Zivilgesellschaft in 2017: Bürgerinitiativen gegen tatenlose oder willkürliche Behörden
Die Zunahme des bürgerlichen Engagements und der gegenseitigen Hilfe ist mit Sicherheit eines der Merkmale der rumänischen Gesellschaft der letzten Jahre.
Christine Leșcu, 10.01.2018, 17:30
Konfrontiert mit verschiedenen Alltagsproblemen des Gemeinschaftslebens, sind die Bürger mehrerer Städte und der Bezirke Bukarests in informellen Gruppen zusammengekommen und haben versucht, die öffentlichen Institutionen anzuspornen, um Lösungen zu finden. Einige Bürgerinitiativegruppen haben es in den Randvierteln der Hauptstadt wie Drumul Taberei oder Tei geschafft, die lokalen Bürgermeisterämter zu überzeugen, sich in die Wiederbelebung eines ehemaligen Kulturzentrums zu involvieren bzw. auf die Verstümmelung einer Grünanlage zu verzichten. Weitere NGO oder Privatpersonen sind in verschiedenen Wohltätigkeitsaktionen involviert und ihnen gelingt es, Menschen zu mobilisieren, um für ihre leidenden Mitmenschen Kleidung, Lebensmittel oder Geld zu spenden. Sogar die großen Protestkundgebungen gegen die geplante Änderung der Strafgesetzgebung, die den Anfang aber auch das Ende des Jahres 2017 gekennzeichnet haben, können durch diese Wiederbelebung des gemeinschaftlichen Geistes erklärt werden. Die Menschen haben nicht nur erfahren, dass es in ihrer Kraft liegt, etwas zum Guten zu ändern, sondern auch, dass sie einen Dialog mit den Behörden führen können, die manchmal Entscheidungen treffen, ohne sich mit ihnen zu beraten. Ihr Bürgereinsatz wurde logistisch und finanziell auch von CERE, dem Zentrum für öffentliche Beteiligung, gestützt. Um festzustellen, wie sich die öffentliche Beteiligung der Bürger 2017 entwickelt hat und welche Perspektiven für 2018 sichtbar sind, haben wir Oana Preda, Exekutivleiterin von CERE, nach ihrer Meinung gefragt.
Auch 2017 habe ich eine Zunahme des öffentlichen Interesses für die Einbringung in die öffentliche Entscheidungsfindung und für Aktivismus festgestellt. Es war aber auch ein recht trauriges Jahr aus diesem Gesichtspunkt, aber nicht etwa, weil die Menschen weniger aktiv geworden seien. Vor zwei, drei Jahren hatten wir uns vorgestellt, dass je aktiver, je einbezogener, je stärker, je anspruchsvoller die Menschen sind und sie die Behörden zur Rechenschaft ziehen, desto mehr werden auch die staatlichen Institutionen mit den Bürgern und ihren Organisationen kommunizieren. Leider hat uns 2017 bewiesen, dass es nicht ganz so ist. Im Gegenteil. Wir aus dem Nichtregierungsbereich fühlen uns, als wären wir in die 90er Jahre zurückgekehrt, aus Sicht des Dialogs mit den staatlichen Stellen. Ich spreche über jene Zeit, als weder die Zivilgesellschaft noch die staatlichen Anstalten die Rolle der NGO sehr gut nachvollziehen konnten und es seltsam erschien, dass eine öffentliche Anstalt eine Bürgerberatung veranstaltet. Jahre lang haben wir gekämpft, um Anerkennung zu erlangen, und wir haben es geschafft, den Dialog zwischen dem Nichtregierungsbereich und den öffentlichen Anstalten ein bisschen voranzutreiben. Jetzt scheint dieser Dialog wieder nachzulassen.“
Die gute Nachricht sei, meint Oana Preda gemeinsam mit anderen Vertretern der Zivilgesellschaft, dass der bürgerliche Geist, einmal erweckt, auch aufrecht erhalten bleibt. Deshalb kündigt sich 2018 als ein Jahr an, in dem die Bürger und der zivilgesellschaftliche Bereich ihre Einsatzweisen analysieren und innovative Methoden finden müssen, um die Behörden zu überzeugen, dass sie nicht alleine regieren dürfen. In diesem Sinne gibt es auch Rechtsnormen, die den Bürgern die Beratung und die Beteiligung an Entscheidungen garantieren. Oana Preda:
Es gibt einige klare Verpflichtungen, die die öffentlichen Institutionen einhalten müssen. Z.B. die Veranstaltung von öffentlichen Debatten über behördliche Maßnahmen 30 Tage vor der anschließenden Verabschiedung durch die Behörden. Teile dieser Rechtsnormen werden an manchen Orten dieses Landes komplett ignoriert. Außer der Gesetzgebung sprechen wir auch über bestimmte bewährte Praktiken, die wir im Laufe der Zeit etabliert haben, auch wenn sie nicht im Gesetz enthalten sind. Diese dürfen nicht ignoriert werden.“
Die Bürgerinitiativegruppen, die von CERE betreut werden, haben in den zwei, drei Jahren ihrer Tätigkeit die notwendige Erfahrung erlangt, um sich in den Entscheidungsfindungsprozess zu involvieren, versichert Oana Preda.
Sie sind sehr legitim in ihren Bezirken, sie haben einen steigenden Einfluss auf Lokalbehördenebene. Ich beziehe mich insbesondere auf die Initiativegruppe »Lacul Tei«, die es diesen Sommer recht schnell geschafft hat, die Aufstellung einer Statuengruppe auf der Grünfläche in einem Park zu verhindern. Dieser Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass sie in den letzten Jahren bei ihren Initiativen immer besser geworden sind, sie haben mit den Einwohnern des Quartals kommuniziert und ihr Vertrauen gewonnen, sie sind in der Kommunikation mit dem Bürgermeisteramt des Bezirks immer besser geworden. Deshalb fiel es ihnen diesen Sommer nicht schwer, eine Großzahl von Menschen zu mobilisieren, die gemeinsam das Bürgermeisteramt des zweiten Bukarester Bezirks überzeugt haben, die angesprochenen Statuen nicht mehr auf der Grünfläche des Parks, sondern auf einer bereits betonierten Stelle aufzustellen. Weitere Gruppen haben beschlossen, sich in NGO umzuwandeln. Das ist auch ein Beweis der Reife der betreffenden Gruppe, die das informelle Statut überwinden und ein legal gegründeter Verband werden möchte.“
Folglich warte man berechtigterweise darauf, dass die öffentlichen Behörden eine etwas höhere Dialogbereitschaft den Bürgern gegenüber aufweisen, aber auch die Bürgerinitiativen sind gefragt, sich auch in Großvorhaben der öffentlichen Agenda zu involvieren. Oana Preda, Exekutivleiterin von CERE, dem Zentrum für öffentliche Beteiligung:
Sobald die Regierung ihre Grenzen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen zeigt, gibt es Verbände, die selber anpacken und anstelle der Regierung Dinge bewegen. Z.B. bauen sie Krankenhäuser oder ein Haus für die Eltern der krebskranken Kinder, die sie zum Krankenhaus begleiten und irgendwo übernachten müssen. Was werden wir aber in sechs Monaten tun? Werden wir selber Autobahnen bauen, weil es die Behörden nicht tun? Wie weit werden sich die Bürgerorganisationen einbringen müssen, um das zu tun, was der Staat eigentlich tun sollte, aber nicht tut?“