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Ukraine am Scheideweg

Seit drei Monaten demonstriert die ukrainische Bevölkerung gegen die pro-russische Politik der Regierung. Ist ein friedliches Ende abzusehen oder droht gar eine Spaltung des Landes?

Ukraine am Scheideweg
Ukraine am Scheideweg

, 07.02.2014, 15:50

Seit drei Monaten demonstriert die ukrainische Bevölkerung gegen die pro-russische Politik der Regierung in Kiew. Jeden Tag gab es Protestbewegungen der Bürger, gigantische Demonstrationen, besetzte Behördengebäude, angegriffene Politiker, umgekippte Denkmäler. Die Reaktion der Machthaber lie‎ß nicht lange auf sich warten — harte Repressionsma‎ßnahmen, bei denen mehrere Menschen getötet und sehr viele verwundet wurden, willkürliche Festnahmen, auch in den Krankenhäusern, Entführungen und Folter.



Ausgelöst wurden die Proteste am 21. November 2013 durch die überraschende Ankündigung der ukrainischen Regierung, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Sie flammten am 29. November erneut auf, nachdem das Assoziierungsabkommen mit der EU auf dem Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft in Vilnius nicht unterzeichnet worden war. Einen Massencharakter nahmen die Proteste allerdings erst am 1. Dezember 2013 an, nachdem die friedlichen Studentenproteste am 30. November von Berkut, einer Spezialeinheit der ukrainischen Polizei, mit exzessiver Gewalt auseinandergetrieben worden waren.



Die Protestierenden forderten vor allem die Amtsenthebung von Präsident Wiktor Janukowitsch, vorzeitige Präsidentschaftswahlen, den Aufbau eines Rechtsstaates nach westeuropäischen Standards in der Ukraine sowie die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union. Am 8. Dezember 2013 erreichten die Proteste einen zweiten Höhepunkt, als über 500.000 Menschen an der Demonstration in Kiew teilnahmen. Manche Medien berichteten von über einer Million Demonstranten. Trotz überdurchschnittlicher Polizeipräsenz und mehrfacher Versuche, die Demonstrationen in nächtlichen Aktionen aufzulösen, dauern die Proteste bis heute an.



Die Entwicklungen in der Ukraine führten zu entsprechenden Reaktionen seitens der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten — sie beschuldigten die Machthaber in der ex-sowjetischen Republik, die Eskalierung der Gewalt verursacht zu haben. In diesem Zusammenhang warnte der EU-Kommissionspräsident, Jose Manuel Barroso, da‎ß die gewalttätige Repression der Bürgerbewegungen in der Ukraine gravierende Folgen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Kiew haben kann. Die US-Botschaft in Kiew gab bekannt, infolge der Gewaltaktionen gegen die Demonstranten habe Washington einigen ukrainischen Spitzenpolitikern das Einreisevisum für die USA entzogen.



In Moskau ist aber die Regierungselite davon überzeugt, da‎ß die gewalttätigen Ausschreitungen von westlichen Mächten organisiert und finanziert wurden. Der russische Au‎ßenminister Sergej Lawrow beschuldigte die Europäische Union, sie würde die sog. Pogrome“ der ukrainischen Opposition in Kiew unterstützen. Der Kreml-Pressesekretär Dmitrij Peskow behauptete sogar, der Westen beabsichtige, durch die Unterstützung der Revolte in der Ukraine die Olympischen Winterspiele in Sotschi zu unterminieren, und zwar aus Neid gegen ein Russland, das er als stark, erfolgreich, wohlhabend und gesund“ bezeichnete.



Der rumänische Professor Dan Dungaciu, Experte für Geopolitik im ex-sowjetischen Raum, ist der Meinung, da‎ß in der Ukraine nicht nur die Innenpolitik sondern die Zugehörigkeit zu einem Zivilisationsmodell auf dem Spiel steht:



