Das Kinderschutzprogramm „Wir wachsen zusammen“
Laut einem Bericht der rumänischen Kinderschutzbehörde, der Ende 2012 veröffentlicht wurde, waren bei den Sozialschutzbehörden 79.901 Kinder angemeldet, deren Eltern im Ausland arbeiteten.
Ana-Maria Cononovici, 04.09.2013, 14:11
Die Anzahl der Kinder, die in Rumänien nur von einem Elternteil oder von anderen Familienangehörigen großgezogen werden, weil die Eltern im Ausland arbeiten, ist sehr hoch und nicht genau bekannt. Laut einem Bericht der rumänischen Kinderschutzbehörde, der Ende 2012 veröffentlicht wurde, waren bei den Sozialschutzbehörden 79.901 Kinder angemeldet, deren Eltern im Ausland arbeiteten.
41% dieser Kinder lebten ohne ihre Eltern; in 22.993 Fällen waren beide Eltern im Ausland, und in 9.991 Fällen arbeitete ein Elternteil im Ausland. Diese hohen Zahlen entsprechen aber nicht genau der Realität; mehrere Studien haben erwiesen, daß die offiziellen Angaben nur einen Teil der wirklichen Dimension dieses Phänomens widerspiegeln.
Ein neuer Schritt zum Unterstützen der Kinder, die sich in dieser schwierigen Lage befinden, wurde mit Hilfe der Organisation Rettet die Kinder Rumänien“ unternommen, durch das Projekt Wir wachsen zusammen“. Über die Ziele dieses Programms spricht die Exekutivpräsidentin der Organisation Rettet die Kinder“, Gabriela Alexandrescu:
Das Ziel unseres Programms ist, daß wir zusammen die besten Möglichkeiten finden, um die Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten, zu schützen. Wir möchten komplexe Dienstleistungen als Unterstützung für diese Kinder entwickeln. Wir wollen den Kindern Nachhilfeuntericht anbieten, ihnen helfen, ihre Hausaufgaben zu machen, überhaupt alle Aufgaben, die die Schule an sie stellt, zu bewältigen. Ohne die entsprechende Unterstüzung, ohne Elternschutz schafft es ein Kind nicht, sich gut für die Schule vorzubereiten. Mit Computerausrüstungen und Internetverbindungen ermöglichen wir den Kindern die ständige Kommunikation mit ihren Eltern, die im Ausland arbeiten. Wir unterstützen auch die Familienangehörigen, welche die in Rumänien gebliebenen Kinder großziehen — viele dieser Familienmitglieder sind die Großeltern oder andere Verwandte, die nicht immer darauf vorbereitet sind, sich um heranwachsende Kinder, um Teenagers zu kümmern. Für uns ist besonders wichtig, daß die Behörden sich auch daran beteiligen, so daß wir mit gutem Beispiel vorangehen. Solche Kinder, die ohne Eltern großwerden müssen, findet man überall in Rumänien.“
Das Projekt Wir wachsen zusammen“ konkretisierte sich durch das Starten mehrerer Programme mit dem Titel Schule nach der Schule“ in 14 Landkreisen Rumäniens. Solche Zentren gibt es in Piteşti, Landkreis Argeş, Braşov, Bukarest, Reşiţa, Mangalia, Târgovişte, Craiova, Lupeni und Petrila, Landkreis Hunedoara, Iaşi, Sighişoara, Piatra Neamţ, Suceava und Negreşti, Landkreis Vaslui.
