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Ausgebürgert und entrechtet: Rumänische Juden im Visier von Rassengesetzen

Dem Holocaust im Dritten Reich gingen die Nürnberger Rassengesetze von 1935 voraus – doch Deutschland war nicht das einzige Land, in dem es bis 1945 solche Gesetze gegeben hat.

Ausgebürgert und entrechtet: Rumänische Juden im Visier von Rassengesetzen
Ausgebürgert und entrechtet: Rumänische Juden im Visier von Rassengesetzen

, 18.12.2017, 17:35

Die Krise der Demokratie im Jahr 1938 brachte in Rumänien ein autoritäres Regime auf die Bühne, das nach deutscher Vorlage Rassengesetze gegen die jüdische Bevölkerung erlie‎ß. Juden wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, sie durften in mehreren Berufen nicht mehr arbeiten, ihr Besitz wurde zum Teil enteignet. Die jüdische Historikerin Lya Beniamin hat die Auswirkungen der damaligen Gesetze in den 1940er Jahren miterlebt.




Die neue Rechtslage erschien noch vor der Machtübernahme durch das Regime von Antonescu, und zwar im August 1940 unter der Regierung von Ion Gigurtu, unter der Bezeichnung »Rechtlicher Status der Juden in Rumänien«. Und schon 1938 verabschiedete die Regierung Goga das Gesetz zur Umstellung der Staatsbürgerschaft, das ab 1939 umgesetzt wurde. Rund 200 Tausend Juden wurde die rumänische Staatsangehörigkeit aberkannt, sie verloren so Ansprüche wie das Arbeits- oder Besitzrecht. Doch das Gesetz zum rechtlichen Status der Juden enthielt auch Definitionen zur Rasse selbst — es war die Vorschrift, die besagte, wer zu den Juden gehört und auf wen das Gesetz Anwendung findet. Und es ist die Grundlage der Rassengesetze, die später unter Antonescu erlassen wurden“, sagt die Zeitzeugin und Historikerin Lya Beniamin.




Das Blut wurde zur Metapher und zum obersten wissenschaftlichen Kriterium. Die sogenannte Biopolitik zog sich als Leitmodell durch die gesamte Rechtsprechung der damaligen Zeit. Laut Lya Beniamin wurde die Volkszugehörigkeit unter der Regierung von Marschall Ion Antonescu aufgrund von ge- und vererbten genetischen Merkmalen bestimmt: Jedes unter Antonescu verabschiedete Gesetz hat einen solchen einführenden Teil, in dem die Eigenschaft als Jude definiert wird. Dabei war das Blutkriterium ausschlaggebend. Bei den Juden wird die Eigenschaft über die Mutter vererbt, doch für die Rassengesetze zählten sowohl der Vater als auch die Mutter. Die Blutstruktur der Männer galt als stärker als die der Frauen — gute oder schlechte Merkmale wurden besser vom Vater als von der Mutter übertragen. Sofort nach dem »Rechtlichen Status der Juden« vom 8. August 1940 erschien auch das Gesetz zum Verbot der Mischehen unter strenger Bestrafung. Das Standesamt durfte keine Ehen zwischen Rumänen und Juden abschlie‎ßen. Das Gesetz galt zwar nicht rückwirkend, aber in einigen Fällen trennten sich die Menschen, um dem jeweils anderen keine Schwierigkeiten zu bereiten.“




Die neuen Gesetze regelten auch die rechtliche Lage der Kinder aus Mischehen, erklärt Lya Beniamin weiter. Das hat mit der Definition der Juden zu tun — war der Vater Jude, galt das Kind als Jude, auch wenn der Mann sich von seiner christlichen oder rumänischen Ehefrau getrennt hatte. Ich bin auf eine Beschwerde christlicher Mütter in Bukarest gesto‎ßen, in der sie protestierten, dass ihre Kinder aus dem Unterricht entfernt wurden, weil sie als jüdische Kinder galten.“




Dieses Thema ist der Historikerin besonders nahe — denn als Kind wurde ihr aufgrund der neuen Rassengesetze verboten, zur Schule zu gehen, erinnert sie sich: Der erste Schock kam 1940, als ein einschlägiges Gesetz zum Rauswurf der Kinder von der Schule verabschiedet wurde. Meine Familie lebte damals in der Stadt Târnăveni. Ich war in der dritten Klasse und liebte es, in die Schule zu gehen, ich stand sogar um 6 Uhr früh auf, um ja nicht zu spät zu kommen. Der Direktor der Schule, an der ich zusammen mit anderen jüdischen Kindern lernte, wurde beauftragt, am nächsten Tag das Gesetz zu verkünden, dem zufolge jüdischen Kindern der Schulbesuch untersagt wurde. Der Direktor war ein anständiger Mensch und ging am Abend zum Rabbiner in unserer Kleinstadt. Er überzeugte ihn, zu den jüdischen Familien zu gehen und den Leuten zu sagen, die Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken. Er wollte nicht, dass die Kinder der erniedrigenden Situation ausgesetzt sind, vor allen anderen nach Hause geschickt zu werden. Als meine Mutter mir dann um sechs Uhr Bescheid sagte, war ich schockiert“, erzählt Lya Beniamin. Die Rassengesetze wurden im Dezember 1944 au‎ßer Kraft gesetzt, wenige Monate, nachdem Rumänien im Krieg die Seiten gewechselt hatte. Beamte, die aufgrund der Gesetz aus dem Dienst entfernt worden waren, konnten beispielsweise jetzt Anträge auf Wiederaufnahme in den öffentlichen Dienst stellen.

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