Bürgerinitiativen: Das Kino »Favorit« im Bukarester Stadtviertel Drumul Taberei
Das Anfang der 1960er entstandene Viertel Drumul Taberei wurde schnell mehr als eine Plattenbausiedlung in Bukarest. Heute setzen sich Bürgerinitiativen dafür ein, den öffentlichen Räumen wieder eine gemeinschaftliche Nutzung zu geben.
Christine Leșcu, 15.10.2014, 16:21
Das Wohnviertel Drumul Taberei ist in den sechziger Jahren am Rande der rumänischen Hauptstadt Bukarest erbaut worden. Jahrzehnte später entwickelte es sich zu einem der schönsten Wohnviertel. Zwischen den Wohnblocks mit vier, acht oder zehn Stockwerken sind Schulen, Kindergärten, Kinos, Konditoreien, Kaufhäuser, Fotoateliers errichtet worden. Irgendwo in der Mitte war eine kleine Einkaufsmeile, eine kleine Esplanade, wo sich die Jugendlichen treffen konnten. Das Stadtviertel hatte also ein eigenes Zentrum, die Freizeit der Menschen drehte sich um das kleine Kino und das Kaufhaus. Das Kino Favorit“ ist seit 17 Jahren geschlossen. Das Kaufhaus und die Läden rundherum sind heute völlig umgebaut worden, sehr zur Unzufriedenheit der Anwohner. Dagegen gründeten einige eine Initiative. Marilena Trică erläutert ihre Anliegen:
Die sogenannte Favorit-Initiative ist eine Gruppe, die aus Freunden, Nachbarn und andere Bürgern mit einem gemeinsamen Ziel, und zwar das Kino Favorit wiederzubeleben, gebildet ist. Die Initiative wurde im Mai 2010 mithilfe des Ressourcen-Zentrums für Öffentliche Teilnahme (CERE) gegründet. 2010 haben die Vertreter des Zentrums an die Türen von 120 Wohnungen geklopft, haben die Bürger zu einem Gespräch eingeladen. Diese sollten ihre Probleme bekanntmachen und ihre Meinungen äußern. Sie haben auf die Initiative der Bewohner geantwortet. Bei den Gesprächen wurden die Teilnehmer gebeten, auf einem Zettel zu schreiben, was sie sich in der Umgebung wünschen. Nach der Zusammenfassung und Auswertung der Gespräche kam heraus, dass die Menschen das Kino Favorit wieder haben wollten. Das Kino soll wieder funktionieren. Die Gruppe hat über 300 Mitglieder.“
Was die Mitglieder der Initiativgruppe wünschen, ist nicht nur die einfache Wiedereröffnung des Kinos, sondern die Einrichtung eines richtigen Kulturzentrums, wo Theateraufführungen, Konzerte, Vorlesungen organisiert werden können. Die Jugendlichen und die Rentner sollen hier ihre Freizeit verbringen können. Der Soziologe Mircea Kivu spricht über das Herz einer Gemeinschaft:
Die Wohnviertel brauchen nicht nur Wasserleitungen, Wärme, Gas usw. Das Stadtviertel Drumul Taberei hat alles, was es braucht: Kinosäle in Malls, Kaufhäuser, Gewerberäume. Die Wohnviertel brauchen aber auch symbolische Bezugspunkte. Die Bewohner des Stadtviertels wollen nicht nur einfache Konsumenten sein, sie wünschen sich ein gemeinschaftliches Leben. Es geht um die Entwicklung der Wohnviertel zu Gemeinschaften und nicht zu einfachen Ballungsräumen.“
Heute versuchen kleine Gruppen aus verschiedenen Vierteln und Städten, wie eine Gemeinschaft zu handeln. In Drumul Taberei gibt es auch andere Initiativgruppen wie Callatis Drumul Taberei“ und die Initiative Tudor Vladimirescu“. In einem anderen Bukarester Stadtviertel ist die Lacul Tei“ — Gruppe gegründet worden. Wenn die Menschen Mitglieder einer Gruppe sind, dann fühlen sie sich als Teil einer Gemeinschaft. Der Gemeinschaftsgeist beginnt zu wirken. Der Soziologe Mircea Kivu kennt auch weitere ähnliche Initiativen in anderen Städten:
In Iaşi z.B. widersetzt sich eine Gruppe der Abholzung der Lindenbäume im Stadtzentrum. Eine andere Initiativgruppe ist in Oradea (Großwardein) tätig. Sie wünscht die Wiederbelebung einer Fußgängerzone und ihre Umwandlung in eine Gewerbezone. Die Menschen beginnen sich selbst zu organisieren. Ohne derartige Initiativen werden die Behörden weiterhin willkürlich handeln.“
Marilena Trică schildert weiter, wie die Behörden auf das Anliegen der Favorit-Initiative reagiert haben:
Wir haben mehrere Petitionen geschrieben und an den Sitzungen des Lokalrates teilgenommen, wir haben Pressemitteilungen verfasst und wir haben uns auch gestritten. Es war aber nicht alles umsonst. 2011 haben wir Gelder bekommen und die Machbarkeitsstudie durchgeführt. 2012 haben wir Geld vom Lokalhaushalt bekommen und das technische Projekt herausgearbeitet. 2013 wurden uns 2,6 Millionen Euro zugesprochen. Leider konnten wir das Projekt nicht weiter umsetzen, weil das Kulturministerium das Gebäude besitzt. Wir wollen, dass das ehemalige Kino Favorit vom 6. Bukarester Stadtbezirk übernommen wird. Deshalb schreiben wir weiter Petitionen.“
Zurzeit ist das Projekt im bürokratischen Dickicht stecken geblieben. Das Kulturministerium, Eigentümer des Kinos, hat kein Geld, um sich um die Sanierung zu kümmern; der 6. Bukarester Stadtbezirk darf das Gebäude nicht verwalten, weil es ihm nicht gehört. So lange wollen Marilena Trică und ihre Kollegen aus der Initiativgruppe Favorit“ mit Bittschriften an die Behörden weitermachen:
Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Folgendes hat ein Mitglied unserer Gruppe an das Kulturministerium geschrieben: ‚Sehr geehrte Herren, ich bin ein US-Bürger und wohne seit 20 Jahren in Drumul Taberei. Ich liebe dieses Stadtviertel. Hier gibt es aber eine traurige Ruine, das Kino Favorit. Ich verstehe das Problem nicht hundertprozentig, glaube aber, das Ministerium könnte der Initiativgruppe helfen.‘ Ein weiteres Gesuch haben wir beim Bürgermeister des Stadtviertels eingereicht: ‚Keine weiteren Stiefmütterchen-Parzellen, keine neuen Bordsteine im 6. Bezirk! Wir brauchen Investitionen und den guten Willen, um das Kino »Favorit« für Bildung und Erziehung wieder funktionsfähig zu machen.‘“
Als Beweis, dass derartige Initiativen Erfolg haben, haben die Mitglieder der Initiativgruppe Favorit am 26. September die Behörden überzeugt, anlässlich der Tage des Stadtviertels das ehemalige Kino vorübergehend zu öffnen. Im Foyer wurden zwei Kurzfilme projiziert. Der große Besucherandrang machte den Mitgliedern der Initiativgruppe Mut.