Wohlfahrtsvereine im Rumänien der Zwischenkriegszeit
Das kommunistische Regime ließ in Rumänien die philantropische Berufung und die Wohltätigkeit verkümmern. Doch vor 1945 war der Wohltätigkeitsgeist sehr präsent.
Steliu Lambru, 08.07.2013, 17:43
Das kommunistische Regime ließ in Rumänien die philantropische Berufung und die Wohltätigkeit verkümmern. Und dies obwohl das Regime sich selbst als höchster Ausdruck der Menschlichkeit und des Mitgefühls ausgab. Die extreme Verstaatlichung des ökonomischen und politischen Lebens war dabei ausschlaggebend: In den Jahren des Kommunismus hing das Leben in einem derartigen Ausmaß von den staatlichen Institutionen ab und die Hilfsinitiativen standen unter einer derartig starken Kontrolle, dass die Menschen nur vereinzelt das Bedürfnis nach Wohltätigkeitsgesten verspürten.
Aber das war nicht immer so gewesen. Im kapitalistischen Rumänien vor 1945 war der Wohltätigkeitsgeist sehr präsent. Es gab mehrere Arten von Wohltätigkeit und zahlreiche Institutionen aus Wirtschaft, Religion und Politik standen zu ihrer Berufung, Hilfsbedürftige zu unterstützen: Kriegswitwen, Veteranen, Waisen, Arbeitslose, Invaliden. Die großen Fabriken hatten eigene Ausbildungseinrichtungen, die Berufsverbände, Gewerkschaften, kleinen Werkstätteninhaber, das Pflegepersonal, die Lehrkräfte, Anwälte und andere boten den Unbemittelten ihre Dienstleistungen kostenlos an. Die Gattinnen vermögender Leute leiteten Stiftungen, Hilfsverbände und andere Schutzeinrichtungen.
Eine der großen rumänischen Wohltäterinnen der Zeit war Maria Brăiloiu. Sie stammte aus der Lahovary-Familie, einer alten Familie von Großgrundbesitzern, die innerhalb der Konservativen Partei politisch engagiert war. Gemäß religiösen und konservativen Prinzipien sorgte sich Maria Brăiloiu um elternlose Mädchen. Dina Balş, Nachfahrin einer Bojarenfamilie, berichtete 1996 über eine Episode aus dem sozialen Lebenswerk Maria Brăiloius im Jahr 1919, die sie persönlich miterlebt hatte. Das Interview stammt aus dem Archiv des Zentrums für Mündliche Geschichte des Rundfunks.
Frau Brăiloiu hatte ein Anwesen in Săruleşti, sie war ein guter Mensch, der nur Gutes tat. Sie war unter anderem bei der ‚Chindia‘, und auch bei der ‚Timişoiu‘. Timişoiu war eine Wohltätigkeitsorganisation für Waisenkinder, für Mädchen ohne Eltern. Sie hatte auf ihrem Anwesen ein Haus gebaut, in dem diese Waisenkinder großgezogen wurden. Aber wirklich, bis sie groß waren. Als sie gefragt wurde, was sie mit den Kindern anstellen wollte, antwortete sie: »Ich will gute Ehefrauen und Mütter aus ihnen machen!« Sie brachte den Mädchen bei, wie man kocht, näht, sich um Kinder kümmert, wie man Kinder wäscht, wie man sich um die Männersachen kümmert, wie man eine Herrenjacke strickt, also wie man halt eine gute Ehefrau und Mutter wird. Und da hat sich eine sehr schöne Szene abgespielt. Zu der Einweihung dieses Heims, das nur aus ihren Geldern finanziert worden war, hatte man auch den Bildungsminister Trancu-Iaşi eingeladen. Danach wurde ein einfaches Essen im Garten von den Mädchen serviert. Und Trancu-Iaşi kam mit einem Ehrenzeichen und wollte es Frau Brăiloiu aushändigen. Sie setzte auf einmal eine eiskalte Miene auf und sagte »Nein!«. »Wie ist das denn möglich, Frau Brăiloiu, sie haben so viel getan… «, sagte der Minister. »Nicht ich habe das gemacht, sondern unser Herr Jesus Christus! Wäre Er nicht gewesen, hätte ich überhaupt nichts getan! Geben sie ihm die Auszeichnung, nicht mir!« Und sie wollte sie auf gar keinen Fall annehmen. Und danach ging Trancu-Iaşi, er steckte das Ehrenzeichen in seine Hosentasche, und unterwegs, im Zug, sagte er: »Die Dame ist interessant, sehr interessant ! Aber was für ein Charakter!«. Er war empört und zugleich bewegt, weil Frau Brăiloiu sich schickte, die Auszeichnung abzulehnen.“
Es gab aber zur gleichen Zeit auch Gesellschaften, die die Kultur und das nationale Spezifikum förderten. Dina Balş erinnerte sich auch an die Existenz und den Auftrag der Gesellschaft Chindia“.
Ich kann ihnen noch sagen, warum wir die rumänischen Tänze so gut beherrschten, alle, die es gibt. Dafür waren unsere Eltern verantwortlich, sie hatten eine Gesellschaft gegründet, die genau diesen Auftrag hatte: die rumänischen Volkstänze und die Volksmusik nicht verschwinden zu lassen. Und alle zwei Wochen kamen sie im Richter-Saal zusammen, das war ein Turnsaal in Bukarest, in der Luterană-Straße. Und die Ausstattung war sehr gut für die rumänischen Tänze, der Fußboden war mit Holzbrettern bekleidet und natürlich gingen wir mit den absolut authentischen Trachten dahin, um zu tanzen, die Musik dazu spielten Geiger aus mehreren Landkreisen versammelt. Und diese Gesellschaft hatte ebenfalls Maria Brăiloiu auf die Beine gestellt. Wer war alles Mitglied in der Gesellschaft? Alle waren dort, alle guten Leute.“
Große Kulturpersönlichkeiten Rumäniens waren Mitglieder in Kulturgesellschaften, in denen brennende und damals aktuelle Themen besprochen wurden. Eine dieser Gesellschaften hieß Paranteză“ (rum. für Klammer). Dina Balş erklärte im Interview mit dem Zentrum für Mündliche Geschichte des Rundfunks die Herkunft des Namens.
Es waren der Historiker Goga, Condeescu, Simionescu-Râmniceanu, Paul Prodan und Nona Ottescu. Und sie versammelten sich und hatten sehr interessante Sitzungen, mit sehr unterschiedlichen Themen. Einer begann zu erzählen, und dann kam es zu Abschweifungen der Abschweifungen, also Klammern in Klammern. Deshalb wurde die Gesellschaft auf den Namen ‚Klammer‘ getauft. Weil sie von einem Thema zum anderen wechselten und dabei immer eine Klammer aufmachten. Ihre Treffen fanden regelmäßig statt und waren sehr angenehm, es war eine Freude, nur dabei zu sein und ihnen zuzuhören, unter anderen Goga. Goga war ein sehr angenehmer Mensch. Und immer wenn sie zusammenkamen, egal ob zum Essen oder nicht, waren selbstverständlich auch ihre Frauen dabei.“
Die Wohltätigkeit ging Hand in Hand mit den sozialen Kontakten. Die rumänische Welt vor 1945 war von einer lebendigen Gesellschaft geprägt. Vor allem die Jahre während der beiden Weltkriege waren von einer beeindruckenden Großzügigkeit gekennzeichnet.
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