Städtische Raumgestaltung: Alt-Bukarest zu Fuß entdeckt
Sobald der Sommer kommt und das Wetter einen zu einem Spaziergang einlädt und der Tag lang genug dafür ist, beginnt auch die Stadt, ihre versteckten Schätze zu zeigen.
Christine Leșcu, 01.07.2015, 19:14
Sobald der Sommer kommt und das Wetter einen zu einem Spaziergang einlädt und der Tag lang genug dafür ist, beginnt auch die Stadt, ihre versteckten Schätze zu zeigen. Seit einigen Jahren tut sie das durch ihre Stadt- und Straßenfestivals. Ein Beispiel ist Femei pe Mătăsari“ (Frauen auf der Mătăsari Straße).
Femei pe Mătăsari“ (Frauen auf der Mătăsari-Straße) ist ein Fest der kleinen Händler und Handwerker, das auf einer der Straßen des alten Bukarests stattfindet: Mătăsari. Einige Tage lang, Anfang Juni, wird die Straße für Autos gesperrt und den Fußgängern uneingeschränkt zur Verfügung gestellt. Somit können die Bukarester ihre Stadt zu Fuß besser kennenlernen. Iulian Văcărean, der Veranstalter des besagten Festivals, glaubt, dass Bukarest auf diese Weise wieder zu einer Stadt der Menschen und nicht nur der Autos wird. Hören wir, was er zu sagen hat:
Wir versuchen einfach die Menschen zusammenzubringen, damit wir uns daran erinnern, dass wir nicht nur Individuen sind, die auf einer Straße leben, sondern eine Gemeinschaft bilden. Im 19. Jh. wiesen die Bewohner einer Straße einen starken Zusammenhalt auf. Damals war das Tauschgeschäft sehr wichtig, was die Nachbarn vereinte. Es gab die Kneipe des Quartals, wo alle zusammenkamen. Es gab die Kirche und das öffentliche Bad, wo sich Menschen versammelten, um zu diskutieren. Genauso versuchen wir den Geist der Gemeinschaft wiederzubeleben, wodurch die Menschen zusammen schöne Dinge aufbauen.“
Das Festival Femei pe Mătăsari“ (Frauen auf der Mătăsari-Straße) ist zu seiner fünften Auflage angelangt. Diese bietet außer einer entspannten und freundschaftlichen Atmosphäre Freilichtkonzerte, Handwerksprodukte — von Kleidung, Schmuck und Kosmetika bis zu Lebensmitteln. Es bietet außerdem Informationen, wie man seinen Mitmenschen als Volontär und mithilfe der NGOs helfen kann. All das, nicht nur um den Geist der Gemeinde wiederzubeleben, sondern um dieser Straße, die von 1990 bis 2000 als ein Standort der Prostituierten verrucht war, zu einem besseren Ansehen zu verhelfen.
Die tiefergehende Geschichte der Straße ist aber eine andere. Der Rumänische Verband für Kultur, Bildung und Normalität, kurz ARCEN, bietet diese Geschichte den Bukarestern. Im Rahmen des Festivals veranstaltet ARCEN Spaziergänge durch das alte Randviertel. Dabei wird die Geschichte der Gegend geschildert, die dank einiger Gebäude noch lebendig ist. Was aber in der Vergangenheit auf der Mătăsari-Straße geschah, erfahren wir von Cristian Andrei Iosif von ARCEN.
