Rumänische Juden im Ersten Weltkrieg: Blutzoll beschleunigte Einbürgerung
Der 100. Jahrestag der Gründung Groß-Rumäniens bedeutet auch die Würdigung sämtlicher Teilnehmer am Ersten Weltkrieg und ihres Beitrags zur Beseitigung der Kriegsfolgen.
Steliu Lambru, 20.08.2018, 17:30
Die Minderheiten in Rumänien vor 1918 beteiligten sich auch an der Gründung Groß-Rumäniens, und eine dieser Minderheiten waren die Juden. Obwohl sie so gut wie keine Rechte genossen, schlossen sich viele der Front an, nahmen als Sanitäter an der Front teil oder halfen in Wohltätigkeitsorganisationen, die Belastung des Kriegs zu mildern. Am Ende des Konflikts erhielten sie die rumänische Staatsbürgerschaft und erlangten damit auch sämtliche Rechte in einem demokratischen Staat.
Die Geschichte der jüdischen Beteiligung an den großen Momenten der modernen rumänischen Geschichte beginnt mit dem Unabhängigkeitskrieg von 1877–1878. In diesem Krieg waren die Juden Soldaten und Offiziere, Ärzte und Sanitäter, an der Front und hinter den Frontlinien, in Krankenhäusern und überall, wo es nötig war, um verletzte Patienten zu behandeln. Bei der Erstürmung der Griviţa-Festung, die von der Einheit des Kapitäns und Helden Valter Mărăcineanu durchgeführt wurde, fiel mit ihm und den anderen Helden der Jude Mauritius Brociner. Der Historiker Marius Popescu vom Zentrum für die Geschichte der rumänischen Juden sagt, Brociners Aufopferung sei kein Einzelfall gewesen. Während des Zweiten Balkankrieges von 1913 kämpften in der rumänischen Armee jüdische Soldaten wie Kapitän Armin Iaslovici, Leutnant im Krieg von 1877–1878 und Major im Jahr 1916 zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Marius Popescu sagt, dass die Beteiligung der rumänischen Juden am ersten Weltkonflikt mit jener anderer jüdischer Minderheiten in europäischen Ländern verhältnismäßig vergleichbar sei.
Im Alten Königreich zählte die jüdische Bevölkerung rund 230.000 Seelen, von denen die zur Armee berufenen Juden 23.000 waren, das sind genau 10% der gesamten jüdischen Bevölkerung. Es ist eine ähnliche Zahl wie die in anderen Ländern, die jüdische Minderheiten hatten, in denen ungefähr der gleiche Anteil von Juden zum Krieg beigetragen hat. Von den gesamten Juden, die am Krieg teilgenommen haben, sind 882 gefallen, 825 wurden verletzt, 449 wurden gefangen genommen und 3043 galten als vermisst. Es war also ein ziemlich großer Einsatz.“
Aber auch jüdische Zivilisten schrieben ehrwürdige Seiten des Heldentums im Krieg. Das war der Fall im von deutschen Truppen besetzten Rumänien Ende 1916, berichtet Marius Popescu.
