universitätsprofessor Mircea Duţu erneut am Mikrophon:
Wir befinden uns in einer Krise. Seit 2016 hat man nicht mehr die jährlich festgelegte Anzahl von Tieren gejagt, die ein Gleichgewicht innerhalb der Spezies gewährleisten könnte. Wenn sich die Lage weiterhin so entwickelt, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese außer Kontrolle gerät. Folglich benötigt man eine Studie, die den aktuellen Zustand schildern soll, sowie die Ursachen, die zu einem solchen Zustand geführt haben und die Konsequenzen dieses Zustands. Darüber hinaus muss man einen kurz-, mittel- und langfristigen Plan zur Verwaltung dieses Problems erarbeiten, sodass man dieses innerhalb kurzer Zeit löst. Es ist absurd — ganz Europas ist besorgt, dass es keine Bären hat, und Rumänien hat zu viele Bären. Diese werden zu einer Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht, für die Wirtschaft und gleichzeitig sogar für die Bevölkerung.“
In den letzten Jahren machten in einigen Gebieten Rumäniens die Bären ihre Anwesenheit täglich auf den Höfen der Dorfbewohner bemerkbar. Sie verursachten beträchtliche Schäden und verletzten sogar Menschen. Ihre Zahl steigt besorgniserregend und genauso nimmt die Angst der Einwohner vor außer Kontrolle geratene Tierbestände zu. Die Menschen in den betroffenen Gebieten fordern die Verlagerung der Bären und weitere Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts.