EU-Bildungsbericht 2015: Große Chancenungleichheit im rumänischen Schulsystem
Der bereits vierte Bericht der EU-Kommission über den Stand der Bildungssysteme attestiert große Mängel. Im Vergleich zum EU-Durchschnitt sind Chancenungleichheit und Benachteiligung in bestimmten sozialen Milieus immer noch überproportional groß.
Christine Leșcu, 30.12.2015, 18:08
Der diesjährige Bericht der EU-Kommission über die allgemeine und berufliche Bildung wartet nicht allein mit Statistiken über die Fortschritte der Bildung in den EU-Mitgliedsstaaten auf, sondern gibt auch Aufschluss über die Art und Weise, in der die Unterrichtssysteme den sozial-wirtschaftlichen Hintergrund beeinflussen. Der Bericht schlussfolgert, es seien Investitionen notwendig, um die Bildung integrativer zu gestalten und den gesellschaftlichen Aufstieg zu fördern. Eine Möglichkeit wäre, der Bildung einen höheren Prozentsatz vom Haushalt zu gewähren, sagte Angela Filote, die Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien:
Eine Korrelation, die leicht bemerkbar ist, ist jene zwischen dem Haushalt für Bildung und der Leistung dieses Sektors. Rumänien belegt den letzten Platz in der EU und gibt immer weniger Geld für die Bildung aus. Ich hoffe, dass dieser Trend nicht fortgesetzt wird. Ich wünsche mir, dass das Geld richtig ausgegeben wird. Das Hauptproblem ist eigentlich die Qualität dieser Ausgaben. Die Bildung hat einen Einfluss auf die ganze Gesellschaft, und nicht nur auf die Wirtschaft. Eine Bevölkerung, die über gute Bildung verfügt, riskiert weniger, marginalisiert oder ausgegrenzt zu werden. In Rumänien gibt es viele Kinder, die keine Bücher haben. Dieses Phänomen ist besonders auf dem Dorf, in den benachteiligten Gemeinschaften, besonders bei den Roma, präsent.“
Was den Schulabbruch anbelangt, liegt Rumänien mit 18,1% über den europäischen Durchschnitt von 11,1%. Die riesigen sozial-wirtschaftlichen und Bildungsunterschiede zwischen Stadt- und Dorfbevölkerung sind eine Konstante Rumäniens. Einzelne überragende Schulleistungen mindern dieses Stadt-Land-Gefälle jedoch nicht. Laut PISA-Testen verfügen die rumänischen Schüler im Alter bis zu 15 Jahren über niedrigere Lesekompetenzen (37,3%) verglichen mit dem EU-Durchschnitt (17,8%), und haben ein schwächeres Leistungsniveau auch in Fächern wie Mathematik (40,8% verglichen mit 22,1% in der EU) und Naturwissenschaften (37,3% verglichen mit 16,6%.). Michael Teutsch von der Generaldirektion für Bildung und Kultur der Europäischen Kommission meint, es sei wichtig aber nicht ausreichend, allein diese Daten zu kennen:
All diese quantitativen Indikatoren sind zwar bedeutend. Die Art und Weise, in der wir uns auf sie beziehen, ist aber nur der Anfang. Diese Indikatoren sind kein Ziel, sie beschreiben eine Realität. Es freut uns, dass in Rumänien über mehrere Strategien debattiert wird. Ich kenne mindestens fünf, die ganz gut sind. Wir stellen uns die Frage, ob sie nur gut geschriebene Texte sind, oder wirklich etwas für die Menschen, an die sie sich richten, bedeuten. Diese Strategien sind wunderbare Dokumente. Die wichtigste Herausforderung ist jedoch ihre Umsetzung. Sie sollen nicht nur einfache offizielle Aufgaben sein, die als gelöst gelten.“
Rumänien wurde empfohlen, die bereits formulierten Strategien umzusetzen. Florin Popa, Mitglied der Generaldirektion für Bildung und Kultur der Europäischen Kommission, dazu:
Die Ungleichheit der Chancen, die Benachteiligung auf sozial-wirtschaftlicher Ebene sowie auf Bildungsebene hängen zusammen. Die Ungleichheit beginnt sehr früh, und wenn man nicht eingreift, wird sie immer schlimmer. Dieses Problem löst sich nicht von selbst. Im Gegenteil, das Problem wird noch größer. Dieser Zusammenhang ist in den benachteiligten Gruppen, die besonders empfindlich sind, intensiver. Die frühzeitige Bildung, die Vorschulzeit ist sehr wichtig. Hier muss man eingreifen. Die politische Verantwortung könnte eine Lösung sein. Und hier geht es wiederum um die Kohärenz und die Komplementarität der unterschiedlichen Strategien.“
Der neue Bildungsminister Adrian Curaj, ehemaliger Generaldirektor der Abteilung für die Finanzierung des Hochschulunterrichts, Forschung, Entwicklung und Innovation, meint, mit Innovation könnte man vieles anspornen. Die neue Bildungspolitik soll die Autonomie der Unterrichtsinstitutionen mit den Strategien verflechten. Adrian Curaj dazu:
Die Idee, dem Bildungsgefälle entgegenzuwirken, ist ausgezeichnet. Das bedeutet die Beharrlichkeit, schrittweise ein Problem zu lösen. Ich wünsche mir, die Neuerung oder die Innovation zu finden, die mir helfen wird, diesen Sprung in die Wege zu leiten. Außer Befähigung, an der es uns sicherlich nicht fehlt, brauchen wir die Bereitschaft, zu experimentieren. Ich glaube sehr an die Kreativität der Rumänen, aber weniger an ihre Fähigkeit als Unternehmer. Rumäniens Chance ist die Kreativität und die Bildung. Hinzu kommt selbstverständlich auch die Wettbewerbsfähigkeit.“
Der Bericht für die allgemeine und berufliche Bildung 2015 empfiehlt den Mitgliedsstaaten, zusammenzuarbeiten und Erfahrungen auszutauschen.