Als Fallstudie möchte ich an einen Helden erinnern, er wurde post mortem dekoriert, ein gewisser Herman Kornhauser. Er kam aus Târgovişte und im Dezember 1916 kaufte er Essen und Zivilkleidung und half damit den Rumänen, bei nach Gefangennahme durch Deutsche in deutschen Lagern inhaftiert waren. Er begünstigte sogar die Flucht von Gefangenen aus diesen Lagern, wurde aber von den deutschen Besatzungsbehörden gefasst, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Er wurde post mortem mit dem Verdienstorden der militärischen Tugend des Krieges 2. Klasse dekoriert. Es war keineswegs eine einzigartige Tat — wie Kornhauser erbrachten viele andere Heldentaten und bewiesen Tapferkeit.“
Die jüdischen Gemeinschaften waren seit 1916 vollständig an den Kriegsanstrengungen Rumäniens beteiligt. Die Bemühungen nahmen 1917 zu, als die Regierung in die Moldau geflohen war und die rumänische und die russische Armee sich den Mittelmächten auf der Karpaten- und der Sereth-Linie widersetzten. Marius Popescu berichtet:
Ein anderer Aspekt, der nicht nur mit dem Beitrag der Juden zu den effektiven Kriegseinsätzen zusammenhängt, ist die Leistung der jüdischen Gemeinden hinter der Front, die die Kriegsanstrengungen des Landes nachdrücklich unterstützt haben. Es war also nicht nur der Kampf mit der Waffe in der Hand, sondern auch der materielle Beitrag. Während des Krieges wurde ein Hilfskomitee der sog. »Union der Bodenständigen Juden« [darunter verstand man Juden, die seit Generationen im rumänischen Altreich einheimisch waren und die Erlangung der Staatsbürgerschaft anstrebten — Anm. d. Red.] gegründet, das im ganzen Land Vertretungen hatte. Ziel war es, Güter und Geld für Kriegszwecke zu sammeln. Dieser Ausschuss arbeitet mit anderen Institutionen wie dem Roten Kreuz, der Familie der Kämpfer, dem Königin-Maria-Krankenhaus-Netzwerk und so weiter zusammen. Das Engagement seitens der jüdischen Gemeinden war total. Die Synagogen, jüdische Schulen, die ganze Kette typischer Gemeinschaftsinstitutionen wurden der rumänischen Armee zur Verfügung gestellt. Das Wichtigste dabei ist, dass die Juden während des Krieges keine rumänischen Staatsbürger waren. Diese Leute haben die Waffe in die Hand genommen und haben gekämpft, sie waren aber zu dem Zeitpunkt keine Staatsbürger.“
Doch der abgeschlossene Frieden bedeutete nicht, dass die Probleme überwunden waren. Marius Popescu zeigt, wie einige Juden in den Wiederaufbau involviert waren.
Größere Geldbeträge haben einzelne Wohltäter gespendet. Ein sehr wohlhabender jüdischer Handwerker aus dem Kreis Botoşani, Frederic Costiner, schüttete beispielsweise 20.000 Lei in einen Fonds ein, um Land für die Nachkommen von Dorfbewohnern zu kaufen, die im Kampf gefallen waren. Der Mensch war ein regionaler Philanthrop und dadurch zeigte er den Opfern des Krieges seine Nächstenliebe und Dankbarkeit. Bis zur Verteilung von Grundstücken an die Bauern nach der Verfassung von 1923 wurden solche Wohltätigkeiten von Privatpersonen — darunter auch viele Juden — vollbracht.“
Die Anerkennung der jüdischen Loyalität durch den rumänischen Staat sei durch die Stimme des Königs Ferdinand I. bestätigt worden:
Am Ende des Krieges haben wir eine ziemlich wichtige öffentliche Stellungnahme von König Ferdinand. Er sagte: »Ich bin vor langer Zeit zu einer Überzeugung gekommen und freue mich, dass ich mich darin nicht getäuscht habe. Dass alle Einwohner des rumänischen Landes, unabhängig von Rasse und Herkunft, von denselben höheren Gefühlen der Brüderlichkeit beseelt sind.« Diese Aussage kam als Anerkennung der Verdienste all derer angesehen werden, die am Krieg teilgenommen hatten und damit zur Schaffung Groß-Rumäniens beigetragen haben.“
Und der letzte Ausdruck der Dankbarkeit kam durch die Aufhebung von Artikel 7 der Verfassung von 1866, der die rumänische Staatsbürgerschaft nur Menschen christlicher Glaubensbekenntnisse zuerkannte. Die Verfassung von Groß-Rumänien im Jahr 1923 gewährte all ihren Bürgern die gleichen Rechte, unabhängig von ihrer Religion.