Kunst hautnah und in erweiterter Realität: ARTTouch-Projekt im Nationalen Kunstmuseum
Mit multimedialen und multisensoriellen Projekten, aber auch mit Enhanced-Reality-Apps versucht das Nationale Kunstmuseum auch ein Publikum anzusprechen, das bislang eher außen vor gelassen wurden: Menschen mit Hör-, Sprach- oder Sehbehinderungen.
Ana-Maria Cononovici, 21.05.2014, 17:35
Das Nationale Kunstmuseum (MNAR) besitzt die größte rumänische und internationale Kunst-Sammlung in unserem Land. Das Museum wurde 1948 im ehemaligen Königspalast gegründet. Es ist eine der wichtigsten Kultur-Institutionen in Bukarest und betreibt eine rege Ausstellungs-Tätigkeit.
Letztes Jahr wurden vom Museum Programme für Schulen, Familien, Jugendliche und Erwachsene abgewickelt. An diesen nahmen insgesamt 13.400 Personen teil, etwa 15% der Gesamt-Besucherzahl. Roxana Teodorescu, Geschäftsführerin des Nationalen Kunstmuseums, berichtet über das Ziel des Projekts ARTTouch, das dieses Jahr gestartet wurde:
Das Nationale Kunstmuseum ist für alle geöffnet und betrachtet jede Besucher-Kategorie als gleichermaßen wichtig. Es macht uns viel Freude, Ihnen unsere Multimedia- und multisensoriellen Produkte, die für Personen mit Hör-, Sprach- oder Seh-Behinderungen gedacht sind, vorzustellen. Diese wurden im Rahmen des Projekts ARTTouch entwickelt. So wie Sie schon wissen, haben seit Jahren gehbehinderte Personen Zugang zur ständigen Ausstellung unseres Museums und beginnend mit letztem Jahr auch zum Abschnitt für Kunst-Sammlungen.“
Im Rahmen des Projekts ARTTouch wurden Multimedia-Apps und Apps für erweiterte Realität sowie taktile Kopien, Stoffmuster, eine Bibliothek der Geräusche“ und eine Duft-Bibliothek“ entwickelt, die den behinderten Personen eine multisensorielle Erkundung der Galerie für europäische Kunst ermöglicht. Zudem wurden zusammen mit den Nutznießern Führungen und spezielle Workshops für diese Publikums-Kategorien ins Leben gerufen. Die Multimedia-Produkte, die bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt wurden, beruhen auf ein paar Kunstwerke der Galerie für europäische Kunst: Blumenstrauß“ von Jan Brueghel dem Älteren, Der Heilige Franziskus und der Heilige Benedikt einem musizierenden Engel zuhörend“ von Guercino und Das Tor (Saint Tropez)“ von Paul Signac. Ziel der Multimedia-Apps ist, dem jungen Publikum durch moderne und attraktive Mittel die Geschichten hinter den Bildern näher zu bringen. Codruţa Cruceanu, Projekt-Koordinatorin erklärt:
Durch ARTTouch versuchen wir bei der Gestaltung einer offeneren Gesellschaft mitzumachen. Es gibt zwei Kategorien von Nutznießern, unsere Multimedia-Apps haben zwei Dimensionen: eine visuelle Dimension, die für hörgeschädigte Kinder gedacht ist. Für sie muss der visuelle Teil ausreichend einfach und deutlich sein, damit sie zu sich mit einfacher Interpretation Zugang zum Kunstwerk verschaffen können. Weiter gibt es eine Audio-Dimension, die manchmal eine detaillierte Erklärung voraussetzt und die den Seh-Behinderten zugedacht ist. Sie wurde entwickelt, weil in ihrem Fall der Erkenntnis-Prozess auf kultureller Information beruht.“
Das Gemälde Blumenstrauß“, das Meisterwerk des flämischen Malers Jan Brueghel des Älteren, auch Samtbrueghel oder Blumenbrueghel genannt, ist die Grundlage einer Enhanced-Reality-App (App mit erweiterter Realität), die eine neue Möglichkeit zum Verstehen der Malerei anbietet und nützliche Informationen über die Geschichte, den Lebensstil und den Glauben der Europäer im 17. Jh. liefert. Die Anwendung präsentiert den Blumenstrauß in 3D, mit Details über die Geschichte der Breughel-Dynastie und schlägt einen Blumenspaziergang“ durch die drei ständigen Ausstellungen des Museums vor. Außerdem haben die Maitres Parfumeurs von Expessions Parfumées aus Grasse ein neues Parfum kreiert, das von diesem Gemälde inspiriert wurde. Das Originalparfum ist Teil einer Duft-Bibliothek“, die auch speziell für diese multisensorielle Tour geschaffen wurde.
Emmerich Jeudi, Lektor beim Lehrstuhl für Elektronik-Ingenieurswesen in Fremdsprachen an der Bukarester Universität, gab uns weitere Details über die Entwickler von Multimedia-Produkten und über die Parfumeurs, die dem Blumenstrauß Breughels einen eigenen Duft geschenkt haben:
An diesem Projekt beteiligte ich mich einerseits als Professor an der Polytechnischen Hochschule und andererseits als Vertreter der Parfumeurs, die das vom Gemälde Breughels inspirierte Parfum kreiert haben. Als Lektor nahm ich zusammen mit meinen Studenten an diesem Projekt teil, und das Ganze entwickelte sich zu einem großartigen Abenteuer. Die Studenten waren in einem Dauerprojekt involviert, mit praktischer Arbeit zu einem edlen Zweck beizutragen. Als Lektor für die französische Sprache war ich besonders daran interessiert, mit den Studenten vom Studienbereich Französisch zusammenzuarbeiten, das Gemälde von Signac zu entdecken und die Kreation von Parfums, eine französische Tradition, zu studieren. Aus der Perspektive der Parfumeurs kann ich Ihnen die Arbeit des Parfum-Unternehmens in der südfranzösischen Stadt Grasse präsentieren. Bei meiner Beschäftigung mit diesem Projekt entdeckten wir eine mittelalterliche Redensart, die sagt ‚Wer eine Blume malt, malt nicht auch deren Duft‘, und wir versuchten, auch einen Duft zum Blumenstrauß Breughels zu ‚malen‘. Das Parfum-Unternehmen in Grasse liegt mitten in einem Feld mit Jasmin und Rosen, und das sind auch die stärksten Düfte in Breughels’ Bouquet. Auf den Gemälden Breughels, wie auch auf den Gemälden der meisten flämischen Meister, findet man Blumen aller Jahreszeiten. Deshalb muss der Maitre Parfumeur seine ganze Kreativität einsetzen, um die wichtigsten Aromen zu identifizieren und zu vermischen, weil ein derartiger Blumenstrauß in Wirklichkeit hätte nie existieren können. Aus den insgesamt 18 Einzelaromen, die in Breughels Bouquet vorkommen, werden nur zwei in der Grasse-Parfumerie destilliert — Grasse-Rose und Jasmin.“
Die Gemälde Der Heilige Franziskus und der Heilige Benedikt einem musizierenden Engel zuhörend“ von Guercino und Das Tor“ von Signac sind ebenfalls über Touchscreens mittels einer multimedialen App zu erkunden. Die App liefert Informationen über die Kompositionselemente der Gemälde und über die Korrespondenzen zwischen Klängen und Farben.
Audiobeitrag hören: