Geschichte des Kommunismus: ambivalente Alphabetisierungskampagne
Das kommunistische Regime rühmte sich immer damit, es habe den Analphabetismus in Rumänien getilgt. Doch Historiker sagen, dass der Erfolg der Alphabetisierungskampagne fragwürdig gewesen sei, weil die Kosten viel höher als die Vorteile waren.
Steliu Lambru, 23.03.2020, 17:30
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte Rumänien eine der größten Analphabetenraten in Europa. In den 1930er Jahren waren 43% der Erwachsenen Analphabeten, und im Oktober 1945 gab es in Rumänien noch 4,2 Millionen erwachsene Analphabeten (1,9 Millionen Männer und 2,3 Millionen Frauen).
Am 23. August 1944 verließ Rumänien das Bündnis mit Deutschland und Italien und trat den Vereinten Nationen bei. Eine Woche später, am 31. August 1944, zog die sowjetische Armee in Bukarest ein, und dieser Moment markierte einen neuen Wendepunkt in der Zeitgeschichte Rumäniens. Nachdem die Sowjets in Rumänien einmarschiert waren, sprach die kommunistische und prokommunistische Presse über die Notwendigkeit, den Analphabetismus zu beseitigen. Die kommunistische Zeitung Scânteia“ schätzte den Analphabetismus in ländlichen Gebieten und in Kleinstädten auf 49%. Die Autoren der Artikel und später die kommunistischen Führer bezogen sich strikt auf die rumänische Realität und leugneten alle früheren Bemühungen zur Bekämpfung des Analphabetismus. Die Kommunisten beschuldigten die demokratischen Regierungen, sie hätten die unteren sozialen Schichten diskriminiert und die Schulausbildung im ländlichen Rumänien blockiert.
Durch das Bildungsgesetz von 1948 startete die Regierung der Kommunistischen Partei Rumäniens eine Alphabetisierungskampagne und schaffte den Analphabetismus in Rumänien innerhalb von sechs Jahren fast vollständig ab. Die Kampagne, die wie eine militärische Offensive durchgeführt wurde, umfasste Freiwillige aus dem Bildungsbereich, Lehrer, Professoren und Wissenschaftler, die in den Dörfern unterrichteten. Die Alphabetisierungskampagne richtete sich sowohl an Kinder und Jugendliche, die die Schule verlassen hatten oder nicht mehr besuchten, als auch an Erwachsene bis 55 Jahre. Nach einem oder zwei Jahren sollten sie ein Diplom erhalten, das den 4 Jahren der Grundschule entsprach.
Der Historiker Cristian Vasile vom Geschichtsinstitut Nicolae Iorga“ in Bukarest erforscht die Alphabetisierungspolitik des kommunistischen Regimes in den ersten Jahren seines Bestehens:
Seit Ende 1947 war die Kampagne zur Bekämpfung des Analphabetismus für die kommunistische Führung tatsächlich zu einem wichtigen Teil der Kulturrevolution nach sowjetischem Vorbild geworden. Die stalinistische Propaganda behauptete, in der Sowjetunion gebe es keine Analphabeten mehr, und dieser Anspruch wurde auch in Rumänien erhoben. Der Historiker Mihail Roller war damals auch ein Theoretiker der sowjetisch inspirierten Pädagogik. Er schrieb ein Buch über die sowjetische Pädagogik und darüber, wie die pädagogischen Methoden in Rumänien umgesetzt werden sollten.“
Analphabetismus hindert die Arbeiter daran, an die Führung des Landes zu kommen und den Sozialismus und Kommunismus aktiv aufzubauen. Derjenige, der nicht lesen und schreiben kann, bleibt außerhalb der Politik“, steht in einem Manifest der Kulturpropaganda, die eine vereinfachende und mystifizierende Rhetorik verwendete. Die Einsetzung der kommunistischen Regierung unter der Führung von Petru Groza am 6. März 1945 öffnete den Weg für die Alphabetisierungspolitik in den rumänischen Dörfern. Das Bildungsministerium und das Kulturministerium sollten sich mit dieser Alphabetisierungspolitik befassen, die unter anderem darauf abzielte, das Schulnetz in den ländlichen Gebieten zu erweitern und alle Kinder einzuschulen. Abgesehen von der Erweiterung der Schulnetze erfolgte die Alphabetisierung durch die Filmkarawanen, durch die visuelle Propaganda und durch die Ausstellung von Kunstwerken, die die Vorteile des Lernens darstellten. Ein äußerst wirksames Mittel der Alphabetisierung war der Militärdienst. Die Armee hatte auch kulturelle Programme, viele Bauern lernten während des 3-jährigen Militärdienstes zu lesen und zu schreiben. Außerdem lernten die Mitglieder der Volksminderheiten während des Militärdienstes die rumänische Sprache. Die kommunistische Alphabetisierung bedeutete aber zugleich die Einprägung der Ideologie. Die von der offiziellen Kulturpolitik durchgeführte Alphabetisierung zielte auf die Verbreitung der marxistisch-leninistischen Lehren ab.