Von 2010 bis 2012 beteiligten sich 2080 Kinder an diesem Programm; in 785 Fällen arbeitete die Mutter im Ausland, und in 876 Fällen der Vater. In 419 Fällen arbeiteten beide Eltern im Ausland. All diese Kinder erhielten zusätzliche Ausbildungshilfe und beteiligten sich an Freizeitaktivitäten wie Ausflügen, Wanderungen, Besichtigungen von Museen und anderen touristischen Sehenswürdigkeiten. Die Vertreter der Kinder haben monatlich an Informationstreffen sowie an sozialen und psychologischen Beratungen teilgenommen. Die zuständigen Behörden haben schnell verstanden, daß es noch viel zu tun gibt; dazu die Inspekteurin im Bildungsministerium Cătălina Chendea:
Besonders wichtig waren uns die Treffen und Beratungen mit den Familienangehörigen, die sich zu Hause um die Kinder kümmern. Es handelt sich um Vorbereitungstreffen, denn sehr oft sind die Verwandten überfordert. Einerseits versuchen wir, bessere Beziehungen zwischen den Kindern und ihren sog. ‚neuen Eltern‘ zustandezubringen, und andererseits ermuntern wir die Kinder, einen engen Kontakt mit ihren im Ausland arbeitenden Eltern zu pflegen. Die in Rumänien gebliebenen Kinder müssen verstehen, daß ihre Eltern nicht für immer weg sind, daß sie nicht verlassen wurden, sondern daß ihre Eltern nach einer gewissen Zeit nach Hause zurückkehren werden. Abgesehen davon organisieren wir auch spezielle Aktivitäten außerhalb der Schule, wodurch die Kinder ein besseres Selbstvertrauen aufbauen und mehr Vertrauen zu ihrer Familie gewinnen.“
Die Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten, werden manchmal als privilegiert angesehen, weil sie des öfteren schöne Geschenke bekommen — die Kehrseite der Medaille ist aber die Tatsache, daß diese Kinder meistens ohne den Schutz eines richtigen Zuhause aufwachsen müssen. Daniela Ganu ist die Großmutter eines Mädchens, dessen Vater im Ausland arbeitet. Oma und Mutter kümmern sich um die Kleine, die am Projekt Wir wachsen zusammen“ beteiligt ist. Es gibt aber auch Kinder, die eine solche Chance nicht bekommen haben. Daniela Ganu:
Des öfteren bemerkte ich, als ich die Kleine von der Schule holte, daß es auch Kinder gibt, die verwahrlosen, wenn ihre Eltern im Ausland arbeiten. Kinder, die keine gute Kleidung haben, die nicht korrekt ernährt werden. Die Kleinen bekommen bloß ein Brötchen und etwas Milch in der Schule. Mit dem Programm »Wir wachsen zusammen« ist auch eine warme Mahlzeit in der Schule vorgesehen, und das ist gut so. Als Großmutter habe ich aber sehr wohl bemerkt, daß es sehr viele Sozialfälle gibt, Familien, wo beide Eltern im Ausland arbeiten und vier oder fünf Kinder bei einer alten, gebrechlichen Oma geblieben sind. Oder bei einem Onkel oder einer Tante, die selbst arbeiten gehen und sich nicht um die Kinder kümmern können, so daß die Kleinen bis spät in der Nacht auf der Straße spielen. Es wäre nicht schlecht, wenn man in diesem Programm eine Art Tagesheim für Kinder einbauen könnte und für die Sozialfälle sogar ein Internat, wo die Kinder den ganzen Tag lang unter Aufsicht bleiben. Es gibt Kinder, die nicht einmal einen Platz zum Schlafen haben; ich selbst sah so ein Kind, das hungrig, schlecht gekleidet und barfuß auf der Straße hockte.“
Es besteht kein Zweifel, daß solche Programme notwendig und nützlich sind. Noch ein Beweis kommt von einer bedürftigen Oma, die alleine vier Enkelkinder großziehen muß. Vera Limbei:
Ich muß mich alleine um meine vier Enkelkinder kümmern. Ihre Eltern arbeiten im Ausland, um Geld für ein eigenes Haus zu sparen. Wir leben alle in einer Einzimmer-Mietwohnung. Die Kinder sind zwischen 5 und 7 Jahre alt, der Älteste geht in die erste Klasse, die Zwillinge sind 6 Jahre alt und gehen in die Vorschule, und die Jüngste ist noch im Kindergarten. Ohne dieses Programm hätte ich es nicht geschafft!“
Bei den Kindern, die an Programmen dieser Art teilnehmen, merkt man schon in den ersten Monaten eine Verbesserung der Kommunikation, die Steigerung des Selbstvertrauens und bessere Leistungen in der Schule. Das Programm Wir wachsen zusammen“ hatte 565 ehrenamtliche Mitarbeiter, die sich intensiv um die Kinder kümmerten. 2013 werden mehr als 1.000 Kinder landesweit an den Aktivitäten dieses Programms teilnehmen.