Anfänge der modernen rumänischen Medizin: Carol Davila und Nicolae Kretzulescu
Zur Modernisierung der Medizin in Rumänien trugen ab Mitte des 19. Jh. mehrere herausragende Persönlichkeiten bei: darunter der französischstämmige Arzt Carol Davila und der Mediziner und liberale Politiker Nicolae Kretzulescu.
Steliu Lambru, 12.02.2018, 17:30
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben rumänische Ärzte, die in Westeuropa ausgebildet worden waren, in ihrem Heimatland medizinische Bildungseinrichtungen und moderne Kliniken gegründet. Namhafte Mediziner wie Nicolae Kretzulescu und Carol Davila gelten heute als Vertreter einer Generation von Ärzten und Philanthropen, die Medizinabsolventen weiterbildeten, das Schicksal der rumänischen Medizin stark prägten und sie an die westlichen Standards der Epoche heranführten.
Die Anfänge der Medizin als Wissenschaft sind auf die Renaissance zurückzuführen, die ersten Informationen mit wissenschaftlichem Charakter im geographischen Raum Rumäniens datieren vom dem Ende des 17. Jahrhunderts, aus der Zeit der Herrschaft von Constantin Brâncoveanu (1688–1714). Der Fürst der Walachei hat an seinem Hof griechische Ärzte sowie einen elsässischen und einen venezianischen Arzt empfangen, die ihm neue Methoden vorstellen, die später, beim Auftreten einer Epidemie, als Impfung zur Eindämmung der Krankheit eingesetzt wurden. Was die Bildungseinrichtungen angeht, wurde damals in den sogenannten Fürstenakademien die Jatrosophie ausgeübt, eine Mischung zwischen Philosophie und empirischer Medizin. Die Fürstenakademien bildeten die Grundlage für die medizinischen Bildungseinrichtungen im 19. Jahrhundert.
Der Arzt Octavian Buda, Professor für Medizingeschichte an der Medizinischen und Pharmazeutischen Universität Carol Davila“ in Bukarest, erläutert die Anfänge der modernen Medizin in Rumänien:
Dieses Argument der Weiterbildung in Westeuropa gilt auch als Antriebskraft für neue Staatspolitiken. Besonders interessant finde ich den Vergleich, den die Rumänen im 19. Jahrhundert mit Belgien machten. Sie schmeicheln sich selbst, indem sie sich selber als Vertreter eines sogenannten Belgiens des Orients bezeichnen. Das ist nicht durch die partielle Latinität Belgiens zu erklären, sondern dadurch, dass Belgien in der heutigen Form erst um das Jahr 1830 bestand, und die rumänischen Fürstentümer vereinigten sich auch relativ spät. Die Rumänen bestanden auf solche Vergleiche zwischen rumänischen und belgischen Institutionen, und beide Länder hatten die Fähigkeit, neue Institutionen zu gründen. So zum Beispiel das erste Physiologische Institut, das im Jahr 1892 von Alexandru Viţu gegründet wurde, der als Vater der biologisch-physiologisch-medizinischen Forschungen gilt. Er hatte sich in Belgien im Bereich der Biomedizin weitergebildet.“
Die Dynamik der Modernisierung war in allen Schichten der rumänischen Gesellschaft spürbar. Einen bedeutenden Platz nahmen in diesem Prozess die Bildungseinrichtungen ein, und der erste große Name der rumänischen medizinischen Ausbildung ist der Franzose Carol Davila. Octavian Buda:
Die eigentliche Modernität beginnt bei den damaligen Institutionen mit einer generellen Modernisierung im Zuge der Wirksamkeit der sogen. Organischen Reglements. Als erstes werden ein Ärztekollegium und drei große Krankenhäuser — Colţea, Pantelimon und Filantropia — in Bukarest gegründet. Mithilfe von privaten Finanzmitteln der Bojaren, der ehemaligen Adeligen unterhalb des Ranges des Fürsten, wird eine öffentliche Einrichtung gegründet, auf deren Grundlage ein koordiniertes System medizinischer Praktiken entsteht. Die Gründung einer Medizinuniversität lag jedoch in weiterer Ferne. Durch das Zusammentreffen günstiger Umstände kam Carol Davila in das damalige Fürstentum Walachei, heute Teil Rumäniens. Laut einer Notiz von 1852, die einem der größten Chirurgen der Epoche, Constantin Dumitrescu-Severeanu, zugeschrieben wird, wurde an die Anschlagtafel der Medizinfakultät in Paris eine Anzeige geheftet, die den französischen Studenten bekanntgab, dass zwei Staatsoberhäupter der Epoche einen Arzt in ihre Heimatländer einladen möchten. Eine Einladung war vom walachischen Fürsten Barbu Ştirbey, die andere vom Schah des Irans unterzeichnet. Laut Severeanu habe der Dekan der Medizinuniversität in Paris, dessen Sohn der Chef der Französischen Gesandtschaft in Bukarest war, den jungen und eifrigen Davila davon überzeugt, ins lateinische Schwesterland Frankreichs, die Vereinigten Fürstentümer der Walachei und Moldau zu reisen. Severeanu bezeichnet Davila als entscheidende Antriebskraft der rumänischen Modernisierung. Severeanu wird allerdings später einer der ersten rumänischen Ärzte, die seit 1860 Regierungsstipendien bekommen werden und auch einer der ersten Absolventen der rumänischen medizinischen und pharmazeutischen Universität.“
Die modernen Änderungen in der rumänischen Medizin sind so tiefgreifend, dass sie auch auf sprachlicher Ebene spürbar werden. Octavian Buda kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten:
Eine besonders starke Persönlichkeit in der damaligen rumänischen Gesellschaft war Nicolae Kretzulescu. Der in Paris ausgebildete ehemalige Premierminister, der ebenfalls die Ämter des Außen- und Innenministers sowie des rumänischen Botschafters in Russland bekleidete, war ein naher Freund des ersten Herrschers der Vereinigten Fürstentümer, Alexandru Ioan Cuza. In Rumänien gilt er ebenfalls als Gründer einer medizinischen Fachsprache. Damals wurde das kyrillisch-lateinische Übergangsalphabet durch das lateinische Alphabet ersetzt, und eine medizinische Fachsprache schien höchst notwendig zu sein. Im Zeitraum 1840–1850 werden erste Wörter in die medizinische Fachsprache eingeführt, die ihre Herkunft in der französischen Sprache haben. Nicolae Kretzulescu setzt sich dafür ein, dass die rumänische Fachsprache modernisiert wird, und im Jahr 1842 übersetzt er ein Lehrbuch für deskriptive Anatomie aus dem Französischen. Das führt zu einer Wende in der rumänischen Fachsprache, die sich insbesondere in der Medizin spüren ließ. Ehemalige Medizinbegriffe, die ihre Herkunft im Griechischen hatten, wurden durch moderne, französische Begriffe ersetzt, und so halten in der rumänischen Fachsprache Begriffe Einzug wie ‚optische Nerven‘, ‚Wirbel‘, ‚Hohlraum‘, ‚Halswirbel‘ u.a.m., die im Rumänischen aus dem Französischen übernommen wurden. Für einen Politiker ist sein Einsatz in diesem Bereich bemerkenswert. Im Bewusstsein der Gesellschaft galt ein solches Engagement in der Entwicklung der Medizin als Merkmal der Elitezugehörigkeit.“
Die moderne Medizin erfreut sich in Rumänien einer besonderen Tradition, und unter den Nobelpreisträgern Rumäniens zählt auch ein Arzt: George Emil Palade.