Die Demonstrationen in Kiew beweisen am besten, da‎ß die Spaltungen in Osteuropa noch nicht geklärt sind. Zu diesem Zeitpunkt findet in der Ukraine eine geopolitische Konfrontation statt, deren Summe gleich Null ergibt: Was eine Seite verliert, gewinnt die andere Seite, und in diesem Moment wird vor unseren Augen die Grenze des euroatlantischen Raumes definiert. Oder, wenn man von Osten nach Westen schaut, das Festlegen der Grenze des Ostraumes oder der nächsten Nachbarschaft, wie Moskau sie bezeichnet hat. Genau das findet jetzt in Kiew statt — wir müssen blo‎ß die Ereignisse aus einer gewissen Entfernung betrachten.“




Der Rücktritt des Regierungskabinetts von Ministerpräsident Mikola Asarow, der die Repression der Bürgerbewegungen angeordnet hatte, die Aufhebung der antidemokratischen Gesetze und die Bildung einer Kommission zur Novellierung der Verfassung sind Bedingungen, die die Macht in Kiew akzeptiert hat, um mit den protestierenden Bürgern einen Waffenstillstand zu schlie‎ßen. Der Leiter des Zentrums für die Förderung der Rumänischen Traditionen in Cernăuți (Czernowitz, ukr. Tscherniwzi), Iurie Levcic, ist einer der etwa 500.000 Rumänen, die im Westen der Ukraine leben. Er ist der Ansicht, da‎ß der Waffenstillstand“ nicht lange dauern wird:



Bis jetzt ist noch nichts geklärt worden, es gibt noch keine Lösungen. Die kleinen Erfolge wie Asarows Rücktitt oder die Aufhebung der Gesetze vom 16. Januar reichen nicht aus; die Leute werden sich nicht beruhigen, weil sie an dieses Regime nicht mehr glauben. Sie wurden zu oft angelogen. Die Machthaber haben ihre Position viel zu oft geändert, und jetzt sind die Bürger bereit, bis zum bitteren Ende zu gehen, da inzwischen die Opposition einen deutlicheren Plan zum Bekämpfen dieses Regimes erarbeitet.“




Die Fachleute vom Zentrum für Konfliktprävention in Bukarest warnen, da‎ß die Unfähigkeit der Regierung, die Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu lösen, zu einem Bürgerkrieg führen könnte, und zwar zwischen den Regionen im Westen der Ukraine, die schon immer westlich orientiert waren, und den russischsprachigen und russophilen Zonen im Osten des Landes. Es gibt auch Hypothesen über eine mögliche territorielle Trennung der Republik, infolge der bereits erwähnten geopolitischen Spaltung. Solche apokalyptische Szenarien seien aber unwahrscheinlich, meint Professor Dan Dungaciu:



Die zwei entgegengesetzten Bürgergruppierungen in der Ukraine, das hei‎ßt, diejenige, die in Richtung Osten neigen und diejenige, die den Weg nach Westen eingeschlagen haben, können nicht ‚bis zum bitteren Ende gehen‘, weil es einfach kein Ende gibt. Das theoretische Ende wäre die Trennung der Ukraine in zwei Staaten, aber ein solches Szenario ist meiner Meinung nach absolut unwahrscheinlich, denn weder der Osten noch der Westen könnten ein solches Desaster auf sich nehmen. Es würden enorme soziale, politische und wirtschaftliche Kosten entstehen, die zu diesem Zeitpunkt niemand übernehmen will. Deshalb sollte man sich in der jetzigen Lage auf folgende Fragen konzentrieren: Wie könnte man ein Gleichgewicht zwischen den zwei Teilen der Ukraine erreichen, die in diesem Moment in zwei verschiedene Richtungen neigen, und wie könnte dieses Gleichgewicht erreicht werden, ohne da‎ß die Spannung in Kiew ins Extrem steigt und ein Bürgerkrieg mit schweren Folgen ausbricht.“




Der Politologe und Sicherheitsexperte George Friedman, von der bekannten Denkfabrik Stratfor, erinnerte daran, da‎ß die strategische Position und die Agrar- und Bodenschätze der Ukraine eine besondere Bedeutung für das Verteidigungssystem Russlands haben. Deshalb würde Moskau niemals die Ukraine dem Westen überlassen. Es ist unwahrscheinlich, da‎ß die Entwicklung in der Ukraine eine entscheidende geopolitische Änderung hervorruft, aber das ist ein exzellentes Beispiel für die Art und Weise, wie politische Unruhen in einem strategisch wichtigen Land das internationale System beeinflussen können, so George Friedman.



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