Rückschläge in Justizreform: War das Kooperations- und Kontrollverfahren umsonst?
Hunderttausende Menschen protestieren seit Tagen in Bukarest und in anderen rumänischen Städten gegen die umstrittenen Eilverordnungen der Regierung. In den letzten Jahren hatte Rumänien große Fortschritte im Kampf gegen die Korruption gemacht.
Corina Cristea, 03.02.2017, 18:06
Das bestätigt auch der letzte Justizfortschrittsbericht der EU-Kommission, der am 25. Januar veröffentlicht wurde. Die EU-Kommission verfolgt seit 10 Jahren durch das sogenannte Koooperations- und Kontrollverfahren (engl. Cooperation and Verification Mechanism — CVM) die Reform in der Justiz und die Fortschritte im Kampf gegen die Korruption in Rumänien. Der diesjährige Bericht erkennt die großen Fortschritte, die in den letzten Jahren in Schlüsselbereichen gemacht wurden, zugleich aber hat die EU-Kommission auf den Monitoring-Prozess nicht verzichtet. Die Politik müsse sich in erster Reihe bemühen, eine effiziente Justiz zu sichern, so der besagte Bericht, der am 25. Januar veröffentlicht wurde.
Die EU-Kommission empfiehlt die Implementierung eines robusten und unabhängigen Systems zur Ernennung der hochrangigen Staatsanwälte sowie klare Verhaltensregeln für Parlamentarier und für den gegenseitigen Respekt unter den Institutionen. Die Parlamentarier müssen auch die Unabhängigkeit des Justizsystems einhalten, so der Justizfortschrittsbericht.
Wie würde aber dieser Bericht heute ausschauen? Nicht einmal eine Woche nach der Veröffentlichung des Dokuments hat die neue rumänische Regierung trotz der Straßenproteste die umstrittene Eilverodnung zur Abänderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung erlassen. Die Änderung bringt eine Neuregelung im Fall von Amtsmissbrauch. Dieser wird mit Gefägnis nur noch dann bestraft, wenn der entstandene Schaden bei höher als 200.000 Lei (umgerechnet 44.000) Euro liegt. Die Begünstigung des Täters, einschließlich durch die Billigung von Rechtsnormen wie etwa die Maßnahme, über Nacht Eilerlässe zu verabschieden, wurde entkriminalisiert. Die Eilverordnung besagt außerdem, dass die Begünstigung des Täters entkriminalisiert wird, falls die Tat von einem Familienmitglied oder einem Verschwägerten bis 2. Grades begangen wird. Auch auf die Begnadigung hat das Kabinett von Premier Sorin Grindeanu nicht verzichtet. Der Gesetzentwurf soll dem Parlament vorgelegt werden.
Rumäniens Justizminister Florin Iordache begründete die Entscheidung mit der Überbevölkerung der Strafvollzugsanstalten, auf die auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufmerksam gemacht hatte. In einem Interview mit Radio Rumänien erklärte die Vorsitzende des Thinktanks Expert Forum, Laura Ştefan, gleich nach der Veröffentlichung des EU-Justizfortschrittsberichts, aber noch vor der Billigung der Eilverordnungen, dass diese sehr gefährlich seien:
Es könnte sein, dass man die Leistung Rumäniens der den letzten zehn Jahre wieder bewertet. Wenn man diejenigen auf freien Fuß setzt, die in den letzten zehn Jahren eingesperrt wurden, ist es logisch, dass die positiven Bewertungen negativ werden. Darüber hinaus ist es gravierend, dass die EU-Kommission erst jetzt erkannt hat, dass in Rumänien die alten Arbeitsweisen, von heute auf morgen gefährliche Gesetze zu erlassen, immer noch als politisches Instrument eingesetzt werden. Die EU-Kommission hat diese Arbeitsweise auch im Falle des sogenannten schwarzen Dienstags vor ein paar Jahren [als die damalige Parlamentsmehrheit versuchte, die Abgeordneten unter einer Art Superimmunität zu stellen, die sie vor Strafverfolgung hätte schützen sollen — Anm. D. Red.] und auch andere Male, als von heute auf morgen zentrale Punkte des Strafgesetzbuches geändert wurden, erkannt. Deshalb besteht die EU-Kommission auf ein erwachsenes politisches Handeln. Und leider sehen wir, dass das auch im Jahr 2017 ein Problem darstellt.“
Inwieweit können die Zivilgesellschaft und jeder Bürger Rumäniens zum Fortschritt des Justizsystems beitragen? Laura Ştefan erlöutert weiter:
Rumänien wird nur dann ein erwachsenes Land sein und den Koooperations- und Prüfmechanismus wird man nur dann auflösen können, wenn die Zivilgesellschaft und die Politik lernen werden, miteinander zu diskutieren. Leider sehen wir dieser Tage, dass die Politik nicht allzu sehr bereit ist, zu diskutieren. Wenn wir über ein solch sensibles Thema wie die Überbevölkerung der Strafvollzugsanstalten diskutieren, braucht man alle Köpfe, um eine Lösung zu finden.“
Die Oppositionsparteien, die Zivilgesellschaft und die Organisationen der Richter und Staatsanwälte sind der Ansicht, dass die Änderungen das Ziel verfolgen, einflussreiche Personen aus der Politik und der Verwaltung von Haftstrafen zu befreien. Staatschef Klaus Iohannis bezeichnete den Tag der Genehmigung der Eilverordnungen als Trauertag für den Rechtsstaat in Rumänien.