Bundestagswahlen in Deutschland: Auswirkungen auf die EU
Wichtige Entscheidungen der EU-Politik wurden bis nach den Bundestagswahlen in Deutschland vertagt. Welchen Einfluss das Wahlergebnis auf die Entwicklung Europas hat, erläutert der Politologe Cristian Pârvulescu.
Bogdan Matei, 04.10.2013, 15:54
Als erster unter Gleichen innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland vor einigen Jahren der Staat mit dem größten Einfluss auf die Gemeinschaftspolitik geworden. Der Bevölkerungsanteil, die robuste Wirtschaftsgesundheit mitten in einem krisenbetroffenen Kontinent, die Beständigkeit der Außenpolitik tragen dazu bei, dass die Stimme Berlins die schwierigen Akten der europäischen Agenda schlichtet. In einigen von diesen, so stellt die Presse fest, wurden die Beschlüsse vertagt, um auf das Ergebnis der Legislativwahlen zu warten, die Ende letzten Monats in Deutschland stattgefunden haben. Es handelt sich unter anderem um die Ansatzhebel der Bankenunion, um die Verlängerung der Griechenland-Hilfe nach Ablauf des gegenwärtigen Assistenzplans oder um die Strategie zum Austritt Irlands aus dem Rettungsprogramm. Deshalb war es unabdingbar, dass die Resonanz der besagten Wahlen die Grenzen der Bundesrepublik überschreitet.
Was Kommentatoren als unvermeindlichen Verschleiß nach acht Jahren Machtausübung oder als Müdigkeit der Bürger derselben dominanten Figur der Politszene gegenüber bezeichnen, zeigte keine Wirkung. Ganz im Gegenteil: Die Zurückhaltung, Effizienz und Strenge der Regierung von Angela Merkel, die bei den Ländern im Süden des Kontinents, die gewohnt sind, mehr zu verbrauchen als zu produzieren, unbeliebt sind, wurden durch die deutsche Wählerschaft gebilligt. Mit 42% der Stimmen besiegten die Christlich-Demokraten ihren Hauptgegner, die Sozial-Demokraten, die nur 26% der Stimmen erhielten. Der Triumph der Regierungskoalition ist jedoch nicht komplett, denn der Traditionspartner von Frau Merkel in der Exekutive, die FDP, schaffte es nicht die 5%-Marke zu überschreiten und ins Parlament einzuziehen. Für den rumänischen Politkommentator Cristian Pârvulescu ist das Wahlergebnis keine Überraschung:
Die ganze Welt hatte ein solches Ergebnis erwartet, um so mehr, da nur eine Woche vor den Bundestagswahlen in Bayern Landtagswahlen stattgefunden hatten, wo der Verbündete der Christlich-Demokratischen Union, die Christlich-Soziale Union, auch einen historischen Wahlsieg erzielte. Darüber hinaus hatte die FDP eine historische Niederlage verzeichnet, die das antizipierte, was eine Woche später passieren sollte. Alle deutschen Beobachter waren der Meinung, dass die Angelegenheit bereits zu diesem Zeitpunkt geschlichtet war. Die einzige Unbekannte der Bundestagswahlen war, mit wem Angela Merkel eine Allianz schließen wird, mit der FDP oder mit der SPD. Wenn die FDP nicht ins Parlament einziehen sollte und sie ist es ja auch nicht, dann war eine große Koalition mit den Sozial-Demokraten absehbar.“
Professor Pârvulescu prognostiziert, dass die sogenannte Großkoalition zwischen den zwei Hauptakteuren der deutschen Politszene unvermeindlich asymmetrisch sein wird. SPD-Chef Peer Steinbrück trat nach der Niederlage sofort zurück, was zu einem Führungsvakuum innerhalb der Partei führt. Als Juniorpartner werden die Sozial-Demokraten die Politik des künftigen Kabinetts nicht entscheidend beeinflussen können, besonders weil die Kanzlerin bereits einige der Wahlkampfthemen für sich beanspriucht hat. Cristian Pârvulescu:
Der Spielraum, den Angela Merkel hat, ist groß genug. Dies passiert vor dem Hintergrund, dass nicht nur die Sozial-Demokraten ein recht schwaches Wahlergebnis erzielt haben, obwohl sie verglichen mit den Wahlen vor vier Jahren aufgeholt haben, sondern weil ihre Handlungen auch innerhalb der Regierung beschränkt sein werden. Somit werden sie die Regierungspolitik nicht beträchtlich beeinflussen können. Das heißt nicht, dass Europa die Sparmaßnahmen weiterführen wird. Angela Merkel hatte sowieso eine Kursänderung angekündigt, die viele ärmere Deutsche seit einiger Zeit erwarteten und auch ohne eine große Koalition stattgefunden hätte. Es handelt sich um die Einführung des Mindestlohns auf Wirtschaftsebene, denn in Deutschland ist das derzeit, obwohl wir über ein sehr stark entwickeltes Land sprechen, kein Begriff.“
Bevorzugt von einem Drittel der Wählerschaft, wurden die Grünen nun zur drittgrößten Macht Deutschlands. Sie äußerten ihre Bereitschaft, an der Seite der Christ-Demokraten zu regieren. Cristian Pârvulescu ist sich aber sicher, dass eine schwarz-grüne Regierung unwahrscheinlicher als eine schwarz-rote ist.
Dieses Bündnis mit den Grünen sagt nicht sehr viel aus, solange Angela Merkel bereits beschlossen hat, die AKWs zu schließen und andere Energiequellen nach der Katastrophe in Fukushima vor zwei Jahren, die die Öffentlichkeit in Deutschland stark zum Nachdenken veranlasst hat, in Anspruch zu nehmen.“
Unterdessen bereitet sich die französisch-deutsche Lokomotive der Europäischen Union nach der seit zwei Jahrzehnten bereits bewährten Formel auf einen Neustart vor. Laut Philippe Ricard, Europapolitik-Kommentator für die prestigevolle Pariser Tageszeitung Le Monde, geht es in der kommenden Zeit um die Harmonisierung zwischen der neuen Berliner Regierungskoalition mit einer alten konservativen Kanzlerin, die durch die Volksstimme bestätigt wurde, und der sozialistischen Verwaltung in Paris, mit dem Präsidenten François Hollande und einer Regierung mit galoppierenden Popularitätsverlusten. Von dem französisch-deutschen Dialog hängt sowohl die Funktion der Europäischen Union als auch deren Fähigkeit ab, sich auf Weltebene durchzusetzen.
Audiobeitrag hören: