Migration: Rumänen wandern massenhaft aus, Einwanderung bleibt bescheiden
Laut offiziellen Statistiken, die unlängst Schlagzeilen machten, haben im Zeitraum 2007 bis 2017 3,4 Millionen Rumänen ihre Heimat verlassen. Das entspricht etwa 17% der Bevölkerung.
Christine Leșcu, 15.08.2018, 17:30
Die meisten von ihnen bleiben länger als ein Jahr in einem der Länder, die aus ihrer Sicht ökonomisch stärker sind. Der Sozialmonitor, ein soziologisches Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, hat diese Entwicklung bis ins Detail analysiert. Etwas mehr als 2,5 Millionen Rumänen lebten im Jahr 2017 im Ausland, ergab die Detailstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung laut Angaben der Programmleiterin Victoria Stoiciu.
Es ist eine Statistik für den Zeitraum 2003 bis 2017. Auf der einen Seite drückt sie die Anzahl der Rumänen aus, die sich 2017 länger als ein Jahr im Ausland aufgehalten haben, auf der anderen Seite bezieht sie sich auch auf den Trend der Abwanderung, ein zunehmender Trend. Diese Zahl bezieht sich nicht auf die saisonbedingte Migration, d.h. sie berücksichtigt nicht die rumänischen Gastarbeiter, die drei, sechs oder acht Monate im Jahr im Ausland arbeiten. Sie gehen dorthin, entweder um Erdbeeren zu pflücken oder um während der Bausaison angestellt zu werden. Wenn wir sie hinzufügen würden, würde das sicherlich die Statistik in die Höhe treiben. Die Gesamtzahl der Auswanderer geht also über die 3-Millionen-Grenze hinaus, wenn wir diejenigen einbeziehen, die für weniger als ein Jahr weggehen.“
Aufgrund dieser Entwicklung ließe sich Rumänien gar mit einem Land vergleichen, in dem ein harter und langwieriger Bürgerkrieg herrscht, etwa Syrien, behauptet Victoria Stoiciu.
Damit belegen wir Platz zwei hinter Syrien in der weltweiten Rangliste der Länder mit der am schnellsten zunehmenden Abwanderung der Bevölkerung. Das bezieht sich weder auf die Gesamtzahl der Migranten noch auf deren Anteil an der Bevölkerung, sondern auf die Wachstumsrate der Auslandsgemeinschaften. Die Geschwindigkeit, mit der die Rumänen ihr Land verlassen haben, steht also an zweiter Stelle hinter der der Syrer. Dies ist jedoch sehr besorgniserregend, da Rumänien seit 2000 ein wirtschaftliches Wachstum verzeichnet. Von daher müssen wir das Wachstumsmodell ernsthaft hinterfragen. Wie wird dieses Wachstum an die Bevölkerung weitergegeben und wie fühlt es sich denn an? Diese Fragen muss man stellen, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung Rumäniens so schnell und zahlreich auswandert, wie die Bevölkerung eines Landes im Bürgerkrieg.“
Die Auswanderer stammen vor allem aus einer besonders wichtigen Kategorie für die gegenwärtige und zukünftige Wirtschaft Rumäniens: Es sind die Personen, die zwischen 25 und 38 Jahre alt sind. Sie machen etwa 20% der Gesamtzahl der rumänischen Migranten aus. Es gibt auch viele Fachkräfte, egal ob sie in Bereichen wie dem Bauwesen ausgebildet oder hochqualifizierte Ärzte oder Informatiker sind. Unter diesen Umständen bleibt die Lücke, die diese Abwanderung auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen hat, vorübergehend ungefüllt.
Das ist also die Situation der Auswanderer aus Rumänien. Wie sieht es aber mit den Einwanderern in Rumänien aus? Zum Beispiel zeigten die Ende 2017 von der Generalinspektion für Immigration erfassten Daten, dass in Rumänien rund 67.000 Ausländer aus Drittländern lebten, einschließlich international anerkannte Flüchtlinge. Unter ihnen befanden sich etwas mehr als 800 Menschen, die über den EU-Umsiedlungsmechanismus eintrafen.
Im vergangenen Jahr wurden 4820 Asylanträge gestellt, eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen Jahre, der bei etwa 1500 Anträgen lag. Wer sind aber diese Personen aus Drittstaaten oder die Asylbewerber und warum entscheiden sie sich für Rumänien? Sie sind im Allgemeinen allein ankommende Männer, die, sobald sie den Flüchtlingsstatus oder internationalen Schutz in Rumänien erhalten haben, eine Familienzusammenführung beantragen können. Die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern ist übrigens einer der Hauptgründe für die Einwanderung vieler Menschen aus Drittländern nach Rumänien. Aber es gibt einen anderen Grund, der in letzter Zeit häufiger vorkommt: Angst vor der Verfolgung oder der allgemeinen Gewalt in den Heimatländern. Es gibt allerdings auch Ausländer, die nach Rumänien kommen, um einen Arbeitsplatz zu finden, berichtet die Soziologin Luciana Lăzărescu.
Die ungefähre Anzahl der Ausländer mit einem Arbeitsvisum für Rumänien beträgt derzeit 5900. Dies sind Drittstaatsangehörige. Die meisten der im Jahr 2017 ausgestellten Stellenausschreibungen wurden vietnamesischen Staatsangehörigen für die Schifffahrt erteilt. Sie wurden auch für Bürger aus der Türkei, China und Serbien freigegeben. Die gefragtesten Berufe auf dem rumänischen Arbeitsmarkt, für die die Arbeitserlaubnis erteilt wurde, sind Schweißer, Schlosser im Metall- und Schiffsbau, Ausbau-Tischler und Sanierer. Hauptsächlich qualifizierte Fachkräfte für die Schifffahrt.“
Allerdings sei Rumänien noch kein Zielland für die Flüchtlinge, muss Luciana Lăzărescu einräumen. Man sei noch nicht so attraktiv wie andere westeuropäische Länder. Die Soziologin verweist ferner auf ein Regierungsprogramm zur Integration von Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt.
Es gibt ein staatliches Integrationsprogramm für Menschen mit internationalem Schutz: eine Reihe von Maßnahmen, die die Integration von Ausländern in die Gesellschaft erleichtern sollen, aber auch ihre Integration auf den Arbeitsmarkt sowie die Anpassung an rumänische Gepflogenheiten und an die Arbeitsweise der rumänischen Institutionen. Das Programm beinhaltet einen rumänischen Sprach- und Kulturkurs, aber es gibt auch andere Dienstleistungen, die NGOs dieser Kategorie von Ausländern anbieten. Das Regierungsprogramm wird also umgesetzt. Viel heikler ist die Frage, wie die an verschiedenen Teilbereichen dieses Programms beteiligten Institutionen zusammenarbeiten und verstehen, diese Aufgabe zu übernehmen.“
Die Zahl der Ausländer, die ein Aufenthaltsrecht in Rumänien genießen, ist also gering, und die Politik zur Rückführung der rumänischen Auswanderer ist mangelhaft. Was kann vor diesem Hintergrund unternommen werden, um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen? — fragten wir Victoria Stoiciu.
Es ist leichter gesagt als getan. Einwanderer anzuziehen, ist schwierig, weil Rumänien für sie nicht attraktiv ist. Da ein Migrant oder ein Flüchtling ein Visum für die EU erhält, stellt sich eine einfache Frage: Warum sollte er in Rumänien bleiben und nicht in Deutschland oder in Frankreich oder Belgien arbeiten, wo die Gehälter viel höher sind? Es ist auch nicht einfach, die rumänischen Gastarbeiter zurück nach Hause zu bringen. Am Ende lässt sich alles auf eine sehr einfache Frage reduzieren: die des Gehalts. Der Staat hat diesen Mindestlohn als Mittel, der 2011 um das 2,5-fache gestiegen ist, aber der private Sektor muss sich anpassen und die Löhne erhöhen. Aber das würde manchmal bedeuten, Gewinne zu reduzieren oder sogar Firmen zu schließen. So einfach ist es nicht. Die Lösung ist nicht einfach.“