Unabhängigkeitskrieg 1877: erster Schritt in der Entstehung des modernen Rumänien
Am 10. Mai 1877 erklärte Rumänien seine Unabhängigkeit; 20 europäische Länder hatten damals diesen Status. Die Unabhängigkeit Rumäniens war das Resultat einer internationalen Konjunktur.
Steliu Lambru, 31.07.2017, 18:28
Nach dem Krieg zwischen Russland und der Türkei von 1877-1878, an dem auch die rumänische Armee stark beteiligt war, wurde die Unabhängigkeit Rumäniens erklärt. Der Historiker Sorin Cristescu von der Bukarester Universität Spiru Haret“ skizziert den europäischen Rahmen in den Jahren vor dem russisch-türkischen Krieg:
Der internationale Rahmen war schon einige Jahre vorher bestimmt worden, und zwar 1875 durch den Aufstand gegen die osmanische Macht in Bosnien-Herzegowina, weil die Steuern viel zu hart geworden waren. Der Aufstand wurde grauenvoll niedergeschlagen, und das führte dazu, dass in sukzessiven Etappen die Großmächte Europas Garantien gewährten und Russland dem Osmanischen Reich den Krieg erklärte. Es war von Anfang an klar, dass Russland den Krieg gewinnen würde, aber ein wichtiges Ziel Russlands war dabei, die drei Kreise Cahul, Bolgrad und Ismail im südlichen Bessarabien zurück zu gewinnen. Die rumänische Regierung, welche die drei Landkreise abtreten sollte, ging dabei das Risiko ein, von der Opposition als ‚Volks- und Landesverräterin‘ angeklagt zu werden. Diese Situation war für Rumänien besonders kompliziert. Der rumänische Literaturkritiker, Schriftsteller, Philosoph und Politiker Titu Maiorescu sagte damals, dass nur die liberale Regierung einen solchen Tumult durchstehen konnte und nur die Liberale Partei stark genug war, um das Ganze unbehelligt überstehen zu können.“
Rumänien hat weder eine geschriebene Unabhängigkeitserklärung, noch wurde die Unabhängigkeit Rumäniens formell ausgerufen. Wie kam es dazu, dass Rumänien keine Gründungsurkunde hat? Sorin Cristescu antwortet:
So haben sich die damaligen Politiker die Regie der Unabhängigkeitserklärung ausgedacht. Am 9. Mai 1877 sollte die Regierung auf einen Antrag im Parlament antworten. Alles wurde ganz schön geregelt, es gab einen Antrag im Senat und einen zweiten Antrag in der Abgeordnetenkammer, und der damalige Außenminister, Mihail Kogălniceanu, der den Verlust der drei Landkreise im Süden Bessarabiens auf sich nehmen sollte, musste dabei Rede und Antwort stehen. Am nächsten Tag, den 10. Mai, jährte sich zum 11. Mal die Ankunft des Fürsten Karl I. in Bukarest, und zu diesem Anlass wurde auch die Unabhängigkeit Rumäniens erklärt — es war eigentlich eine offizielle Feier zur Erklärung der Unabhängigkeit Rumäniens von der osmanischen Herrschaft. Später versuchte die kommunistische Geschichtsschreibung den 9. Mai vom 10. Mai zu trennen, so dass der 9. Mai als Tag der Unabhängigkeit zum separaten Feiertag wurde. Zweifelsohne wurde aber die Unabhängigkeit Rumäniens am 10. Mai 1877 erklärt und gefeiert.“
War Rumänien auf den darauffolgenden Krieg vorbereitet? Sorin Cristescu dazu:
