Raus aus der Großstadt Bukarest – aber wohin?
Bukarest, die Hauptstadt Rumäniens, wirkte schon immer wie ein Magnet auf diejenigen, die besser bezahlte Jobs und mehr Komfort suchten. Viele Jahre lang war die Landflucht in Richtung Hauptstadt von keinem entgegengesetzten Phänomen ausbalanciert.
Christine Leșcu, 11.09.2013, 14:04
Bukarest, die Hauptstadt Rumäniens, wirkte schon immer wie ein Magnet auf diejenigen, die besser bezahlte Jobs und mehr Komfort suchten. Viele Jahre lang war die Landflucht in Richtung Hauptstadt von keinem entgegengesetzten Phänomen ausbalanciert. Seit 2009, das heißt seit dem Anfang der Wirtschaftskrise in Rumänien, machte sich auch die Stadtflucht bemerkbar — man wollte aus Bukarest heraus, und viele Großstadtbewohner entschieden sich für kleinere Städte oder sogar Dörfer.
Manche verlassen die Hauptstadt endgültig; andere suchen sich Wohnungen oder Häuser in der Umgebung von Bukarest und pendeln jeden Tag zu ihrem Arbeitsplatz in der Hauptstadt. Über die Bukarester, die nicht mehr in Bukarest leben wollen, über die Gründe, die sie bewogen haben, die Hauptstadt zu verlassen, spricht Ioana Mihai, Journalistin bei der Zeitung Ziarul Financiar“:
Erstens haben wir die Rentner, die sich entscheiden, Bukarest zu verlassen, weil sie ein altes Elternhaus oder Verwandte auf dem Lande oder in Provinzstädten haben. Dann gibt es die Studenten, die der Auffassung sind, daß sie sich in Bukarest nicht integrieren können. Bukarest bietet in der Tat besser bezahlte Arbeitsplätze; dafür ist aber das Leben viel stressiger, man verliert viel Zeit mit den einfachsten Alltagssachen, und das zehrt an den Nerven. Sehr oft regt man sich furchtbar schon am frühen Morgen im Verkehr auf, auf dem Weg zur Arbeit. Wenn man endlich angekommen ist, ist man schon nervös. So etwas passiert in anderen Städten Rumäniens einfach nicht. Ferner haben wir die Kategorie derer, die bereits ein gewisses Niveau in ihrer Karriere erreicht haben, und frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder in einer ruhigeren Stadt großziehen wollen. Ich kenne einige Topmanager, die höhere Stellungen als Manager in Bukarest aufgegeben haben, um als Angestellte bei Firmen in der Provinz zu arbeiten, oder als Selbständige eine Existenz fern von Bukarest zu gründen.“
Die meisten Bukarester beschließen, nicht sehr weit zu ziehen, etwa in den Landkreis Ilfov, in die ländliche und landwirtschaftliche Umgebung von Bukarest. Andere wiederum entscheiden sich für Landkreise, wo in den letzten Jahren viel investiert wurde, wie zum Beispiel für den Landkreis Timiş. Fast 11.000 Rumänen aus dem ganzen Land sind 2011 in den Landkreis Timiş gezogen. Was Bukarest betrifft, auch wenn hier die meisten Arbeitsplätze zu finden sind, auch wenn das Einkommen am höchsten ist, so sind auch die Lebenskosten sehr hoch. Die Journalistin Ioana Mihai erläutert:
Wenn wir uns mal anschauen, wie hoch die Mieten in Bukarest sind oder wieviel ein Quadratmeter Wohnraum in einer neugebauten Eigentumswohnung kostet, dann verstehen sowohl die Unternehmer als auch die Familien, die ein Budget auf längere Zeit planen, daß es preisgünstiger ist, außerhalb von Bukarest zu leben. Man sollte auch die Spritkosten nicht vergessen. Es gibt Städte in Rumänien, wo man die gesamte Hauptstraße von einem Ende der Stadt zum anderen in 5 Minuten durchfährt. In Bukarest steht man ganze 5 Minuten nur an einer Straßenampel. Es gibt also eine ganze Reihe von verschiedenen Kosten, die man als Stadtmensch in Kauf nehmen muß. Es gibt viele Leute, die lieber eine oder zwei Stunden mehr mit ihrer Familie verbringen, als jeden Morgen und jeden Abend diese Zeit im Verkehr zu vergeuden. In der Provinz käme diese Zeit der Familie zugute.“