Die Umsetzung der Alphabetisierungsplänen verlief nicht so, wie sich die Beamten vorstellten. In der Praxis gab es Schwierigkeiten, meint der Historiker Cristian Vasile:
Die Kampagne zur Intensivierung der Alphabetisierung, wie sie von der Führung des Bildungsministeriums konzipiert wurde, stieß auf die Zurückhaltung und sogar die Feindseligkeit einiger Lehrer und Professoren. Es ging aber nicht darum, dass sie der Bourgeoisie angehörten und grundsätzlich gegen die Kommunisten waren; es ging vor allem um triviale Angelegenheiten. Viele Lehrer mussten die städtischen, traditionsreichen Schulen verlassen, was für sie eine Herabstufung bedeutete. Aus politischen Gründen wurden sie in ländliche Gebiete oder in Kleinstädte verlegt, wo es viele Analphabeten gab. In diesen Ortschaften, in die sie willkürlich versetzt worden waren, hatten die Lehrer und die Professoren keine Wohnungen, keinen Komfort, und konnten ihre pädagogische Tätigkeit nicht entsprechend ausüben.“
Durch den Verteilungsmechanismus zur Anwendung der kommunistischen Parteipolitik wurden junge, unerfahrene Lehrer zwangsweise ins Land geschickt. Die Weigerung vieler Lehrkräfte, zur Arbeit zu erscheinen, führte dazu, dass sie zu Saboteuren erklärt und bestraft wurden. Cristian Vasile dazu:
Im November 1948, als alle Probleme überprüft wurden, stellte der Chefinspektor der Schulen in Cluj (Klausenburg) in einem Bericht Folgendes fest: ‚In Bezug auf die Alphabetisierung fordern die Lehrer, dass ihnen für diese Kurse Überstunden bezahlt werden. Im Zusammenhang mit diesen Aufgaben, mit diesen Verteilungen, die wir vorgenommen haben, gibt es eine Reihe von Rücktritten aus dem Bildungswesen. Es gibt Lehrer, die mit der Stadt Cluj sehr verbunden sind und in Cluj bleiben wollen, die nicht woanders hingehen wollen. Es gibt ein großes Gefälle zwischen der Stadt Cluj und dem Landkreis Cluj. Der Landkreis Cluj ist ein unglücklicher Fall, was die Dörfer und die Kommunikationswege angeht. 600 Lehrer aus der Stadt Cluj wurden in Dörfer geschickt, aber nach kurzer Zeit reichten sie ihren Rücktritt bei uns ein. Ich befinde, dass diejenigen, die aufs Land gehen müssen und sich weigern, dort zu bleiben, die Reform sabotieren. In diesem Sinne beschloss ich, dass sie entlassen werden und keine andere Stelle bekommen.‘“
Die kommunistische Alphabetisierungskampagne führte zu Störungen im Bildungssystem, zu unbezahlter Freiwilligenarbeit, zu willkürlichen Versetzungen und Entlassungen. Die Historiker sind aber der Meinung, dass infolge der kommunistischen Alphabetisierung auch eine Verbesserung des Bildungsniveaus zu vermerken war. Es gab aber auch Schulen, wo die Lehrer sich nicht an den Lehrplan hielten. Die Studentenrevolten von 1956, an denen sich viele Studenten beteiligten, die aus ländlichen Gebieten stammten, und die Solidarisierung mit der antikommunistischen Revolution in Ungarn waren Beweise dafür, dass die Alphabetisierung auch Aufbegehren gegen die Ideologie und das kommunistische Regimes bewirkte.