Syrien nach fünf Jahren Krieg: zerstörtes Land, fragiler Waffenstillstand
Vor fünf Jahren begann im Kontext des Arabischen Frühlings“ der Bürgerkrieg in Syrien. Wie ist die Lage nun in Syrien und welche Zukunftsaussichten gibt es? Das versucht Außenpolitikexperte Iulian Chifu im Gespräch mit unserem Sender zu erläutern.
Corina Cristea, 01.04.2016, 17:35
Mit der Illusion des Arabischen Frühlings“ gingen am 15. März 2011 in Bashar al Assads Syrien die Protestierenden auf die Straße — im Vertrauen, dass sie es schaffen werden, das Land zu demokratisieren. Gut fünf Jahre danach ist in Damaskus immer noch Bashar al Assad an der Macht und die Dinge scheinen komplizierter als je zuvor. In Zahlen ausgedrückt bedeutet der Krieg 470 Tausend Tode, 70 Tausend davon infolge des Hungers und der Krankheiten, 1,9 Millionen Verletzte, einige Millionen Flüchtlinge und weitere Millionen Menschen, die ohne ein Dach über dem Kopf geblieben sind und im Land umgesiedelt wurden. Der Außenpolitikanalytiker Iulian Chifu verweist auf die Ernsthaftigkeit der Situation in der Region:
Wir haben nicht nur die wichtigsten Atommächte, die USA und die Russische Föderation, die sich zum ersten Mal seit der Raketenkrise auf Kuba 1962 nun erneut auf Machtpositionen gegenüber stehen, sondern wir haben es auch mit Regionalmächten mit militärischen Kapazitäten zu tun. Somit besteht die Möglichkeit, dass zwischen diesen jederzeit ein Vorfall stattfindet, der zur Eskalierung des Konflikts führen kann. Wir haben dort Saudi-Arabien, den Iran, die Türkei und auch alle Fraktionen, alle Farben, die zur Al-Qaida, der Al-Nusra-Front, zum Islamischen Staat gehören. Praktisch ist es eine Anhäufung, ein perfekter Sturm, wo man nur ein Streichholz anzünden muss, um den ganzen Nahen Osten in die Luft zu jagen.“
Der militärische Eingriff Moskaus in Syrien, der im September 2015 begann, führte eine alternative Koalition zu der bereits aus den Golfstaaten, der Türkei und den USA bestehenden gegen den Islamischen Staat ein, meint Iulian Chifu. Die neue, legale Koalition, da sie auf Anforderung Bashar al Assads entstanden ist, zusammengestellt aus Russland, dem Iran, der pro-schiitischen Regierung in Baghdad, der libanesischen Hezbollah sowie den schiitischen Alawiten, hat nichts anderes getan, als eine neue, diesmal schiitische Achse aufzustellen. Eine Folge war auch die Zunahme der Bedeutung des IS, der es geschafft hat, binnen sechs Monate weitere 30 Tausend Kämpfer zu rekrutieren und riesige Fonds für die Unterstützung der Sunniten in der Region zu gewinnen, so Iulian Chifu. Der Experte analysiert die Entscheidungen des russischen Präsidenten Putin, in Syrien militärisch einzugreifen bzw. Mitte März die Mehrheit der Truppen und der Waffen aus diesem Land zurückzuziehen:
Die Bekämpfung des Islamischen Staats und die Reduzierung des Flüchtlingsstroms nach Europa, die beiden Ziele, die Präsident Putin am Anfang dieser Kampagne formell angegeben hat, wurden nicht erreicht — dem IS geht’s weiterhin gut und er hat sogar die Fähigkeit erlangt, seine Attentate in die Mitte Europas, ins Herz Europas zu projizieren. Darüber hinaus stellen wir fest, dass die Flüchtlingswellen im Gegenteil zugenommen haben, anstatt abzuebben. Welche sind also die Ziele, die Russland erreicht hat? Nun, wir stellen fest, dass es eine flugfreie Zone in Syrien eingerichtet hat. Praktisch handelt es sich um ganz Syrien, aber mit Sicherheit um die Region östlich des Mittelmeers. Gleichermaßen hat es eine schifffreie Zone im Bereich des Hafens Tartus, im Westen Syriens eingerichtet. Das ist also ein wesentliches strategisches, militärisches Ziel. Es ist ein Zugangsweg zu den warmen Meeren. Aus diesem Gesichtspunkt haben auch der Hafen Noworossijsk und die auf der Krim eingerichtete Zone eine beträchtliche Rolle für diese Projektion gespielt. Das ist eines der strategischen Ziele Russlands. Ein zweites Ziel, das erreicht scheint, ist, dass Russland aus der Isolation raus ist. Diese Isolation erreichte ihren Höchststand nach der Annektierung der Krim und der Militäraggression im Osten der Ukraine. Darüber hinaus hat die Russische Föderation den Ehrgeiz ihre Standpunkte bezüglich der Lage im Nahen Osten durchzusetzen.“
Der Eingriff des russischen Militärs in Syrien — gegen den Terrorismus, laut den Mitteilungen des Kremls — hat das Spiel im syrischen Bürgerkrieg geändert. Russland hat die syrische Armee unterstützt, wieder auf Offensive zu gehen und Territorien zurückzugewinnen. Dadurch wurden die Rebellen gezwungen, über einen Waffenstillstand zur verhandeln. Das gewährte wiederum Bashar al Assad die Möglichkeit, nach seinen eigenen Anforderungen zu verhandeln, so Nahost-Experten. Die von den USA geführte internationale Koaltion war in Syrien nicht erfolgreich, denn diese hat sich nicht mit dem Regime koordiniert. Russland hatte Erfolg, denn es hat sich mit uns koordiniert. Wir stehen für die Gründung einer internationalen Anti-Terror-Koalition, aber nur unter Koordinierung mit der syrischen Regierung“, erklärte der syrische Vertreter Bashar Jaafari bei den Friedensverhandlungen in Genf. Heute von den USA, von dem Westen allgemein eine Verhandlung mit Bashar al-Assad zu fordern, sei unzumutbar, meint aber der Analytiker Iulian Chifu:
Es bedeutet praktisch, die ganze syrische Opposition im Stich zu lassen und das große Problem Syriens aufrecht zu erhalten. Dieses ist nicht neu. In Syrien ist die Mehrheit sunnitisch. Diese wurde von einer alawitischen Minderheit, von hohen Vertretern um Baschar al-Assad, mit eiserner Hand geführt. Es war ein zerbrechliches Gleichgewicht. Der Arabische Frühling war nur eine Gelegenheit, damit diese Art von Gleichgewicht ins Wanken kommt und damit sich die Lage nach neuen, demokratischen Kriterien richtet. Diese neue Ordnung geht davon aus, dass der syrische Staat weiterhin so wie bisher aussehen wird oder dass die sunnitische Mehrheit auf natürliche Weise die Führung dieses Staates übernimmt. Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit einiger Vereinbarungen, wie wir sie im Irak oder im Libanon festgestellt haben, sich die Aufgaben unter den unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gemeinschaften zu teilen.“
Der fragile Waffenstillstand benötigt jetzt viel mehr, um zum dauerhaften Frieden zu werden. Jegliche Übergangsregierung in Damaskus wird sowieso die ethnische und religiöse Vielfalt in Syrien widerspiegeln müssen, glaubt Iulian Chifu noch.