Versorgungskrise im Kommunismus: Die informellen Seilschaften der Überlebenskünstler
Im Kommunismus waren Versorgungsengpässe zur Regel geworden. Besonders in den 1980ern, als die Armut sich verallgemeinert und verschärft hatte, war Knappheit an allen Enden eine alltägliche Erscheinung.
Steliu Lambru, 04.04.2016, 20:37
Im Kommunismus waren Versorgungsengpässe zur Regel geworden. Einige Historiker sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einer Kultur der Knappheit. Besonders in den 1980ern, als die Armut sich verallgemeinert und verschärft hatte, war Knappheit an allen Ecken und Enden eine alltägliche Erscheinung. Es gab fast nichts mehr zu kaufen, ohne stundenlang Schlange stehen zu müssen. Historiker haben in den Archiven die Briefe der einfachen Bürger an die Partei- und Staatsinstitutionen untersucht, die sich über allerlei Mängel beklagten. In einer bedauerlichen Wirtschaftssituation, die von einem unfähigen und von fixen Ideen getriebenen Regime verursacht worden war, wurden die menschlichen Beziehungsgeflechte zum Mittel zur Überwindung der Versorgungskrise. Die Historikerin Mioara Anton vom Bukarester Geschichtsinstitut Nicolae Iorga“ beschreibt den Mechanismus, mit dem sich die Menschen gegenseitig halfen, die Engpässe zu überbrücken:
Verboten, aber trotzdem möglich — das war eines der Paradoxe des kommunistischen Alltags. Die Knappheit, die Einschränkungen, die Rationierungen, die vom Ceauşescu-Regime eingeführt worden waren, um die katastrophale Wirtschaftsrealität zu kaschieren, generierten oft einfallsreiche Lösungen, wodurch alles erlaubt und zugänglich wurde. Es entstanden informelle Netzwerke der Überlebenskünstler, jederzeit bereit, eine Lösung für die scheinbar unlösbaren Probleme des Alltags zu finden, von der Vermittlung eines Engelmachers für die sonst illegale Abtreibung bis zu Situationen, in denen man ein gutes Wort für jemanden einlegte, damit er einen Posten oder ein Amt bekommt, vom Erlassen einer Verwaltungsstrafe bis zum Erwerb von diversen begehrten Gütern. In diesen Netzwerken widerspiegelten sich alle sozialen Schichten mit ihren jeweiligen politischen oder wirtschaftlichen Interessen und Bedürfnissen. Die informellen Netze funktionierten nach anderen Regeln als die offiziellen Gesellschaftsnormen und sie stellten eine profitable Alternative besonders für diejenigen dar, die sie betrieben, aber auch für diejenigen, die diese in Anspruch nehmen mussten. Die Parallelwirtschaft war immer abhängig vom Staatssektor und von dessen Ressourcen und hat auch die Vertriebskanäle dieses Bereiches genutzt.“
Die Sozialnetzwerke, die versucht haben, die Versorgungskrise zu überbrücken, waren mit den Behörden und der offiziellen Politik eng verflochten. Obwohl sie nach dem Muster der Untergrundorganisationen vorgingen, hatten sie eine starke Präsenz im Alltag, und die kommunistischen Behörden waren sich deren Existenz und Funktion vollkommen bewusst. Historikerin Mioara Anton:
Die informellen Netzwerke waren spezifisch für die kommunistischen Regime, denn wir haben es hier nicht mit einer rumänischen Besonderheit zu tun. Es ist eine Reihe von Praktiken entstanden, die das Leben im Kommunismus erträglich gemacht haben. Die Dokumentationsquellen, die uns gestatten, den damaligen Alltagspraktiken nachzugehen, sind die Memoiren, die Tagebücher, die Interviews mit kleinen Parteiaktivisten, mit Überlebenskünstlern, mit den Gründern der Netzwerke, die die selbst in Partei- und Staatsstrukturen vorgedrungen waren. Wir verfügen über offizielle Unterlagen, über Notizen, Informationen, Berichte, die die Entwicklung und Bedeutung der informellen Netzwerke im Rahmen der Planwirtschaft beschreiben. Die zunehmende Ausdehnung der Netzwerke stand in direkter Verbindung mit der Kriminalisierung des Systems, im Sinne der Ausweitung des Korruptionsphänomens und der Verallgemeinerung der Versorgungskrise. Z.B. zählten die Kampagnen zur Bekämpfung der Bestechung Anfang der 1970er gemeinsam mit der Bekämpfung des sogen. sozialen Parasitismus zu den wenigen öffentlichen Versuchen des Regimes, die Gesellschaft zu mobilisieren, um einige allgemein akzeptierte Normen einzuführen. Diese sollten mit der offiziellen Einheitsbrei-Rhetorik im Einklang stehen, sodass alle Bürger eine korrekte Verhaltensweise an den Tag legen, wie es in der Propaganda-Sprache hieß.“