Wenn wir die Ereignisse aus der heutigen Perspektive betrachten, waren die Kriegsvorbereitungen äußerst schwierig für ein Land mit einem begrenzten Potential und einem begrenzten Budget — 100 Millionen Lei Einnahmen und 100 Millionen Lei Ausgaben. Die Unabhängigkeit Rumäniens war aber von Anfang an das Hauptziel des Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, schon seit seiner Ankunft in Bukarest. Es wurden Kriegsvorbereitungen getroffen, es wurden Krupp-Kanonen aus Deutschland gebracht. Die ersten Kanonen bezahlte Fürst Karl mit Geld aus seinem persönlichen Vermögen. Es ist aber klar, dass man nicht von grundsätzlichen, echten Kriegsvorbereitungen sprechen kann. Es herrschte aber eine allgemeine Begeisterung, die das ganze Volk beseelte. In den österreichisch-ungarischen Berichten wurde vermerkt, dass Fürst Karl wie ein Kampfross sei, das ungeduldig mit den Hufen scharrt; er wolle in den Kampf ziehen, um sich die königliche Krone zu erkämpfen. Auf die Aufforderung des österreichisch-ungarischen diplomatischen Vertreters, Rumänien solle an der Seite der Türken gegen die Russen kämpfen, antwortete Fürst Karl entschlossen, dass so etwas nicht möglich sei. Seitdem er in Rumänien angekommen sei, hätten sich die Türken sehr schlecht gegenüber den Rumänen verhalten. Die Entscheidung, an der türkischen Seite zu kämpfen, wäre gegen den Willen der Rumänen; wenn er aber beschließen würde, gegen die Türken zu kämpfen, hätte er das ganze Land an seiner Seite, betonte Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen. Rumänien befand sich, wie gesagt, in einem speziellen Begeisterungszustand.“
Nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877-1878, in dem Rumänien an der Seite Russlands gegen die türkische Herrschaft kämpfte, wurde Rumänien durch den Vertrag von Berlin 1878 als unabhängig anerkannt. Als Territorium wurde dem Land die Dobrudscha hinzugefügt, gleichzeitig musste es aber die drei Kreise Cahul, Bolgrad und Ismail im südlichen Bessarabien im Bereich der Donaumündung an Russland abtreten (dies entsprach etwa einem Viertel der Moldau, zu dem das Gebiet bis dahin gehörte). Das Fürstentum proklamierte sich am 26. März 1881 zum Königreich Rumänien, Fürst Karl wurde als Carol I. der erste König von Rumänien. Der neue Staat, eingezwängt zwischen dem Osmanischen Reich, Österreich-Ungarn und Russland mit slawischen Nachbarn an drei Seiten, schaute nach kulturellen und administrativen Vorbildern in Richtung Westen, insbesondere nach Frankreich. Sorin Cristescu ist der Meinung, dass Rumänien doch im Vorteil war:
Rumänien musste die drei Kreise im südlichen Bessarabien abtreten und erhielt dafür die Dobrudscha. Man hätte auch mehr bekommen können, wenn die rumänischen Machthaber unterschrieben hätten, dass sie mit dem Austausch einverstanden waren. Man hätte noch den Cadrilater (die südliche Dobrudscha) und einige Festungen am rechten Ufer der Donau bekommen können. Da die rumänischen Verantwortlichen den Austausch nicht bestätigen wollten, erhielt Rumänien nur die heutige Dobrudscha. Man konnte aber nicht schriftlich bestätigen und unterschreiben, dass Rumänien mit dem Abtreten der drei Kreise im Süden Bessarabiens einverstanden war. Hätten die rumänischen Machthaber mit ihren Unterschriften bestätigt, dass sie mit dem Abtreten der drei Kreise, die das Land 1856 beim europäischen Kongress in Paris erhalten hatte, einverstanden waren, dann hätte Rumänien keinen Anspruch mehr auf das gesamte Territorium zwischen dem Pruth und dem Dnjestr gehabt, das von Russland 1812 annektiert worden war, das heißt auf das gesamte Bessarabien. Rumänien war doch im Vorteil, da es eine Region mit Zugang zum Meer erhielt, wodurch die Wirtschaft und die Politik Rumäniens sich zum Besseren ändern sollten. So betrachtet war der Krieg von 1877-1878 ein Erfolg und eine unvermeidliche Etappe in der Geschichte Rumäniens.“