Online Schooling: Digitalisierung schwieriger als erwartet
Zahlreiche Schulen, Gymnasien und Universitäten in Rumänien sind ausschließlich auf Fernunterricht umgestiegen. Dies trifft auch auf die Hauptstadt Bukarest zu, die eine Rate von 3,91 gemeldeten Infektionen je tausend Einwohner aufweist.
Christine Leșcu, 11.11.2020, 17:30
Online-Unterricht ist keineswegs einfach, vor allem in den vielen ländlichen oder armen Regionen, in denen Schüler und Lehrer keinen Zugang zur digitalen Technologie haben und wo die Internetverbindung mangelhaft ist. Auch Fragen nach Was, wie und wie viel können wir unterrichten?“ und Wie prüfen und bewerten wir?“ werden in der jetzigen Situation immer häufiger gestellt. Unternehmer arbeiten bereits an digitalen Lösungen für diese Fragen. Im Vordergrund sollte dabei die Antwort auf die Frage Was passen wir denn überhaupt an?“ stehen, glaubt Dragoş Iliescu, Hochschulprofessor und Psychopädagoge:
Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass keiner genau weiß, was angepasst werden sollte. Wir können Inhalte definitiv nicht anpassen. Ich meine, dass wir Inhalte nicht löschen oder hinzufügen sollten. Und ich befürchte, einige Entscheidungsträger im Bildungsbereich werden wohl sagen: ‚Es ist ein schwieriges Jahr. Warum sollten wir die Curricula nicht etwas kürzen?‘ Das ist aber keine Option. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Lehrpläne zu überarbeiten. Es gibt fast nichts, was nicht im Fernunterricht vermittelt werden kann. Für praktisch jede Unterrichtsstunde in jedem Fach können wir uns eine neue, andere, innovative Unterrichtsmethode vorstellen. Und wenn man schon die Kenntnisse vermitteln kann, dann kann man sie auch auf die gleiche Art und Weise prüfen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht alle Beteiligten — nicht nur die Lehrer — flexibel genug sind, um diesen Sprung zu wagen und die Inhalte an den Online-Unterricht anzupassen. Das andere Problem ist, dass es nicht genügend Ressourcen gibt. Einige dieser Anpassungen sind ziemlich schwer durchzuführen, unabhängig von der Online-Kompetenz der Lehrer.“
Obwohl die Online-Bewertung auf den ersten Blick einfacher als der Online-Unterricht erscheint, ist es in der Praxis überhaupt nicht leicht, erklärt Dragoș Iliescu:
Auch das ist keine leichte Aufgabe, denn der Wechsel in den digitalen Modus löst einige Probleme und schafft andere. So wird beispielsweise das Bewertungsproblem gelöst: Man erstellt einen Test, und theoretisch kann jedes Kind in jedem Teil des Landes daran teilnehmen. Aber er schafft zum Beispiel Sicherheitsprobleme. Inwieweit lässt sich ein Test verwenden, den jedes Kind auf einen Drucker kopieren und an seine Mitschüler weitergeben kann? Auch hier gibt es Technologien und Ansätze, die das Problem lösen, und die sind gar nicht so neu, wie einige vielleicht denken. Andere Länder haben schon vor langer Zeit Lösungen gefunden. Aber um dieses Problem zu lösen, brauchen wir mehr Ressourcen und mehr Investitionen. Das ist nicht nur die Aufgabe der Lehrer, das kann nur ein größeres System leisten. Der Gedanke, dass dieses ein schwieriges Jahr ist und dass wir daher besser so viel wie möglich zusammenstreichen sowie auf die Semesterprüfungen verzichten sollten, ist verrückt. Solange es Semestertests gab und diese ein Teil der Bewertung der Schüler waren, ist es nicht in Ordnung, sie jetzt aufzugeben. Die Lösung besteht nicht darin, etwas, das wir brauchen, zu streichen, sondern Alternativen zu finden, um es auch unter diesen uns fremden und unglücklichen Umständen umzusetzen.“
Mittels der Testplattform BRIO.RO zum Beispiel, an der Dragoș Iliescu gearbeitet hat, können die Schülerkenntnisse bewertet werden. Auf dieser Plattform sind die Tests so konzipiert, dass sie den Lernprozess und die Bewertung miteinander verknüpfen. Zusätzlich zu der Endbewertung erhalten die Schüler auch eine detaillierte Bewertung ihrer Fähigkeiten in dem entsprechenden Unterrichtsfach. Dragoş Iliescu:
Auch während eines Tests lernt man. Möglicherweise geht dabei der Lernprozess sogar noch tiefer. Eine Prüfung ist an und für sich eine Lerntätigkeit. Sie strukturiert Informationen, fördert das Metakognitive, sie ist der beste Weg, Wissen zu festigen und mit anderen praktischen Aktivitäten zu verbinden. Darüber hinaus gibt sie ein Feedback über den Lernprozess: Sie zeigt auf, was man sich angeeignet hat und was nicht, und verdeutlicht, woran noch gearbeitet werden muss.“
Paul Balogh, der seit mehreren Jahren in Großbritannien lebt, hat verschiedene digitale Bildungsplattformen — wie Hypersay — und elektronische Lehrbücher entwickelt. Er arbeitet mit akademischen Institutionen im Vereinigten Königreich und Lehrern in Rumänien zusammen. Er bewertete seine Arbeit mit den rumänischen Lehrkräften folgendermaßen:
Das rumänische Bildungsministerium hat nicht gerade glücklich reagiert. Die Lehrer bekamen wenig bis gar keine Hilfe. Aber auf individueller Ebene leisteten viele Lehrer großartige Arbeit und lösten ihre Probleme aus eigener Kraft. Sie lernten, wie sie die Online-Plattformen für Konferenzen und Unterricht nutzen können. Was diese Lehrer getan haben, ist meines Erachtens hervorragend, und ich verstehe nicht, warum dieses Thema nicht viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Auf der anderen Seite arbeiteten in anderen Ländern die Ministerien kohärenter mit den Schulen zusammen. Sie entwarfen zu gegebener Zeit verschiedene Lösungen und wandten sie auch an. Die Unterstützung durch das Ministerium macht den Unterschied.“
Die Lehrer erwiesen sich auf individuelle Ebene anpassungsfähiger als viele öffentliche Einrichtungen, schlussfolgert Paul Balogh:
In Rumänien bestehen immer noch die individuellen Beziehungen zu den Lehrern. Es gibt Lehrer an privaten und öffentlichen Schulen, die unsere Plattform nutzen wollen, aber die finanzielle Unterstützung vonseiten der Schulen ist nahezu inexistent. Sehr oft müssen die Lehrer die Software aus der eigenen Tasche bezahlen, was nicht normal ist. Auf institutioneller Ebene haben wir weder mit dem Ministerium noch mit einer Schule oder Universität ein Zusammenarbeitsabkommen. Aber es gibt eine Reihe von begeisterten Lehrern, die unsere Plattform täglich nutzen, um besser online zu unterrichten.“
Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen des klassischen Präsenzunterrichts können Lehrern und Schülern die Chance geben, freier und kreativer zu agieren.