Das Regime hat zugleich versucht, die zersetzende Kraft der Versorgungskrise einzudämmen. Mioara Anton:
Je kläglicher die staatlich verordneten Entwicklungsprogramme in der Wirtschaft scheiterten, desto mehr und strengere Regeln zur Verwaltung der Knappheit sind entstanden. Ich erinnere an das sogenannte Programm zur Selbstverwaltung und Selbstversorgung der Bevölkerung, das 1981 ins Leben gerufen wurde. Dadurch hat man den jeweils Ortsansässigen verboten, sich die nötigen Dinge des Lebens aus anderen Ortschaften zu besorgen. Ein Jahr später entstand das sogen. Programm zur rationellen Ernährung, danach hat man Lebensmittelkarten ausgestellt, mit denen man nur eine monatlich begrenzte Menge von Grundnahrungsmitteln kaufen konnte. Es wurde auch eine Sondergesetzgebung erlassen, die das Ergattern und Horten von übermäßigen Warenmengen bzw. den Weiterverkauf unter Strafe stellte. Die staatlich gelenkte Planwirtschaft, die propagandistisch als Fünfjahresplan der Qualität inszeniert wurde, der berüchtigte Fünfjahresplan also, der angeblich in nur viereinhalb Jahren vollbracht wurde, oder der Fünfjahresplan der wissenschaftlichen Revolution waren ebensoviele Misserfolge, die vom Ceauşescu-Regime niemals eingestanden wurden. Der Versuch Iulian Dobrescus, dem Leiter des Staatsplanungsrates, Ceauşescu 1982 von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Produktionspläne an die Tendenzen der Weltwirtschaft anzupassen, ist genauso gescheitert. Er bestand in einem Bericht auf die Notwendigkeit eines korrekten Verhältnisses zwischen Qualität und Quantität. Dies hätte seiner Meinung nach zum Wirtschaftswachstum und zur Eindämmung der Versorgungsengpässe geführt. Seine Empfehlungen wurden nicht beachtet, und Dobrescu trat aus seinem Amt zurück.“
Die Versorgungsengpässe waren auf den ersten Blick eine Folge der Wirtschaftskrise. Ein tiefergehender Grund sei jedoch die Natur des kommunistischen Regimes an sich gewesen, meint die Historikerin Mioara Anton:
Ein anderer Aspekt, der die Entwicklung der informellen Wirtschaft angespornt hat, ist das, was der US-amerikanische Politikwissenschaftler Ken Jowitt als Vertrautheit des Regimes bezeichnete. Das komme vor, wenn die Partei in Routine gerate und die Gesellschaft sich selbst überlassen werde, sagt Jowitt. Das absolute Machtmonopol der Partei wurde von einem System der Vetternwirtschaft unterminiert, das innerhalb der Elite und im engen Verhältnis zur Elite entstanden war. Das hat die illegalen oder halblegalen Geschäfte erleichtert. Die Partei hat ein traditionelles politisches Verhalten und eine bestimmte politische Haltung an der Machtspitze und in der Gesellschaft erlaubt und sogar ermutigt. Ceauşescu hatte als Parteivorsitzender eine rosa Brille auf, mit der er die Realität in der rumänischen Gesellschaft wahrnahm. In seiner Auffassung hatte der Pro-Kopf-Verbrauch zugenommen und die Läden seien mit ausreichend differenzierten Produkten versorgt gewesen, selbst wenn nicht für jeden Geschmack etwas dabei war. Und er glaubte auch, dass die Gesundheits- und Krankenpflege auf einer normalen Ebene lagen. Alle anderen wussten, dass dies nicht der Realität entsprach.“
Die Versorgungskrise endete mit der Wende. Sie hat jedoch ein Erbe hinterlassen, das der neuen Wirtschaft im postkommunistischen Rumänien als Grundlage diente: das Netzwerk der Seilschaften, das den Profiteuren des alten Regimes zu wirtschaftlichem und sozialem Aufstieg verhalf.