Entstalinisierung: Abrechnung mit Stalin führte zu Machtkämpfen unter rumänischen Kommunisten
1953 starb Stalin. Sein Nachfolger, Nikita Chruschtschow, führte Reformen ein und verurteilte das Terror-Regime seines Vorgängers.
Steliu Lambru, 05.02.2018, 19:15
1956, drei Jahre nach dem Tod von Josef Wissarionowitsch Stalin, verurteilte der neue sowjetische Anführer Nikita Chruschtschow die Exzesse seines Vorgängers und forderte eine neue Politik. In einer Rede beim 20. Kongress der Kommunistischen Partei der Sowjetunion stellte er seinen geheimen Bericht vor. Dieser gilt als Anfang der Entstalinisierung. Chruschtschow brandmarkte die Praktiken, die zu ungeheuerlichen Morden geführt hatten. Unter den Ermordeten gab es auch der Partei und Stalin treue Personen, deren Loyalität nicht bezweifelt werden konnte. Der Bericht Chruschtschows geißelte jedoch nur die Verbrechen Stalins gegen die Partei- und Staatsaktivisten, nicht aber die Massenmorde des Stalinismus.
Der Bericht Chruschtschows wurde unterschiedlich in den Staaten des sozialistischen Lagers aufgenommen. Während einige kleine Reformen einleiteten, hat sich in anderen überhaupt nichts bewegt. Die antikommunistische Revolte von 1956 in Ungarn wurde von den Anfechtern der Entstalinisierung zum Vorwand, um zu zeigen, wohin die Entspannung der sozialistischen Politiken führen könne. In Rumänien verfolgte Gheorghe Gheorghiu Dej seine harte stalinistische Linie, trotz seiner Widersacher Miron Constantinescu und Iosif Chişinevschi.
Das Zentrum für Mündliche Geschichte des Rumänischen Rundfunks hat 2002 die Zeugenaussage von Ştefan Bârlea aufgenommen. 1957 war Bârlea ein junger Parteiaktivist, der mit den Jugend-Angelegenheiten beauftragt war. Er hat an der Sitzung teilgenommen, in der Miron Constantinescu und Iosif Chişinevschi die Ideologie des Anführers Dej angefochten haben. Laut Bârlea hatten die Sitzungen des Politbüros, die Verwaltungsmaßnahmen betrafen, einen streng geheimen Charakter. An diesen nahmen nur die Büro-Mitglieder teil.
An der zweiten Sitzung nahm ich teil, da kam Gheorghiu-Dej nicht, Nicolae Ceauşescu hat die Arbeiten präsidiert. An der Sitzung nahmen noch Constantin Pârvulescu und drei-vier weitere Mitglieder teil. Man hat die ganze Lage darstellt und die Billigung dieser Maßnahmen begründet. Anwesend war auch Liuba Chişinevschi, die Ehefrau von Iosif Chişinevschi, die in diesem Konflikt involviert war. Die beiden Widersacher des Parteichefs, Constantinescu und Chişinevschi, waren nicht anwesend. Ceauşescu hat ausgeführt, Pârvulescu hat ergänzt. Alexandru Moghioroş war da und auch der Hautptakteur, Petre Borilă, ihn habe ich vergessen. Es hatte ein Gespräch in Moskau gegeben, nachdem Chruschtschow den Personenkult um Stalin entlarvt und veurerteilt hatte. An dem Treffen hatten Gheorghiu-Dej, Miron Constantinescu, Iosif Chişinevschi und Petre Borilă teilgenommen. Da wurden die Dinge im Allgemeinen dargestellt, so wie sie sich beim 20. Kongress der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zugetragen hatten. Die beiden, Constantinescu und Chişinevschi, waren der Ansicht, dass es auch in Rumänien Probleme betreffend den Personenkult gab. Laut damaliger Regel musste nach jeder Auslandsreise im Politbüro Bericht erstattet und je nach Fall auch dem Zentral-Komitee Auskunft gegeben werden. Constantinescu und Chişinevschi haben es nicht direkt Gheorghiu-Dej gesagt. Die beiden sagten, auch Gheorghiu-Dej habe einen Personenkult entwickelt, auch in unserem Land sei diese Tendenz spürbar ist. Das hat Borilă zurückgewiesen.“
Der Kampf um die Parteiführung spitzte sich zu, es stellte sich aber nicht mehr das Problem der physischen Beseitigung, wie zu Zeiten Stalins. Der Intellektuelle Miron Constantinescu und sein Gefährte Iosif Chişinevschi wurden nur stigmatisiert und ausgeschlossen. Ştefan Bârlea berichtet weiter:
Dann versuchten die beiden, ohne dass es Gheorghiu-Dej wusste, Anhänger im Politbüro zu gewinnen. Der eine besuchte Constantin Pârvulescu, der andere Moghioroş, und die haben versucht ihnen die Idee der rumänischen Entstalinisierung zu verkaufen. Natürlich konnten sie sich nicht verständigen und es kam zu Diskussionen im Politbüro. Es hieß, man habe Gheorghiu-Dej vor vollendete Tatsachen gestellt oder man habe die Absicht, das zu tun. Sowohl Pârvulescu als auch Moghioroş haben diese Anschuldigungen zurückgewiesen und im Politbüro angemessen Stellung genommen. Die beiden wurden isoliert. Miron Constantinescu wollte sich an Gheorghiu-Dej rächen, er hatte schon vor Stalin über ihn respektlos geredet, als über die Beseitigung von Ana Pauker diskutiert wurde. Gheorghiu-Dej hat ziemlich heftig reagiert und man hat beschlossen, dieses Thema im Rahmen der Plenarsitzung des Zentralkomitees zu besprechen. Der junge Ceauşescu hat uns mitgeteilt, man habe beschlossen, dass Miron Constantinescu und Iosif Chişinevschi in der Plenarsitzung des Zentral-Komitees den Bericht für das Politbüro mit allen Schlussfolgerungen vorstellen werden. Mit anderen Worten handelte es sich dabei um eine Art Selbstdemaskierung in der Plenarsitzung des Zentral-Komitees. Und das Zentralkomitee hat beschlossen, sie aus seinen Reihen auszuschließen. Miron Constantinescu war ein enger Mitarbeiter von Gheorghiu-Dej und hatte wichtige Ämter in der Partei bekleidet, im Rahmen der sogen. sowjetischen Gruppe, die nach Rumänien gekommen war. Es war eigentlich ein Machtkampf, den Miron Constantinescu und Iosif Chişinevschi entfacht haben, um sich als Anführer der Partei zu profilieren. Gheorghiu-Dej war jedoch etwas gerissener als die beiden.“
Das Echo der Entstalinisierung in Rumänien war schwach, für Gheorghe Gheorghiu-Dej hatte die Abrechnung mit Stalin überhaupt keine Folgen, sein Machtanspruch blieb unangetastet. Die wichtigste Folge der Entstalinisierung war der Abzug der sowjetischen Truppen aus Rumänien im Jahr 1958. Für die anschließende Entwicklung Rumäniens spielte das aber keine wesentliche Rolle.