Die Geschichte des Randviertels Mătăsari ist sehr alt. Die Straße ist sehr alt und wurde um das Jahr 1770 urkundlich erwähnt. Ihre Bedeutung war so groß und das geht auch aus ihrem Namen hervor. Der Name kommt von den alten Seidenhändlern. Die Verbindung mit dem Obor (Markt) oder mit dem Târgul Moşilor (dem Mosilor-Markt), die sich in der Nähe befinden, ist offensichtlich. Die Mătăsari-Straße und die umliegende Gegend wurden gleich nach der Wende insbesondere für Prostitution und Drogenhandel bekannt. Gerade das war der Ausgangspunkt des Festivals: die Wiederbelebung der Gegend, um zu zeigen, dass sich Meinungen, Mentalitäten und sogar Sitten ändern können.“
Während im östlichen Teil Bukarests sich ein Großteil der (Alt)Stadt befindet, ist auch der nördliche Teil nicht schlecht. Neulich haben die Studenten der Architektur- und Städtebauuniversität gemeinsam mit dem Architektenorden die Interessenten eingeladen, den am meisten abgeschotteten Bezirk ebenfalls zu Fuß zu erkunden. Dieser wurde als Randviertel im amerikanischen Stil gebaut und selbstredend Bucureştii Noi (Neubukarest) benannt. Alles begann Ende des 19. Jh., als der Rechtsanwalt Nicolae Bazilescu seine große Landfläche in kleine Grundstücke parzellierte und zum Verkauf anbot. Diese standen zu niedrigen Preisen denjenigen zur Verfügung, die sich Wohnungen in der Nähe der Hauptstadt bauen wollten. Es ist ein schönes Viertel entstanden. Obwohl es gerade geschnittene Grundstücke und Straßen, genauso wie in den amerikanischen Randvierteln, enthält, behält es dennoch das Spezifikum Bukarests, durch die Verflechtung zwischen Städtischem und Vorstadt-Flair. Das Spezifikum und die Geschichte der Gegend lernt man in langen Spaziergängen von den unermüdlichen Mitgliedern von ARCEN kennen. Edmond Niculuşcă über die Quartale Bucureştii-Noi und Nicolae Bazilescu:
Das neue Quartal musste alles haben: Kirche, Schule, Park usw. Die bereits existierende Kirche ist stehen geblieben. Bazilescu bot die Landflächen zum Verkauf an. Diese ließen sich schnell verkaufen und wurden neu eingeteilt. Er baute auch vier Fabriken auf, um die hiesige Gemeinde wirtschaftlich zu unterstützen. Die Backsteinfabrik z.B. erwirtschaftete niemals Gewinn, denn sie war ausschließlich für den Bau der Häuser der dortigen Einwohner gedacht. Es hat auch eine Eisenbahnlinie gegeben, die das neue Viertel mit der Altstadt verband. Es gab auch umfangreichere Pläne, aber nicht alle wurden verwirklicht, denn das Schicksal der Familie Bazilescu nahm der Machtergreifung der Kommunisten eine andere Richtung.“
Die Bazilescus konnten dennoch der Hauptstadt ein Quartal hinterlassen hat, das heute stark bewundert wird. Der Architekt Tudor Elian beschreibt es:
Dessen Spezifikum ist die Normalität, mit Häusern, die ein für Bukarest typisches Aussehen haben: Es sind kleine Häuser mit wenigen Zimmern, die aber Platz für einen Garten haben. Hier findet ein Teil des Tages statt, hier hat man eine Weinrebe oder eine Katze… Nichts Beeindruckendes, aber sehr normal und beständig. Diese Art Häuser ist eher spezifisch für die Bukarester, die hier mehrere Generationen hintereinander leben, als für diejenigen, die vom Lande gekommen sind.“
Obwohl diese Art von Wohnkultur noch überlebt, ist sie heute bedroht. Gerade um das in den Vordergrund zu stellen, haben die Architekturstudenten eine Fotoausstellung im Hof eines für Bucureştii-Noi typischen Hauses veranstaltet. Darüber weiß der Architekt Tudor Elian, Koordinator der Studenten, mehr.
Langsam haben sich die Dinge aus einer einfachen Aufgabe für Studenten in ein Projekt umgewandelt, das den Verband »Rettet die Bezirke Dămăroaia und Bucureştii Noi« unterstützen soll. Die besagten Bezirke wandten sich an die Justiz wegen verschiedener Illegalitäten, die in diesem Bezirk begangen werden. Es handelt sich entweder um illegal errichtete Bauten oder um Gebäude, die den Baugenehmigungen nicht entsprechen. In diesem Kontext treten wir mit einer kleinen Fotoausstellung auf, die in erster Linie die Entdeckungen der Studenten vorstellt: den normalen, alltäglichen Charakter einer Architektur und eines sehr angenehmen Ambientes der Nachbarschaft. Die Ausstellung schlägt auch eine weitere Reihe von Alternativprojekten zu den neuen Gebäuden vor. Diese Projekte entspringen der tiefen Beziehung zu den Menschen in diesem Bezirk und basieren auf der Architektur der bereits gebauten Häuser.“
Die Ausstellung Wohnen in Bucureştii Noi“ wurde einige Tage lang von Jazzkonzerten, Lesungen und Gesprächsrunden begleitet, die alle im Hof des für den Bezirk typischen Hauses stattgefunden haben. Folglich war es wieder ein Ereignis, das Kulturveranstaltungen mit bürgerlichen Veranstaltungen zusammenbringt, um das Wohnen in Bukarest so angenehm und natürlich wie möglich zu gestalten.