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Sozialistisches Gedankengut in Rumänien Ende des 19. Jh.

Um das Jahr 1900 suchten die rumänischen Intellektuellen nach einer Lösung für die Probleme der Landwirte. Die Bevölkerung Rumäniens bestand damals zu 80% aus Bauern.

Sozialistisches Gedankengut in Rumänien Ende des 19. Jh.
Sozialistisches Gedankengut in Rumänien Ende des 19. Jh.

, 17.04.2013, 16:14

Um das Jahr 1900 suchten die rumänischen Intellektuellen nach einer Lösung für die Probleme der Landwirte. Die Bevölkerung Rumäniens bestand damals zu 80% aus Bauern. Diesen sollte geholfen werden, aus der Armut herauszukommen. Der wichtigste Teil der rumänischen Elite war Anhänger der nationalen Idee, der Emazipation durch die Pflege der nationalen Identität. Diese Gedankenschule stützte sich vor allem auf kulturelle Elemente. Doch auch sozialistische Ideen hatten ihre Befürworter.



Eine Minderheit der Intellektuellen war der Ansicht, dass die Wirtschaft und die soziale Emanzipation eine wichtigere Rolle spiele. Unter dem Einfluss des Sozialismus und des Marxismus hatten diese nicht nur gegen ihre konservativen Gegner zu kämpfen, sondern auch gegen diejenigen, die ihre Ideen, aber nicht ihre Lösungen unterstützten.



Die nationale Idee war jedoch stärker, auch wenn um das Jahr 1900 sowohl der Nationalismus als auch der Sozialismus blühten. Der Soziologe Călin Cotoi von der Bukarester Soziologie-Fakultät erklärt, warum sich die nationale Idee durchsetzte:



Wir haben es hier mit einer Art Ereignis, das eigentlich kein Ereignis darstellt, zu tun. Das Soziale erscheint nicht als Problem. Es handelt sich um eine rasche Nationalisierung des Sozialen, bevor es ein Problem wurde. Das geschah innerhalb der sozialistischen Disputen der Epoche. Wegen dieser raschen Nationalisierung infolge des Disputs zwischen den Poporanisten (abgeleitet von rum. ‚popor‘ = Volk) und den Marxisten kam es zur Entstehung einer nationalisierten sozialen Idee mit einer ethnischen Komponente. Als dann in der Zwischenkriegszeit das soziale Programm erscheint, ist es auf diese Periode zurückzuführen. Die Technokraten der Gusti-Schule oder der demographischen Schule von Sabin Manuilă und der Klausenburger Schule von Moldovan setzten die Diskussionen von 1900 fort.“



Die beiden wichtigen Bewegungen, die sich für die Emanzipation der Landwirte einsetzten, waren der Marxismus und der Poporanismus. Obwohl beide Bewegungen peripherisch waren, konnten sie meistens keine gemeinsamen Punkte finden. Der Sozialismus hatte keinen gro‎ßen Einfluss in den Reihen der Landwirte.



Der Marxismus wurde insbesondere von Constantin Dobrogeanu-Gherea vertreten. Er kam als Solomon Katz in einer jüdisch-ukrainischen Familie zur Welt, flüchtete nach Rumänien und wurde in Bukarest zu einem der einflussreichsten sozialistischen Theoretiker. Dobrogeanu-Gherea veröffentlichte mehrere Bücher, darunter auch eine marxistische Analyse der wirtschaftlichen Lage der Landwirte. Sein Gegner war ebenfalls ein Flüchtling, der aus Bessarabien stammende Constantin Stere. Dieser brachte die Ideen der russischen Narodniki nach Rumänien. Zusammen mit dem Literaturkritiker Garabet Ibrăileanu gründete er nach dem russischen Vorbild den Poporanimus. Der Soziologe Călin Cotoi dazu:



Die Mehrheit der rumänischen Sozialisten entstammt — abgesehen von einer kleinen Minderheit mit einer französisch-belgischen Orientierung — dem russischen Projekt der Narodniki, der Volksfreunde. Die rumänischen Volksfreunde wollten aber nicht als russische Narodniki angesehen werden. Die rumänischen Poporanisten versuchen, sich von den Russen zu distanzieren. Stere hat Texte, die fast identisch mit denen von Nikolai Michailowski sind. Er zitiert aber Eduard Bernstein, Karl Kautsky, Karl Marx, deutsche Neopositivisten. Seine Literaturangaben sind überwiegend deutsch.“




Die Beziehung zwischen den Intellektuellen und den Landwirten war wesentlich, der Vergleich mit dem Westen, der wirtschaftlich entwickeltesten Region, und die Überwindung der Gegensätze zwischen Fortschritt und Tradition waren wichtige Programm-Punkte. Călin Cotoi erläutert:



Es ist interessant, den rumänischen Fall in diesem russischen Kontext zu betrachten. Der Poporanismus spielt, meiner Meinung nach, eine viel geringere Rolle in der Modernisierung der sozialen Idee. Es gibt zwei Dimensionen des Poporanismus, die man verstehen muss. Zum einen den theoretischen Weg, darauf bezieht sich insbesondere Constantin Stere — auch bei seinen Disputen mit den Marxisten. Die andere Dimension ist der diffuse Poporanismus, der, wie die Bewegung der Narodniki, Elemente der genossenschaftlichen Bewegung, die Entstehung von Banken und Unterstützung der ländlichen Kreditaufnahme umschlie‎ßt. Diese entwickeln sich nur wenig und werden vom Staat übernommen und zerstört. Die Übernahme der Bewegung der russischen Volksfreunde von Russland nach Rumänien bedeutet die Transplantation einer Bewegung aus einem Imperium in einen Rahmen, in dem gerade eine Nation aufgebaut wurde. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Gedankenrichtungen.“



Der Bauernaufstand von 1907 veranschaulicht und bestätigt die Diagnose, die die rumänischen Sozialisten um 1900 Rumänien folgenlos bescheinigt hatten. Die Lösung kam allerdings vom Staat, durch die später eingeleitete Bodenreform.



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