Religionshistoriker Mircea Eliade: „Menschen wollen ihre Existenz erzählt bekommen“
Der rumänische Religionswissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller Mircea Eliade war eine der großen Kulturpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
Steliu Lambru, 27.07.2020, 17:30
Mircea Eliade wurde am 9. März 1907 in Bukarest geboren. Sein Vater war Offizier und seine Mutter Hausfrau. Er war ein sehr fleißiger Schüler und im Gymnasium hatte er als Schulkameraden mehrere zukünftige wichtige Persönlichkeiten der rumänischen Kultur: den Schriftsteller und Journalisten Arşavir Acterian, den Dichter, Schriftsteller und Regisseur Haig Acterian, den Philosophen Constantin Noica und der Kunstkritiker Barbu Brezianu. Als Jugendlicher interessierte sich Mircea Eliade neben Literatur, Philosophie und Geschichte auch für Okkultismus und Naturwissenschaften, vor allem für Chemie. Bei seinen ersten literarischen Versuchen stand er unter dem Einfluss von Honoré de Balzac und Giovanni Papini. Er studierte schöngeistige Literatur und Philosophie an der Universität Bukarest und für seinen Abschluss verfasste er eine Diplomarbeit über den utopischen italienischen Denker Tommaso Campanella.
Das Werk von Mircea Eliade ist umfangreich und vielfältig. Der vielprachige Eliade ist Autor von über 80 Bänden der Religions- und Literaturgeschichte und einer der einflussreichsten Religionshistoriker seiner Zeit. Allein auf dem Gebiet der Religionsgeschichte hat er etwa 30 Bände verfasst, die in 18 Sprachen übersetzt wurden. Sein literarisches Schaffen umfasst 12 Romane, darunter Der Roman eines kurzsichtigen Jugendlichen“, Das Mädchen Maitreyi“, Auf der Mântuleasa-Straße“, Der verbotene Wald“, Hooligans“, und zahlreiche Novellen und Kurzgeschichten, von denen Fräulein Christina“, Bei den Zigeunerinnen“, Dr. Honigbergers Geheimnis“, Die Schlange“ am bekanntesten sind.
Eliade war einer der ersten rumänischen Orientalisten, und seine besondere Leidenschaft war die Kultur Indiens. Aus Liebe zu diesem Land ging er 1928 nach Kalkutta, wo er Sanskrit studierte und die indische Geistigkeit kennenlernte. Der Roman Das Mädchen Maitreyi“ ist der Tochter seines indischen Professors und Gastgebers Surendranath Dasgupta gewidmet. Mircea Eliade hatte sich in Maitreyi Devi verliebt, aber konnte sie wegen des Widerstands des Vaters nicht heiraten. 1933, nach seiner Rückkehr aus Indien, schrieb er eine Doktorarbeit über Yogapraktiken.
Das Zentrum für Mündlich Überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks ist im Besitz eines außergewöhnlichen Tondokuments. Es handelt sich um die Aufzeichnung eines Gesprächs von Mircea Eliade mit der bekannten Literaturkritikerin Monica Lovinescu bei Radio Freies Europa in den 1970er Jahren. In dem Interview bezieht sich Mircea Eliade auf seine Indien-Erfahrung, die ihm half, den Lauf der Geschichte und den Dialog zwischen Kulturen zu verstehen. Seine Reise in die Welt der religiösen Ideen und Überzeugungen verhalf ihm, einen Schritt nach vorne zu machen und eröffnete ihm ein bis dahin unbekanntes Universum. Mircea Eliade:
Seit ich aus Indien zurückgekehrt bin, habe ich verstanden, dass der kulturelle Provinzialismus des Westens begrenzt ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg muss es eine Brücke zwischen den verschiedenen Kulturen geben, eine Brücke zwischen der westlichen Kultur, der östlichen Kultur und den archaischen Kulturen. Es gibt keine einfachere und überzeugendere Einführung in eine Kultur als das Verständnis von Tradition, die immer eine Tradition des religiösen Ursprungs und der religiösen Struktur ist. Die Geschichte der Religionen schien mir der erste Schritt, die erste Stufe des Versuchs, andere Kulturen zu verstehen, von gleich zu gleich, in einem Dialog. Und dann war ich mir sicher, ich hatte diese Gewissheit, dass meine Bücher gut ankommen würden, weil die historische Realität mir Recht gab.“
Mircea Eliade betrachtete sich selbst als Schriftsteller und Wissenschaftler zugleich. Er war aber mehr für seine wissenschaftliche Arbeit geschätzt. Damit machte Mircea Eliade Karriere in den USA an der Universität von Chicago, wo er zusammen mit dem deutschen Professor für Religionswissenschaft Joachim Wach die Divinity School gründete. Und doch fühlte Eliade, dass er die rumänische Sprache nicht aufgeben konnte; die Literatur brachte ihn immer wieder zu seinen Wurzeln zurück. Darüber sagte Mircea Eliade:
Beim Schreiben von Literatur kehre ich zu meinen Quellen zurück, was normal ist. Rumänisch ist die Sprache, die ich nie verlassen wollte, ich brauche die Träumerei und das Schaffen von Literatur in meiner Muttersprache — für meine geistige Gesundheit. Ich könnte bestimmte literarische Stücke, die ich auf Rumänisch schrieb, selbst ins Französische oder Englische übersetzen. Ich könnte literarische Texte auf Englisch oder Französisch schreiben. Es scheint mir aber viel wichtiger, den Bezug zu meinem Ursprung, zu meiner eigenen Geschichte nicht zu verlieren, die offensichtlich die Geschichte eines Rumänen ist, der in Rumänien und im Ausland gelebt und gearbeitet hat.“
Es ist oft gesagt worden, dass in der heutigen Welt die Religion immer weniger Einfluss hat. Aber Mircea Eliade sagte, dass die heutige Desakralisierung (Verweltlichung) in Wirklichkeit ein Verbergen des Heiligen ist, das die Menschen immer noch brauchen:
Dieses Bedürfnis, eine anfangs mythische Geschichte zu hören, in der erzählt wird, wie die Welt entstand, wie der Mensch entstand, wie die Gesellschaft organisiert wurde und so weiter, ist eine Notwendigkeit, die ich für grundlegend halte. Es ist eine Struktur des Bewusstseins, nicht eine Stufe in der Geschichte des Bewusstseins. Ich glaube nicht, dass der Mensch als Mensch existieren kann, ohne zuzuhören, ohne seine Geschichte und die Geschichte der Welt, in der er sich befindet und die weiterhin existiert, erzählt zu bekommen.“
Nach 1945, als das kommunistische Regime in Rumänien eingeführt wurde, lebte Mircea Eliade in westlichen Exil. Er starb am 22. April 1986 in Chicago und hinterließ ein beeindruckendes Werk, für das er 1990 post mortem in die Rumänische Akademie aufgenommen wurde.