Migranten und Flüchtlinge in Rumänien: Integrationskapazitäten im mittleren Bereich
Die Chancen der Migranten auf Integration in Rumänien liegen laut internationalen Standards im mittleren Bereich. Zwar schneidet Rumänien beim Rechtsrahmen recht gut ab, doch die tatsächliche Integration auf dem Arbeitsmarkt ist oft schwierig.
Christine Leșcu, 30.12.2020, 17:30
Gleichheit auf dem Papier“ — so lautet das Fazit eines Berichts zur Integrationspolitik von Migranten in Rumänien für das Jahr 2019. Der sogenannte MIPEX-Report wurde von der Migration Policy Group, einer Brüsseler Denkfabrik, erstellt und erforscht die Umsetzung sozialer und wirtschaftlicher Integrationsmaßnahmen in 52 Ländern. In den letzten 15 Jahren ist diese Studie zu einem der wichtigsten Instrumente für die international vergleichende Analyse im Bereich der Migration geworden. Es wird auch von der Europäischen Kommission als wichtigem Geber genutzt. Rumänien nimmt seit 2009 an der MIPEX-Studie teil. Im diesjährigen Bericht, der Daten aus dem Jahr 2019 berücksichtigt, erreichte Rumänien insgesamt 49 von 100 möglichen Punkten.
Wie sich Rumänien im Laufe der Jahre entwickelt hat, weiß der Soziologe Ovidiu Voicu, Vertreter des Zentrums für öffentliche Innovation, das als Verein Partner der Migration Policy Group ist.
Es ist sehr interessant, zu sehen, dass es in der Tat keine signifikante Veränderung zwischen den Noten gibt, die Rumänien im Laufe der Zeit erhalten hat. Wir haben keine Fortschritte gemacht oder, wenn man es optimistisch sehen will, auch keine Rückschritte. Ich denke jedoch, wir sollten eher pessimistisch sein und zu dem Schluss kommen, dass es im Bereich der Integration von Migranten noch viel Raum für Verbesserungen gibt.“
Rumänien hat einen gesetzlichen Rahmen, der die Rechte von Einwanderern und insbesondere von Personen, die internationalen Schutz genießen, regelt, aber es fehlt eine kohärente Politik, um diese Rechte umzusetzen. Deshalb erhielt das Land zwar 76 von 100 Punkten für den Rechtsrahmen, aber nur 31 Punkte für die tatsächlichen Chancen für Migranten, erklärt Ovidiu Voicu:
Wir haben zwei Arten von Problemen — zum einen das, was wir »Sekundärstandards« nennen, also die Anwendungsvorschriften. Zum anderen die konkrete Umsetzung der Primär- und Sekundärstandards. Ein gutes Beispiel dafür ist das Programm zur Integration von Personen, die internationalen Schutz genießen, d.h. international anerkannte Flüchtlinge oder Asylsuchende aus Konfliktgebieten. Sobald sie in Rumänien aufgenommen sind, sollten sie bei ihrer Integration unterstützt werden, und zwar für einen Zeitraum von einem oder zwei Jahren durch ein Programm, das es ihnen ermöglicht, die Sprache und die örtlichen Gepflogenheiten zu erlernen sowie Arbeit und Unterkunft zu finden. In Rumänien liegt jedoch sowohl der Schutz der Grenzen vor illegaler Einwanderung als auch die Integration legaler Migranten in der Verantwortung der Polizeibehörden, speziell der Generalinspektion für Einwanderung. Doch hier liegt der Schwerpunkt auf dem Kampf gegen illegale Einwanderung. Die Generalinspektion für Einwanderung ist nicht sehr erfolgreich bei der Umsetzung des Einwanderungsprogramms, wenn es um Personen mit dem Recht auf legalen Aufenthalt in Rumänien geht.“
Laut Experten stimmen sich die einzelnen Stellen für die Anpassung der Zuwanderer an die rumänische Gesellschaft und Wirtschaft untereinander schlecht ab. Das liest auch an den Punktzahlen im Bericht ab. So gab es beispielsweise 41 von 100 Punkten zu Bildungsfragen — die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund ist also nur halbherzig. Darüber hinaus haben Asylbewerber und Personen, die internationalen Schutz genießen, Zugang zum Gesundheitssystem, aber fehlende Unterlagen können in der Praxis zu Problemen führen. Aus diesem Grund schneidet Rumänien mit 46/100 auch hier relativ schlecht ab. Die niedrigste Punktzahl bekam die politische Partizipation — nur 5 von 100. Dies beweist, dass es große Hindernisse für die Integration von Zuwanderern in Bezug auf die Teilnahme am politischen Leben gibt. Die beste Punktzahl wurde für die Familienzusammenführung erreicht, 67/100, da die Gesetzgebung sehr klar ist. Flüchtlinge und Asylbewerber, die ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Rumänien erlangt haben, haben das Recht auf Familienzusammenführung — und das wird auch konsequent angewendet.
In Sachen Arbeitsmarkt sieht es völlig anders aus, bemängelt der Experte Ovidiu Voicu:
Wenn wir über den Zugang zum Arbeitsmarkt sprechen, liegt die Punktzahl bei 46 von 100 und es gibt zwei Kategorien zu berücksichtigen. Personen mit internationalem Schutzstatus, haben theoretisch die gleichen Rechte wie rumänische Staatsbürger. Das Problem ist, dass nicht alle von ihnen Papiere haben und wir noch keinen Rahmen für die Anerkennung der Fähigkeiten der Arbeitskräfte haben, der es uns erlauben würde, das Beste aus ihren Fähigkeiten zu machen. Da sie ohne Diplom oder Ausbildungsnachweis ankommen, können sie nur als ungelernte Arbeiter eingestellt werden.“
Die zweite Kategorie ist die der Gastarbeiter — in ihrem Fall ist zwar rechtlich gesehen alles in Ordnung, aber es gibt keine staatliche Stelle, die die Einhaltung ihrer Rechte durch die Arbeitgeber überwacht. Dadurch besteht manchmal die Gefahr, dass sie ausgenutzt werden. Die Presse hat die Situation einiger vietnamesischer Arbeiter enthüllt, die unter sehr schlechten Bedingungen lebten, oder einiger anderer ausländischer Arbeiter, die zu Beginn der Pandemie praktisch im Stich gelassen wurden. Die Arbeitsministerin musste sich persönlich einschalten, um eine Lösung für sie zu finden, erläutert Ovidiu Voicu.
Rumänien müsste also die Sekundärgesetzgebung verbessern — aber auch die Mentalität in Bezug auf die Zusammenarbeit der Behörden sollte sich ändern.