Ebenfalls an die Familie, vor allem an die Kinder, dachte auch Sabina Dumitrescu, als sie, zusammmen mit ihrem Ehemann und noch einem befreundeten Ehepaar, eine selbständige, landwirtschaftich orientierte Existenz im Landkreis Ialomiţa, etwa 60 Km von Bukarest entfernt, gründeten. Es handelt sich um ein Gemüse-Anbau — dieser naturverbundene Lebensstil garantiert gesunde Lebensmittel, frische Luft und sichere Spielplätze für die Kinder der zwei Familien. Sabina und ihr Ehemann haben ihre Stadtwohnung in einem Bukarester Neubauviertel verlassen und sind aufs Land umgezogen. Zweimal die Woche fahren sie zu ihren Anbauflächen und kümmern sich um das Geschäft. Sabina Dumitrescu beschreibt ihr neues Zuhause:
Wir wollten keine Umweltverschmutzung mehr. Von der ersten Nacht an, die wir in unserem neuen Haus verbrachten, fühlten wir uns wirklich zu Hause. Und die Kinder waren überglücklich, weil sie auf dem Hof spielen konnten. Vorher lebten wir in einer Hochhauswohnung, in der Nähe gab es schon einen großen Park, aber das war nicht zu vergleichen mit dem Leben auf dem Lande. Unser Kinder entdeckten den Wald, das Feld, den Gemüsegarten, die Obstbäume auf dem Hof. Das ist ein ganz anderes Leben!“
Die Anpassung an den neuen Lebensstil fiel keinem schwer. Im Gegenteil. Die Region, wo sie jetzt leben, sieht schon wie eine grüne Umgebung der Hauptstadt aus. Man hat den Stadtkomfort und die Ruhe des Landlebens. Sabina Dumitrescu:
Die Entfernungen sind schon etwas größer, man muß sich die Fahrten und das gesamte Tagesprogramm genauer einplanen. Aber das ist die Mühe wert, meine ich. Wenn man zu Hause ankommt, ist es schon etwas anderes. Man hat mehr Raum, man hat den Hof, die frische Luft, die Natur. Früher interessierte ich mich weniger für die Natur oder für Pflanzen. Ich war ein richtiger Stadtmensch, ich ging gerne mit Freunden aus, ich führte ein aktives Stadtleben. Aber sobald die Kinder auf die Welt gekommen waren, verstand ich, daß andere Dinge wichtiger sind, und es schien mir natürlich, unseren Lebensstil zu ändern.“
Zum Zeitpunkt ihrer Stadtflucht“ waren die zwei befreundeten Ehepaare etwa 30 Jahre alt. Als sie ihr neues Geschäft als Existenzgründung starteten, verstanden sie fast nichts von Landwirtschaft. Jeder der vier jungen Leute hatte etwas ganz Unterschiedliches studiert: Psychologie, Informatik, Architektur und Mathematik. Heute, etwa vier Jahre später, wollen sie sich auf Öko-Landwirtschaft spezialisieren. Matei Dumitrescu, der Ehemann Sabinas:
Generell bauen wir Gemüse an. Obst haben wir weniger. In punkto Gemüse konzentrierten wir uns auf die Sorten, die saisonbedingt und ganz natürlich schon immer in Rumänien angebaut wurden. Wir haben ein ganzes Mitarbeiterteam — vor allem im Sommer stellen wir Tagelöhner ein. Das ist auch das Geheimnis eines gut laufenden Unternehmens — wir suchen uns die besten Arbeiter aus. In zwei oder drei Jahren hoffen wir, das Zertifikat für Öko-Landwirtschaft zu erhalten, so daß unsere Erzeugnisse mit dem Bio-Siegel gekennzeichnet werden. Zurzeit orientieren sich alle neuen Unternehmer in Richtung Öko-Landwirtschaft, und das könnte schon einige Jahre dauern.“
Mitten in der Wirtschaftskrise scheint es, doch verschiedene Lösungen für ein besseres Leben in Rumänien zu geben. Die Rumänen, die ein anderes Lebensniveau anstreben oder sich für ein umweltgerechtes Leben entscheiden, versuchen, solche Lösungen auf nationaler Ebene zu finden. Auf diese Weise wird die Auswanderung oder die Arbeitssuche im Ausland ausbalanciert.
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